Als Patrick Zimmer alias finn. zum ersten mal in mein Leben trat, muss ich wohl ungefähr 17 gewesen sein. Mit der Regionalbahn hatten wir uns damals nach Hannover aufgemacht um die Hamburger  Postcore-Indierocker von  Marr, damals auch die bessere Hälfte von Tomte, zu sehen. Ich kann mich jedenfalls noch daran erinnern, dass wir, bevor Marr endlich die Bühne betraten, eine gefühlte Ewigkeit lang eine grauenvolle bierbäuchige Progmetalband, offenbar die Gewinner irgendeines örtlichen Bandcontests, ertragen mussten, auch daran, dass wir auf dem Rückweg vor plötzlich auftauchenden, freilaufenden Hunden davonlaufen mussten und dass wir die letzte Bahn zurück nach Hause nur ganz knapp erwischten.

Am eindrucksvollsten in Erinnerung geblieben ist mir jedoch finn., wie er ganz alleine das erste Konzert des Abends in der sich langsam füllenden, ziemlich uncharmanten, ehemaligen Lagerhalle bestritt. Ein verträumt wirkender, zierlicher Mensch mit leicht verwuschelter Prinz-Eisenherz-Frisur, der es unterstützt durch einige Visuals, mit reichlich Kopfstimme, einer Gitarre und zaghaft atmosphärischer Elektronik schaffte, einen melancholischen Zauber über diesen Abend zu legen, der für mich noch lange nachwirken sollte. So oder so ähnlich mussten sich, zumindest in meiner Vorstellung auch Sigur Rós-Konzerte anfühlen. Die finn.-Alben „Expose Yourself To Lower Education“ und vor allem der Nachfolger „The Ayes Will Have It“ waren Indietronica auf der Höhe ihrer Zeit, atmosphärisch, mal trübselig, mal leichtfüßig und fast immer sehr zerbrechlich. Den Button mit dem niedlichen, kleinen Männchen drauf, den ich nach dem Konzert am Merch-Stand erwarb, trug ich noch lange Zeit immer und überall an meiner Jacke bis er schließlich verloren ging. Und sowie den Anstecker verlor ich auch finn. und seine Musik letztendlich irgendwann aus den Augen. Von Hannover hingegen bin ich auch bis heute immer noch nicht so ganz weggekommen.

Nun, ein gefühltes Leben später, liegt plötzlich dieses Album vor mir (nunja, zumindest in digitaler Form). „I Wish I Was Someone Else“ heißt es und als wäre in all den Jahren nichts passiert, ziert das schwarzweiße Männchen wieder das Cover, nur sein Gesicht fehlt auf mysteriöse Weise. Der Blick auf die Tracklist lässt dann allerdings Ungutes erahnen. „Love Is In The Air“, Private Dancer“, „Dancing With Tears In My Eyes“, ein Coveralbum also und zwar eins der beliebten aber mittlerweile ziemlich durchschaubaren Sorte „Indiemusiker covern Mainstreamhits“. Ob das wohl nochmal funktioniert? Der zweite Schock setzt gleich nach den ersten Takten des Openers „Don’t Dream It’s Over“  ein. Verschwunden sind all die sphärischen Electronica-Spuren und zaghaften Pluckerbeats, die den alten finn. zu einem großen Teil ausmachten, geblieben sind ein verlässlicher Hang zum Kitsch, minimalistische Gitarrenakkorde, Lofi-Rauschen und Patrick Zimmers traurig säuselnde Kopfstimme. Aus dem einstigen Indietronica-Prinzen ist ein reduzierter, um nicht zu sagen schnöder, Lagerfeuerromantiker geworden.

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Man mag Zimmer die nötige Sensibilität und die Gefühle nicht absprechen, die er jedem dieser 13 Klassiker widmete, doch auch wenn ein einzelner von ihnen sicherlich so manchem Konzertabend das i-Tüpfelchen aufgesetzt hätte, ein ganzes Album tragen tut all dies nicht wirklich. Zu simpel und einförmig sind die meisten seiner Interpretationen, die sich schon bald zu einem etwas überzuckertem und ansonsten ziemlich faden Einheitsbrei vermengen. „I Wish I Was Someone Else“ plätschert unspektakulär vor sich hin und vollbringt das Kunststück, ausnahmslos jede seiner Vorlagen in ein gefühlvoll einlullendes Schlaflied zu verwandeln. Was bei solchen Originalen wie Bob Marleys „I Shot The Sheriff“ oder „Kiss“ von Prince dann durchaus auch mal Respekt abverlangt. Ein einsames Highlight in diesem Reich der rosaroten Wolken stellt „Crying In The Rain“ dar, welches mit Dirk von Lowtzows Märchenonkel-Barriton einen geeigneten Konterpart zu Zimmers Kopfstimmen-Gesäusel aufbietet. Und auch die Serge Gainsbourg-Variation „Ne Dis Rien“ überzeugt in starkem Kontrast zum Rest des Albums mit symphatischen Schul-Französisch und zweistimmigen Gesang.

Ich weiß nicht, ob es wirklich ratsam oder richtig ist, die eigene Vergangenheit manchmal einfach ruhen zu lassen. In diesem Fall aber klingt die vermeintliche Neuauflage allerhöchstens wie ein schaler Abgesang auf eine Zeit in der Konzerte in Städten wie Hannover noch die Welt bedeuten konnten.

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Label: Sunday Service (Indigo)

Referenzen: Norman Palm, Maximilian Hecker, José Gonzales, Gary Jules, Aqualung, Chris Garneau

Links: Homepage, MySpace

VÖ: 29.04.2011

6 Kommentare zu “finn. – I Wish I Was Someone Else”

  1. virginia sagt:

    Warum machen so viele deutsche Bands schlechte Musik?

    Das Video ist grauenvoll.

  2. Pascal Weiß sagt:

    Verstehe ich auch nicht. Zumindest im elektronischen Bereich sieht es da deutlich besser aus.

    Aber umso höher ist die Einzigartigkeit von Element Of Crime einzuschätzen;)

  3. virginia sagt:

    Zum elektronischen Bereich kann ich mich nicht äußern. Da würde nur unqualifizierter Stuß bei rumkommen.

    Allerdings braucht man auch mal immer mal wieder so schnarchnasige Musik um dann gute Bands noch mehr würdigen zu können, weil sie sich einfach wohltuend abheben.

    Außerdem, schreibt doch mal mehr Verrisse hier. Die sind so schön zu lesen ;-)

  4. Ah, Verrisse. Was wären sie doch um etliches angenehmer zu schreiben, wenn man dafür nicht die Musik hören müsste.

  5. virginia sagt:

    Dann schreibt sie blind. Mutmaßt einfach, die Band wäre schlecht.

  6. Lennart sagt:

    Stimmt. Dann wäre auch der Vorwurf, man sei ignorant, unerheblich da offensichtlich. Das Video aber fetzt.

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