In A Future Age

In A Future Age

In der Bahn sitzt mir eine junge Frau gegenüber, liest „Breakfast At Tiffany’s“ und sieht dabei sehr gut aus, wobei „dabei“ nicht ausschließend gemeint ist, im Sinne von „trotzdem“, sondern sich auf ihre Person bezieht. Mit dem richtigen Buch kann ein Mensch aber auch recht schnell attraktiv wirken, denke ich und widme mich wieder dem meinem, dem „Lord Of The Rings“ in einer Taschenbuchausgabe. Da ich dazu noch ein Bandshirt trage, brauche ich mir keine Sorge um meine Nerdigkeit zu machen, was wichtig ist, zumindest in meinem kleinen bebrillten Kopf, Bedenken kommen mir deshalb keine. Immerhin sollen Nerds und Geeks ja mittlerweile anerkanntermaßen und laut Menschen, auf die es vermutlich nach eigener Definition eh schon zutrifft, hip sein.

„Der Slacker fing an zu bloggen und wurde zum Trendsetter“, vielleicht wird man einen solchen Satz einst in einem Handbuch zur Kulturgeschichte der 00er lesen, und niemanden wird’s stören. Wenn Microblogging und Social Networks von allen genutzt werden, dann muss es ja auch etwas Tolles sein und wer’s entwickelt und begonnen hat, muss ein jemand sein, dessen Großartigkeit der eigenen entspricht. Den Dropouts wird das aber später ebenso wenig helfen wie mir gegenwärtig, also wird der Blick wieder ins Buch gesenkt, in der Haltung lässt sich besser überlegen, ob ich die Frau nun ansprechen soll oder nicht.

Was dafür spricht: in mir kam ein das Buch betreffender Gedanke auf, ein erster Satz, nämlich: „Ach, das gibt’s auch als Buch?“. Aber das ist ja dumm, Capote hat’s geschrieben, und ich denke nur an Audrey Hepburn, kenne nur den Film, das Buch aber nicht, und woran sollte ich also denken, wenn nicht an Audrey Hepburn? An das Buch wohl kaum (kenne ich ja nicht), und der Film, nun, der ist nun einmal Synonym mit der Darstellerin, und nicht mit dem Buch. Ist es empfehlenswert, ein Gespräch mit Worten der Verwunderung ob der Schriftform zu beginnen? Und überhaupt, jemanden einfach so ansprechen … das machen vielleicht selbstbewusstere Menschen, ich bin nur eigensinnig, nicht selbstbewusst, eine schlechte Voraussetzung für ein fruchtbares Gespräch. Ein Mensch aber, der einfach so sein Gegenüber ansprechen würde, der hätte doch „Breakfast At Tiffany’s“ nicht schmachtenderweise gesehen, sondern zum Distinktionsgewinn, obwohl man sich ja nicht ungebeten mit so etwas brüsten sollte. Was ist das schon, einen Film sehen? Das machen viele Menschen regelmäßig, ich nicht, denn es dauert zu lang und ist anstrengend. Keine Filme sehen aber nur den Film kennen … macht auch wenig Sinn.

Ah, nun steigt sie aus, und schon wieder hat sich ein Problem von selbst gelöst, es wurde nicht gesprochen, da hätte ich auch ruhig weiter lesen können und nicht nur so tun als ob. Bei mir im Text wird’s nämlich grad so schön heroisch, zwecks Eskapismus äußerst sinnvoll. Ich bin’s nicht, also, mit ein paar Wendungen und Kniffen könnte ich es immerhin hinkriegen, mich als etwas Ähnliches wie einen Antihelden darzustellen, aber das wird schwierig. Nicht einmal zum richtigen Außenseiter reicht’s, es sei denn, einen wirklichen zeichnet aus, dass er nicht einmal als Aussenseiter gelten kann. Heldinnen und Helden aber sollten tragische Schicksale haben und zu lauter Sachen getrieben werden, durch die sie am Ende zu einer lächerlich scheinenden Art der Erlösung gelangen, dem Tod zum Beispiel.

Rundherum tummelt sich aber erst einmal der Frühling, es wird nicht gestorben, nicht einmal geschlafen, und so eile ich heim zum abendlichen Kaffee. Der Schlaf soll ferngehalten werden, da sind nämlich zwei Dinge, die ich nicht mag und ausstehen kann, und die wären: schlafen und aufstehen müssen. An keinem Abend empfiehlt Zufriedenheit sanfte Ruhe, an keinem Morgen begleitet Freude das Aufstehen. Die Nächte aber werden nicht romantisch durchwacht, sondern vergehen, weil sie es müssen. Vor ein paar Jahren noch zeugte ein voller Aschenbecher von Schlaflosigkeit, jetzt rauche ich viel weniger, getrunken wird auch nicht mehr. Am Ende ist es also recht prosaisch, mein Sträuben gegen Schlaf und Wachen.

In den letzten Tagen sammelte sich die Sonne, sie bereitet ihr Beißen und Stechen vor, warum etwas dagegen haben, was damit anfangen? Die Menschen hier freuen sich darüber, zumindest wird es ihnen anempfohlen, mehr freundliche Worte gibt’s aber auch nicht. Mein verfärbtes Lächeln bekämpft die Einsamkeit mit gespitzten Zähnen, die Blicke der anderen, die sich nur auf der Bahn des blendenden Weiß zu den Menschen wagen. Nicht, dass ich irgendwem seine Gesundheit neiden würde, aber dank flächendeckender Außenwerbung für Quatschprodukte habe ich ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber zu viel Unversehrtheit entwickelt. Dadurch laufe ich Gefahr, Menschen mit guten Ernährungsgewohnheiten und regelmäßigen Arztbesuchen unrecht zu tun. Sei’s drum.

Ein wenig gebeutelt aufgrund recht profaner Entzugserscheinung neige ich eh zu Überreaktionen, das Leben mit Tabletten ist eben manchmal auch eines ohne, und Leichtigkeit sieht anders aus. Auch, wenn ich mir nichts in die Venen jagen muss fühle ich mich alt, nicht immer, aber oft, gerne nach dem Aufwachen. Oder aber dann, wenn eine fremde Person mich als ihr Heim betrachtet, wir aber nur Freunde sind, bessere Freunde vielleicht, was aber weniger ist als einfach nur Freunde … ach, es ist nicht einfach, und noch schwerer mit einem Menschen. Nur zu oft sende ich die Sonne fort aus meinen Gedanken, da hat sie nichts zu suchen, Räder drunter und weg damit, hin und her lässt sich schieben, die Lebensfreude, die sie zu schenken vermag, Klappe auf und zu, da ist sie, weg ist sie, wir können nichts miteinander anfangen, es gibt keine Sinnschöpfung an dieser Stelle.

Dann also bald wieder der Sommer, sein Blinken und Blecken, er ist nicht sanft, der Sommer, er erhellt die Abende und man fragt sich, nanu, was beleuchtet er denn da, gibt es am Ende etwas zu sehen? Erwartungen werden erzwungen, schwierig ist es, sich zu verschanzen, er zwickt und piesackt, der Sommer, er denkt sich nichts dabei, und ich werde ihm auch dieses Jahr nicht auf die Schliche kommen, in diesem Bett, in diesem Zimmer, ab und zu in fremden Räumen.

Im Herbst steht dann mein Name auf einem Blatt und treibt weg, nicht auf einem Bach, in einem Rinnsal, so wird es sein, und dafür dann all das Leuchten? Die Bücher bejahen es, meine Plattensammlung scheint auch nichts dagegen zu haben, also wird da wohl etwas dran sein. Es wird wer etwas erlebt haben, oder zumindest daran glauben, etwas erleben zu können… irgendwo auf weiten Plätzen, zwischen all den Menschen wird sich ein Wind erheben, die Bäume schütteln und rennen, etwas streuen in meine Adern und meine Nerven von dem Flackern befreien.

„Summerteeth“ von Wilco erschien 1999 via Reprise Records / Bildrechte: Lissy Elle (Portfolio hier)

Weitere aktuelle Kurzgeschichten:
Die neue Seltsamkeit. Ein Abschied (zu Tocotronics „K.O.O.K.“)
Alleine mit dem Krug am Tresen oder: Romantik mal anders (zu The Walkmens „You & Me“)

2 Kommentare zu “In A Future Age”

  1. Pascal Weiß sagt:

    Trotz all der Traurigkeit musste ich auch beim dritten Lesen wieder einige Male herzlich lachen. Gefällt mir richtig gut, die Story. Unser Humor scheint jedenfalls nicht so weit voneinander entfernt zu sein:
    Was dafür spricht: in mir kam ein das Buch betreffender Gedanke auf, ein erster Satz, nämlich: „Ach, das gibt’s auch als Buch?“. Aber das ist ja dumm, Capote hat’s geschrieben, und ich denke nur an Audrey Hepburn, kenne nur den Film, das Buch aber nicht, und woran sollte ich also denken, wenn nicht an Audrey Hepburn? An das Buch wohl kaum (kenne ich ja nicht)…
    Nicht nur an dieser Stelle musste ich zudem ein wenig an Herrn Regener denken;)

  2. schon allein das „dritte mal lesen“ ist lob genug, da bedanke ich mich doch recht herzlich!

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