AUFTOUREN beim Primavera Festival: Wassernot

Da ist man gerade einmal eine Woche in Barcelona und schon beschleicht einen das leise Gefühl, dass in den vergangenen Tagen plötzlich die ganze Welt nach Spanien geschaut hat. Aber auch abseits jeder egozentrischen Weltsicht und hoffentlich im objektivsten aller Sinne ist in diesen Tagen viel passiert in der katalanischen Hauptstadt: Kürzlich wurde hier gewählt, es wurde mit Schlagstöcken und Gummigeschossen gegen Demonstranten vorgegangen, es wurden Gurken aus Spanien exportiert und nicht zuletzt kommt auch der Champions-League-Sieger inzwischen wieder aus Barcelona.

Darüber hinaus ging an diesem Wochenende mit dem Primavera Sound Festival aber auch eines der bedeutendsten und besten kuratierten Musikfestivals Europas über die Bühne. Zu den Headlinern gehörten dabei keine Geringeren als PJ Harvey, Belle and Sebastian, Animal Collective, die Flaming Lips, James Blake, Grinderman oder die wiedervereinigten Pulp.

Das äußerst eindrucksvolle Line-Up war an diesem letzten Maiwochenende aber nur einer von vielen Gründen für eine Reise an die spanische Küste. Das nicht minder beeindruckende Festivalgelände am Rande der Millionenmetropole war ein weiterer: Dank riesiger Betonbauten ähnelt es in seiner Art und Atmosphäre noch am ehesten Ferropolis in Mitteldeutschland, wohin das Melt! Festival jährlich ebenfalls tausende Menschen lockt. Die einzigartige Location direkt am Mittelmeer bietet dabei jedoch sogar Platz für insgesamt acht Bühnen. Daher hätte man eigentlich ahnen können, dass es nicht nur theoretisch unmöglich sein würde, alle Lieblingsbands live zu erleben. Immerhin war ich allein unterwegs und musste weder Diskussionen aufkommen lassen, noch Kompromisse eingehen. Und so war unter der milden Sonne Spaniens oftmals einzig das schlechte Gewissen der Begleiter auf den asphaltierten Wegen des Geländes, weil irgendwann einfach die Kräfte zum weiteren Durchhalten schwanden.

Bereits seit Tagen hatten etliche Veranstaltungen das dreitägige Hauptfestival auf dem 92er Olympiagelände angekündigt. So hatte ich, als ich ankam, bereits Echo And The Bunnymen, Comet Gain und einen Auftritt von Caribou verpasst. Dann mussten eben Emeralds den Anfang machen. Und die instrumentalen Stücke der drei Amerikaner sollten sich vorzüglich eignen, um in dieses Festival zu starten. Obwohl die gesamte Band in einer beeindruckenden Manier ihrer Profession nachging, wurde die größte Aufmerksamkeit dabei ihrem Gitarristen Mark McGuire zuteil. Dessen äußerst energisches und exaltiertes Gitarrenspiel live zu erleben, war nicht nur für die Ohren eine helle Freude. Als dann, am Ende des Auftrittes, alle drei Musiker auf einem Höhepunkt von Intensität und Lautstärke gleichzeitig ihr Spiel einstellten, Stille einkehrte und McGuire seine Gitarre mit einer Hand empor riss und Richtung Himmel stemmte, war das eine große Geste. Und sie war an diesem Tag keinesfalls fehl am Platz bei dieser Band.

Die folgenden Stunden wurden dann vorerst von einer anderen, ebenfalls nervenaufreibenden Angelegenheit überschattet: Es sollte ein Festival ohne Bargeld am Getränkeausschank werden und mündete im reinsten Chaos. Jeder der 40000 (!!) Gäste wurde eigens mit seiner Chipkarte ausgestattet, durfte zum Aufladen eben dieser stundenlang anstehen, um dann keine Stunde später zu erfahren, dass das System zusammengebrochen war. Für eine gefühlte Ewigkeit konnten keine Getränke ausgeschenkt werden. Die Farce mündete zwischenzeitlich im hastigen Verteilen kostenloser Wasserflaschen an die Durstigen und der kompletten Umstellung auf Bargeld, während im Hintergrund Big Boi „Ms. Jackson“ durch die Mangel drehte. Auch of Montreal, Moon Duo, Cults und Blank Dogs fielen diesem Unsinn zum Opfer. Schon bald sollte aber wieder die Musik in Vordergrund stehen und tat es spätestens bei Oneohtrix Point Never vollkommen. Für seine aufreibende Performance aus Soundscapes, Störgeräuschen, eigenen Visuals und extremer Lautstärke wurde Daniel Lopatin zwar nur von wenigen, aber dafür außerordentlich gefeiert!

Danach lockten bereits die parallelen Auftritte von The Walkmen und Grinderman, welche sich jedoch beide nicht sonderlich von ihren Darbietungen auf den Alben abheben konnten. Und anstatt sich weiterhin von Nick Cave anpöbeln zu lassen, konnte man gleichzeitig auch einem der äußerst seltenen Auftritte des Glenn Branca Ensenbles verfolgen. Dabei dirigierte Branca mit dem Rücken zum Publikum sein Gitarren-Ensemble mit einer solch respektablen wenn auch übertriebenen Energie, dass er dennoch weite Teile des Publikums anstecken konnte. Im Anschluss daran stellten Caribou einmal mehr unter Beweis, dass sie längst auf die großen Bühnen der Festivals gehören, da es ihnen seit ihrem letzten Album locker gelingt, ihre Musik auch problemlos für die Massen aufzubereiten. So mündete ihr Auftritt schließlich verdientermaßen in einer riesigen Party und ließ der anschließenden Darbietung Suicides nicht den Hauch einer Chance. Von der anfänglichen Einzigartigkeit der Band um Legende Alan Vega war plötzlich kaum mehr als uninspirierter, längst überholter Industrial übrig geblieben.

Dies war jedoch nicht der einzige ärgerliche Auftritt an diesem Abend. Hierzu gehörten auch die nicht einmal halbherzigen Auftritte von Sonny And The Sunsets oder vor allem jener von Salem – denen fehlte wahrlich alles außer der umfassenden Düsternis, die letztlich nur verbergen konnte, dass auf der Bühne genau genommen gar nichts passierte. Besser waren da schon die überzeugenden Konzerte der Ducktails oder jenes von Ty Segall, dessen rotzige Show einer würdigen Bewerbung um die Nachfolge Retards gleichkam. Für so manchen enttäuschenden Auftritt an diesem Abend entschädigte dann allerspätestens die überragende Performance der Flaming Lips. Obwohl diese leider noch immer mit der gleichen Show unterwegs sind wie im vergangenen Jahr, traten sie einmal mehr den Beweis an, die wahrscheinlich unterhaltsamste Liveband des Universums zu sein – und mit weniger könnte sich der offenbar größenwahnsinnige Wayne Coyne vermutlich auch nicht begnügen.

Zum Abschluss dieses ersten Festivaltages versetzte dann Baths´ hyperaktives Gezappel noch einmal alle müden Beine in Bewegung. Wie ein Berserker drehte Will Wiesenfeld an den Knöpfen des Equipments, als wäre irgendjemand tatsächlich in ihn gefahren. Beeindruckend und mitreißend war das. Und sobald Songs wie „Lovely Bloodflow“ oder „Aminals“ begannen, ging ein Aufschrei durch die Menge. Um dann wirklich einmal aufzuhören, wenn es am schönsten ist, begnügten sich die meisten der Gäste damit, den Heimweg anzutreten und strömten in hunderte ausgebuchte Hostels zurück … (weiter zu Tag 2 & 3)

Fotos: Primavera Sound und Dani Canto (Titelbild) / Susana Lopez Blanco (Glenn Branca Ensemble) / Inma Varandela (Suicide)

8 Kommentare zu “AUFTOUREN beim Primavera Festival: Wassernot”

  1. uth sagt:

    Ui, da sind wir uns bestimmt häufiger über den Weg gelaufen. Und ich kann deinem Urteil auch bei allen Auftritten, die ich ebenfalls gesehen habe, nur zustimmen: Glenn Branca = irgendwie positiv berührend, Salem = zum Wegrennen und Baths = mitreißend. Die Flaming Lips habe ich für eine Weile von der Rampe zur Pitchfork Bühne mitverfolgt und fand sie so aus der Ferne ziemlich lala. Vielleicht wirkte das ganze Theater nur, wenn man sich in der Menge direkt vor der Bühne befindet, vergleichbar vielleicht mit Deichkind.
    Und glücklicherweise habe ich als notorischer Festival-Wassertrinker von dem ganzen Chipkartenchaos nichts mitbekommen. Dafür leider von dem ganzen Müll. Pfandsysteme haben doch ihre Berechtigung. Aber das sind eher kleinere Kritikpunkte gegenüber dem programmatisch wirklich schönen Festival.

  2. constantin sagt:

    ja uth, dann sind wir uns wahrscheinlich irgendwo begegnet :) bei den flaming lips war ich aber tatsächlich recht weit vorn, stimmt. aber die bewegen sich echt auf einem richtig schmalen grat. die musik steht bei dem ganzen hokuspokus definitiv nicht mehr im vordergrund.

    und ja, der müll in den morgenstunden oder auch der mangel an dixis war durchaus auch überwältigend!!

  3. Pascal Weiß sagt:

    Dieser erste Teil gefällt mir absolut, Constantin, sehr lebhaft erzählt.

    Einzige Anmerkung von mir, und die muss natürlich kommen;)

    Danach lockten bereits die parallelen Auftritte von The Walkmen und Grinderman, welche sich jedoch beide nicht sonderlich von ihren Darbietungen auf den Alben abheben konnten.

    Ich persönlich erlebe The Walkmen live immer eine ganze Spur wütender als auf Platte. Finde es schon sehr selten, dass ein Sänger – häufig nur mit Mikro in der Hand – solch eine Intensität entwickeln, sich dermaßen reinsteigern kann: „Can’t you hear me? I’m beating on your wall! Da geht was. Wirklich jetzt.

  4. Da die Walkmen so an ihm hängen, ist das glaube ich sehr von Leithausers Tagesform abhängig. Das eine Mal, wo ich sie gesehen habe machte er mehr einen routinierten Eindruck. Am intensivsten war noch die enorme Enge seiner Hose, keine Ahnung, wie er da Luft gekriegt hat.

  5. simon (xat) sagt:

    Sehr cool waren auch die shows nachmittags im parc. Wart ihr da auch mal? Vorallem Cloud Nothings haben da ueberzeugt.

    Hier ein paar Bilder vom Festival die ich gemacht hab:

    http://www.facebook.com/media/set/?set=a.10150189375330658.308223.691170657

  6. constantin sagt:

    @ pascal: du bist der walkmen-spezialist;) ich konnte mir leider auch nicht den ganzen auftritt anschauen. vielleicht sind sie ja später noch wütend geworden. bei der intro klingts jedenfalls so im nachbericht.

    @ simon: nein, in den park hab ichs leider nicht geschafft. das wäre ein bisschen zuviel geworden. aber die cloud nothings hab ich am samstag auch kurz im forum gesehn. da haben die mir auch ziemlich gut gefallen.

  7. […] zweite Festivaltag begann im Grunde, wie der erste aufgehört hatte: äußerst vielversprechend, nur diesmal ohne große Überraschungen. Avi Buffalo […]

  8. Frank sagt:

    Dass das Online Portal am Donnerstag nachmittag nicht zu erreichen war, um seine Karte mit Euros aufzuladen, war tatsächlich nervenauftreibend. Auch wir wussten nicht, ob wir ohne Kartenguthaben was zu trinken bekommen.
    Irgendwann konnten wir dann Geld auf die Karte transferieren. Als wir jedoch am Primavera ankamen, wollte jeder Getränkestand Bargeld haben und wir wussten dann nicht, ob wir die auf unsere Karte übertragenen Euros jemals erstattet bekommen bzw. „abtrinken“ können.
    Gott sei dank lief ab dem zweiten Tag alles wie geplant. Ich konnte ohne Probleme mit der Karte Getränke kaufen und alles klappte wunderbar. Am Samstag wurde dann sogar noch das Kartenrestguthaben rückerstattet.
    Prima Primavera.

    Ach ja, Sufjan Stevens war grossartig, ebenso Warpaint.

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