Rehgleich: Agnes Obel in Hamburg

Agnes Obel ist eine schüchterne junge Frau und das, obschon sie mit ihrem Debüt-Album „Philharmonics“ große Erfolge feiern kann. Auf der Bühne wirkt sie stets präsent, jedoch auf eine entrückte, scheue Art. So auch heute Abend in der Fabrik im Hamburger Stadtteil Ottensen.

Die Location ist intim und entspricht folglich der Musik der hübschen Dänin. Einziger Wermutstropfen sind die tragenden Holzbalken, die teilweise die Sicht auf die Bühne behindern. Darüber hinaus ist die Fabrik heute sehr gut besucht, so dass nicht wenige Besucher mit Stehplätzen Vorlieb nehmen müssen. Der Rest macht es sich auf Bänken und kleinen Sitztribünen bequem, einige legen sich auf die knarzenden Tische, die in einem kleinen Nebenfoyer aufgestellt sind und schließen für eineinhalb Stunden die schweren Lider. Das Publikum ist heute bunt gemischt: Vom Erstsemester bis zum Oberstudienrat, jeder ist willkommen, der ein Herz für klassischen Piano-Pop der nonchalanten Art hat.

Um kurz nach Neun nimmt Obel am schweren, schwarzen Flügel Platz, der an prominenter Stelle im Raum steht. Begleitet wird die mittlerweile in Berlin lebende Musikerin von Anne Müller, die heute Abend hauptsächlich als Kontrabassistin fungiert, für einzelne Stücke aber auch zu Akustikgitarre und Melodica wechselt. Dadurch ist gewährleistet, dass den Stücken ein etwas prunkvolleres Gewand verliehen wird, sie gewinnen an Live-Präsenz, wirken greifbarer und weniger entrückt als auf Platte.

Zu Beginn des eineinhalbstündigen Konzerts stellt sich Agnes Obel kurz vor; eine Begrüßung, die so leise und zaghaft erklingt, dass man sie kaum versteht. Eine große Entertainerin, eine Büttenrednerin ist an ihr wahrlich nicht verloren gegangen. Was nicht weiter tragisch ist: Nach einer kurzen Piano-Ouvertüre eröffnet sie mit dem herrlichen Titelsong ihres Debüts ihr Live-Set. Das bekannteste Stück – „Just So“ – erklingt ebenfalls zu früher Stunde und wird in einer deutlich veränderten Version dargeboten. Die Begleitmusikerin Müller gibt ihr Bestes, um die Stücke bedächtig, aber mit Nachdruck anzustupsen.

Besonders gelungen sind live vor allem „Brother Sparrow“, laut Obel ein Lied, dessen Bedeutung ihr selbst noch nicht so klar ist, sowie das John-Cale-Cover „Close Watch“, das live ebenso wie auf Platte keine Gefangenen macht. Ihre Finger tanzen über die Klaviatur, die Stücke suchen nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner aus Piano und Pop und finden den Weg ins Herz der Hörer und Hörerinnen. Und da Obel bislang erst eine LP veröffentlicht hat – die im Übrigen fast komplett gespielt wird – und damit noch kein ganzer Abend gefüllt ist, werden neue Stücke (unter anderem der sinnig betitelte „New Song“) und Traditionals („Katie Cruel“) eingestreut, die hervorragend ins bisherige Œuvre passen.

Irgendwann ist Schluss. Und zwar nicht, weil Obel und Müller keine Lust mehr haben oder das Publikum mit gerümpften Nasen den Konzertraum verlässt. Nein, die eigentliche Begründung ist weitaus profaner und irgendwie auch herrlich süß: Obel hat alles gespielt, was sie spielen kann, verspricht aber, für den nächsten Auftritt in Hamburg etwas mehr zu können. Mit glänzenden Augen und rehgleicher Aura nimmt sie den Applaus der Zuhörer entgegen. Und entschwindend ohne große Gesten hinter der Bühne.

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