Jamie WoonMirrorwriting

Wer von ungefilterter Mainstreamsoul-Gefühligkeit die Ohren voll hat, darf sie mal in Richtung Jamie Woons richten. Hier geht es durchaus romantisch zu und trotzdem ein wenig überlegen und kühl, was dem Fakt geschuldet ist, dass dieser junge Engländer ein ums andere Mal reflektierter und bedächtiger mit den Sehnsuchts-, Gefühls- und Empathiethemen umgeht als so viele seiner Kollegen und Kolleginnen, die die Charts mit aufgeblasenem und buntpoliertem R’n’B und oktavverschlingendem Soul fluten. Wer überstreckte Melismatik mag – das so typische Zerdehnen einer Silbe über etliche Tonhöhen – oder kondomige Anschmiegsamkeit, wird hier glücklicherweise nicht fündig.

Jamie Woons „Mirrorwriting“ ist im sicheren Bewusstsein geschrieben, dass es das Fehlen und der drohende Verlust sind, die eine Begebenheit ambivalent, aber umso intensiver machen. Gewiss, das ist eine Erkenntnis, die nicht neu ist und der es sicherlich auch keine 27 Jahre Lebenserfahrung bedarf, jedoch gelingt ihm eine musikalische Neuformulierung, die ohne die überspitzte Variation des Kessen und das Modell der gefühlsechten Vollsentimentalität auskommt, die diesen Bereich weiterhin prägen. Sein elektronisch angefixter Soulpop verschränkt dunklen, samtigen Gesang mit feinkörnigen Beats, die oft die Konsistenz von Nieselregen haben: Nass wird man zwar trotzdem, aber auf eine angenehme Art und Weise. “I’ve acquired a taste for silence /  Darkness fills my heart with calmness”, singt er und gibt dabei ganz nebenbei die Formel dieses Albums preis.



Night Air

Gleich zu Beginn gibt es zwar ein Ablenkungsmanöver in Form des rabenschwarzen „Night Air“, der aus dem letzten Jahr bekannten Single, deren dumpfe Bässe Co-Produzent Burial als schwere Nebelschwaden auf ausgestellt glanzpolierte Hochhausfassaden prallen lässt. Bereits „Street“ dimmt jedoch im Anschluss die Atmosphäre etwas freundlicher; die Beats versprühen trotz stetem Fluss nie Hektik oder eine unpassende Angestrengtheit. Auf eine ganz subtile Art versprüht „Mirrorwriting“ fast durchgehend majestätische Erhabenheit, was ganz einfach daran liegt, dass Jamie Woon ein fantastisches Gespür für eine innere Balance von Songs hat, die selbst dann nicht versagt, wenn es um die Kopplung von vermeintlich Unvereinbarem geht.

Die großartige Single „Lady Luck“ tänzelt losgelöst zu pluckernden Beats, „Shoulda“ verschwindet mit dem Hall, der hier sowieso auf Albumlänge mit Sekundenkleber auf die Stimme gepappt wurde, ins Wolkige. Dieses Werk lebt zu einem gewissen Grad von dieser unaufdringlichen Schwerelosigkeit, die es durchfährt und die trotz Krümeln von Tanzbodenmelancholie immer eine Restwärme ausstrahlt, die es gleichzeitig aufgrund der unterkühlten Produktion verneint. Einzig der wohlig temperierte und fast klassische Gospelsong „Spirits“ darf hier als Ausnahme gelten. Im doppelten Sinne, denn er bekennt sich mit Backgroundchören und pathetischen Gesten zudem hemmungslos zur Tradition des Genres, während sich der Rest im Hier und Jetzt verortet.

Jamie Woon hat überdies keine Angst, eine gewisse Zartheit auszustellen, die über weite Strecken auch so angenehm im Ohr kuschelt wie „Feine Milde“ von Tchibo am Gaumen. Aber an zwei, drei Stellen übertreibt er dann doch und greift zudem zur entkoffeinierten Variante, die beispielsweise „Spiral“ zu einem entkräfteten und schlappen Haufen zusammenfallen lässt. Der anschließende Track verwässert sogar mit Mainstream-Appeal die sorgsam aufgebaute Identität, die bis zum Schluss mit Ausflügen ins Ambiente und Halbakustische errettet werden soll, aber diesbezüglich kaum mehr Impulse setzen kann und nur noch mit ein paar aufgesetzt romantischen Wendungen lockt. Textlich ist dieses Werk sowieso dem Profanen und Sehnsuchtsvollen zugetan. „Looking for the point where you end and the place where I begin”, heißt es in “Spiral” und gibt ein bisschen distanzlosen Zucker, der aber nie Opium und Ersatz für die eigene Empfindung sein will. Letztlich ist die große Stärke dieses Album jedoch die helle und klare Produktion sowie die Autorität des spannenden Songwritings, das besonders auf der ersten Hälfte mit einnehmenden Melodien nicht geizt und „Mirrorwriting“ zu einem hinreißenden Werk aktueller Popmusik schleift.

80

Label: Polydor

Referenzen: Junior Boys, Darkstar, Justin Timberlake, Joy Orbison, The Weeknd, Robin Thicke

Links: Homepage | Facebook | MySpace

VÖ: 19.04.2011

2 Kommentare zu “Jamie Woon – Mirrorwriting”

  1. Rinko sagt:

    Jap, sehr schönes Album. Wurde ja schon letztes Jahr als großer Newcomer gehandelt und wie man nun sieht zurecht. :)

  2. […] als Art Department, forciert durch fast flächendeckenden Einsatz von Gesang (u.a. von Jessie Ware, Jamie Woon und Edward MacFarlane von Friendly Fires) eher den Popappeal als den Darkroom in den Vordergrund. […]

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum