Der amerikanische Midwest, die weite, überwiegend flache Fläche zwischen den Küsten, kann in seiner Isolation sehr aufs Gemüt schlagen. Er ist voller kleiner Städte, die bei extremer Witterung im undurchdringlichen Schnee noch kleiner werden, selbst Columbus, die Hauptstadt von Ohio, trägt mit fast 800000 Einwohnern den Titel der „größten Kleinstadt Amerikas“. Derartige Beengung kann im Extremen zu resignierter Melancholie führen – oder zu lautstarken Trotzreaktionen.

Letzteren Weg wählten die Artschool-Kids von Times New Viking, als sie, frustriert von den Klüngel-Netzwerk-Strukturen der Galleriewelt, bemerkten, dass sich musikalische Werke weitaus leichter einem interessierten Publikum präsentieren lassen als Bilder und Skulpturen – man muss sich nur auf eine Bühne stellen und loslegen. In punkiger Zerstörungslust gefiel sich ihr Noisepop darin, die Grenzen des Hörerträglichen auszuloten und forderte die ihm Zuhörenden heraus, die eingängigen Songs inmitten thrashender Übersteuerung ausfindig zu machen. Doch der Feind aller Punks ist, wie jede Fotogallerie zu bestätigen weiß, das Altern – nicht nur für den Körper. Ändern sich die Perspektiven und wird die Welt mit relativer Milde betrachtet, so verliert die innere Zustände reflektierende Kunst nur allzu oft ihren aufgedrehten Reiz ohne dafür anderweitig zu kompensieren.

Auch für Times New Viking lässt sich der Reifungsprozess nicht leugnen. Die kratzbürstigen Jungspunde, die 2005 mit „Dig Yourself“ die Wiederbelebung des altehrwürdigen Siltbreeze-Labels und das Lo-Fi-Revival starteten, steuern mittlerweile auf die 30 zu. Zum ersten Mal haben sie eine ernstzunehmende Webseite (die erste, kaum genutzte Domain hat sich längst ein Anbieter homoerotischer Erwachsenenunterhaltung unter den Nagel gerissen), von Matador sind sie zur nicht minder renommierten, aber weniger wilden Indiegröße Merge gewechselt und zum ersten Mal haben sie ein Album nicht im heimischen Lotterkeller, sondern in einem professionellen Tonstudio aufgenommen. So braucht man man beim Hören von „Dancer Equired“ nicht wie üblich Sorge zu tragen, vor dem Abspielen die Lautstärke auf zwei Drittel zu reduzieren um nicht vor Schreck an die Decke zu springen. Billigorgelquarzen und entstelltes Gitarrensägen heulen nicht mehr aus dem Lautsprecher, auch klingt Adam Elliotts Schlagzeug erkennbar wie ein solches anstatt einer mit Suppenkellen attackierter Blechtonne.

Vor allem geht das Album aber erfreulicherweise den Weg weiter, der sich auf „Born Again Revisited“ mit dem herrlich verregneten „Move To California“ und mit ihrem 2009er Velvet-Underground-Coverkonzert angedeutet hatte. Entsprechend weniger aggressiv und provokativ ist die Attitüde von „Dancer Equired“, der Beth Murphy nicht nur merklich mehr Gesang als zuletzt, sondern auch eine zweite Gitarre statt ihres Dudelkeyboards beisteuert. Times New Viking widmen sich Midwest-Melancholie und der Vergänglichkeit sozialer Kontakte, Songs wie „Want To Exist“ wollen aber auch die guten Momente einer Beziehung wertschätzen, selbst wenn irgendwann alles ein Ende haben wird. Für derart Zwischenmenschliches bietet die aufgeräumte Produktion die nötigen Freiflächen, doch auch wenn das mit seinem körnig hallenden Gesang bezaubernd niedergeschlagene „No Room To Live“ mit Akustikklampfe aufwartet ist „Dancer Equired“ nicht fleckenfrei, das Trio schrammelt und jangelt immer noch durch verzerrende Pedale.

So wechselt sich spröde Kaputtheit („More Rumours“) mit munter dudelnden Clean-ness („Don’t Go To Liverpool“) ab und wer gar nicht ohne ein bisschen Randale kann, dürfte sich mit dem grandios betitelten Abholzer „Fuck Her Tears“ bedient fühlen. Vor allem aber hat die Reife Times New Vikings Humor und Hintersinn keinen Abstrich getan. Die bewusst buzzcockige Phrase „Ever Falling In Love“ taucht anstatt im gleichnamigen Song erst sechs Tracks weiter im Refrain auf und in „Want To Exist“ wird das epische Finale von „Under Pressure“ am Rande der Verklagbarkeit plagiiert, wenn Beth Murphy in verdächtig ähnlichem Tonverlauf „Someday, one day, we’ll have to change our ways…“ anhebt, dass man schon „…of caaaring about ourselves“ einfallen will, bevor sie fintig eine andere, intimere Richtung einschlägt: „…but you’re here right now. And I’m still around“. Es sind zahlreiche Momente wie dieser, die aufzeigen, wie Times New Viking den vermeintlichen Feind Älterwerden überwunden haben: Mit Herz.

73

Label: Cooperative

Referenzen: Eat Skull, Yo La Tengo, Pavement, The Velvet Underground, The Clean

Links: Homepage | Soundcloud

VÖ: 29.04.2011

2 Kommentare zu “Times New Viking – Dancer Equired”

  1. Pascal Weiß sagt:

    Die Rezi macht mir mal so richtig Lust auf die Platte. Danke, Uli.

  2. Bastian sagt:

    An „Rip it off“ kommen sie wohl nicht mehr ran, aber immerhin wieder deutlich besser als die Letzte, hehe.

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