Robag WruhmeThora Vukk

Es ist einfach sinnvoll: Worte zu erfinden, um Situationen damit greifbar und erklärbar zu machen. Wir hätten da ein paar geklaute Vorschläge: „DISCONFECT (dis kon fekt‘); To sterilize the piece of candy you dropped on the floor by blowing on it, assuming this will somehow „remove“ all the germ.” Oder: “PUPKUS (pup‘ kus); The moist residue left on a window after a dog presses its nose to it.” Unter Robin’s Web findet man eine Vielzahl von Neologismen, die spezielle Gegebenheiten in formschöne Sprache wandeln. Worte, die man nie vermisst hat, die aber dennoch fehlen.

Robag Wruhme ist auch so ein Sprachtüftler, der versucht, seinen instrumentalen Klängen eine Fassung zu geben, eine Richtung, einen bestimmten Drall. Um Empfindungen zu stimulieren und Assoziationen zu ermöglichen – ohne dabei konkret zu werden. Auf seiner Tracklist wimmelt es von Wortneukreationen, seine Songs heißen beispielsweise exotisch „Thora Vukk“ oder schroffer „Bommsen Böff“, wenn gar vermeintlich auf globale Vernetzungen abzielend „Pnom Gobal“. Seine Tracks ziehen im Gleichschritt mit, sind viel mehr, als sie zunächst erahnen lassen. Denn was Gabor Schablitzki alias Robag Wruhme anbietet, das ist im Grunde ein bloßes Gerüst aus schnödem Techno. Die wirkliche Macht liegt in den Details, die er aber ebenso sorgsam wie verschwenderisch auf die Titel kleckert und die dieses Album deswegen mit Hörbefehl ausstatten.

„Wupp Dek“ gibt sich zu Beginn gleich selbstironisch. „Like it, like it, like iiiit“ träufelt eine zerdehnte Stimme mal dumpf, mal selbstüberzeugt ins Ohr, während digital Flächen gebrochen und verdreht werden, was die Beats kaum stört, die ziemlich unbeirrt ihrem trockenem Takt folgen. Der anschließende Titeltrack klimpert da schon etwas unsanfter über die Beats, die inzwischen etwas saftiger, dumpfer und muskulöser auftreten – und dennoch das Nachsehen haben, denn die gefilterten Klänge aus schweren Holzxylophonen und sich kreuzendem Metall bestimmen das Klangbild nach ihrem Gusto. Die Grenzen zwischen digital und analog geraten aus ihren Fugen, gestalten sich diffus und uneindeutig. Sind das tatsächlich Küchenutensilien im fünften Track – oder eine bloße digitale Fata Morgana, ein Produkt aus cleveren Plug-Ins und Gestaltungsmöglichkeiten des Laptops?

Wenn „Thora Vukk“ ein Täuschungsmanöver ist, dann ist es in dieser Hinsicht überragend erfolgreich: Seine (leider recht vielen) Interludes heißen „Brücken“ und  sind synthetische Blenden und zufällig gekleckste Klänge aus Veranda, Wald und Wiese, die Gabor mit freundlicher Unterstützung seiner Aufmerksamkeit in sein Mikrofon hat träufeln lassen. Vielleicht. Auch, ob die kruden, metallenen Klänge beim zentralen „Pnom Gobal“ tatsächlich hölzernes Schlagwerk, echte Streicher und Nonsens-Stimmen konterkarieren, bleibt wohl ein nie gelöstes Produktionsgeheimnis, das sich in der Idee der Nichtverortung gefällt. Was übrigens für das komplette Album gilt, was genuin eher für den Hausgebrauch und Kopfhörereinsatz konzipiert zu sein scheint, aber in den feingliedrigen Klubtracks durchaus aus das After-Hour-Partypotenzial ausreizt, wenngleich dann doch die Zuhörtitel überwiegen. Zu kleinteilig und detailliert werden hier Reize gesetzt, Rhodes-Klavierklänge eingeflochten und eher bedächtig, aber auffällig, mit Samples gearbeitet. „Thora Vukk“ wirkt dabei nie überladen, versprüht eine Luftigkeit, die Intimität und offene Resonanz vereinbaren kann, ohne dass es konstruiert wirkt.

Sehnsucht und Verzehrung sind immanent. Mollklänge und Stimmfragmente, die sich wie bei „Tulpa Ovi“ einer Gruppenästhetik bedienen, aber dann sorgsam verbannt und dem Beat ausgeliefert werden, den ein jeder zur Einkehr befugt, der sich noch vor Sekunden ein wenig dem hymnischen Gefühl hingegeben hat. Überhaupt, für ein Technoalbum ist „Thora Vukk“ unglaublich persönlich, melodielastig und mit einer sympathischen Schönheit gesegnet, die man nur allzu gern öfter hören würde in den meist doch eher aufgeräumten und tanzmaximierten Produktionen der Kollegen. Vielleicht spielt es eine Rolle, dass sich Robag Wruhme erst gar nicht auf diese Art des Musizierens fokussiert, sondern eher das Gleichgewicht, das Elegante und gleichzeitig Verspielte sucht. Er will gar nicht wahrgenommen werden als progressiver Beatmacher oder angesagter DJ; das befreit ihn von Zwängen und eröffnet gleichermaßen die Möglichkeit einer erwachsenen und vielseitigen Produktion, die ambiente und atmosphärische Passagen im Wechsel mit aufgedrehten abspult, was Abwechslung ermöglicht, auch wenn der Grundfluss durchaus etwas aufgekratzter hätte sein können. Was aber letztlich spätestens beim wunderschönen Schlusstitel „Ende“ jedoch keine Rolle mehr spielt, in dem Klavierklänge, Samples, Beats und Stimme eine Einheit bilden, die persönlicher Kolorit abermals aufwertet: Gabors Sohn darf ein paar Takte sprechsingen, was dieses Album erst recht sympathisch macht. Musik, die der humanistischen Theorie nahe kommt: Auf das Menschsein konzentriert, mit Würde und Güte eingespielt und aus dem Vollen schöpfend.

79

Label: Pampa

Referenzen: Wighnomy Brothers , Claro Intelecto, Hauschka, Kollektiv Turmstrasse, Guillaume & the Coutu Dumonts

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VÖ: 29.04.2011

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