Ja, PanikDMD KIU LIDT

Was macht man, wenn man erkannt hat, Teil eines Systems zu sein, das die Welt zu zerstören droht? Wenn das eigene Tun nur zur Restauration taugt, aber ganz bestimmt nicht zur Lösung beiträgt?

Ja, Panik haben eingesehen, dass Popmusik nichts weiter als ein bisschen Kling-Bim und Tralala ist und ziehen eine Konsequenz: 8 Minuten Schweigen, am Ende des Titelliedes und Albumabschlusses „DMD KIU LIDT“. „Save the planet, kill yourself“ hieß es im Opener „This Ship Ought To Sink“, 67 Minuten später machen sie ihren Vorsatz war. Keine Popmusik mehr und schon gar keine traurige, denn die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit. Zum Glück hatten Ja, Panik schon immer eine Vorliebe für Selbstdemontage, Verwirrung, Ironie, Kapitalismuskritik, Identitätssuche und nicht zuletzt für die Musik. Denn der ist es zu verdanken, dass die Stille erst mit einer über einstündigen Verspätung eintritt. Für Konsequenz standen Ja, Panik noch nie, Diskurs und Spiel ist ihr Spezialgebiet, Postmoderne in Reinform.

Wahrscheinlicher jedoch würden sich die 5 Burgenländer sehr amüsieren, würden sie diese Deutung hören. Denn die Frage nach dem theoretischen Unterbau ihrer Musik ist auch immer die Frage, wie ernst oder humorvoll man diese Band betrachten sollte. Interpretiert man zu viel, zu ernst, fällt man auf ein Dylaneskes Identitätsverwirrspiel hinein? Für den Ernst und den Intellekt früher Blumfeld-Alben ist die Musik Ja, Paniks zu hochgestochen, „DMD KIU LIDT“ stellt sich ohne Demut in die Tradition von „Ich Maschine“ und „Monarchie und Alltag“, zudem singt Andreas Spechtl mit einem bewusst arroganten, belehrenden und anmaßenden Ton, der an die Künstlichkeit eines Falco erinnert, und nicht an die Ehrlichkeit von Jochen Distelmeyer.

Andererseits steckt in den Texten und in der feinfühlig arrangierten Musik doch zu viel Wahrheit, um das alles als bloßes Spiel abzutun. Wenn man es mit Ja, Panik zu tun hat, weiß man nie, woran man ist, muss permanent hinterfragen, wie man auf diese Musik reagieren soll. Das Gefühl, dass die Band einem immer eine Nasenlänge voraus ist, spürt man bei „DMD KIU LIDT“ so stark wie nie. Das liegt einerseits an der Musik. Hektik und Hysterie sind Harmonie und Melodie gewichen.

Tatsächlich hat man das Gefühl, Ja, Panik klängen so sehr nach sich selbst wie noch nie, als hätten sie alles, was sie ausmacht, extrahiert und das Störende entsorgt. Herausgekommen ist eingängige, ja, massentaugliche Popmusik. Welch eine Überraschung, würde man diese Gruppe doch eher mit Exzess und Destruktion in Verbindung bringen. Andreas Spechtl klärt in dem vielleicht besten Song „Nevermind“ auf, was es damit auf sich hat: „Ich lerne langsam sprechen und dass man sich nicht selbst zerstört.“ Doch gleich darauf setzt er hinterher: „Doch vielleicht sollt‘ ich davon gar nicht lassen, es hat ja alles keinen Sinn / Der Hass hat sich schon so tief in mich gefressen, dass ich ganz verloren bin.“ Der Hass ist noch immer da, doch die Angst und die damit verbundene Panik scheinen überwunden zu sein. „Gone gone all the horror“ – Ja, Gelassenheit.

Womit wir auch schon bei der zweiten großen Stärke des Albums angekommen wären. Andreas Spechtls Texte sind auf diesem Album eleganter als je zuvor mit dem Englischen verbunden und trotzdem so persönlich wie nie. Er erwähnt Reisen, Begegnungen, charakterisiert im schon angesprochenen Stück „Nevermind“ in je einer Strophe die Bandmitglieder und setzt sich mit eigenen Krisen auseinander: „I could easily blame it on somebody, but it’s all to blame on me.“

Ausgangspunkt all dessen ist „DMD KIU LIDT“, ein Kunstbegriff, welcher ein allgemeines Unwohlsein beschreibt. Dieses Gefühl ist in jedem Stück spürbar, auch wenn es erst im 14-minütigen Finale benannt und entschlüsselt wird. Es ist einer der Sorte von Songs, deren Text man am liebsten auf einem T-Shirt tragen würde, weil er einem aus der Seele spricht. Ein Manifest in Form einer kaum enden wollenden Geschichte in der Tradition von Bob Dylan. „Ich bin mir langsam sicher und das ist gar nicht personell, die kommende Gemeinschaft liegt hinter unseren Depressionen / Denn was und wie man uns kaputt macht ist auch etwas, das uns eint“ stellt Spechtl fest, bevor er sich völlig in Rage singt und dabei immer intensiver deutlich macht, wie ernst und wichtig die Musik der Wahlberliner eben doch ist.

Groß ist der Reiz, noch weiter zu schreiben und der Entschlüsselung des Ja, Panik-Universums etwas näher zu kommen. Dieses Album hätte das Potenzial, die Feuilletons der Zeitungen für lange Zeit zu beschäftigen. Aber hören wir doch lieber auf Andreas Spechtl höchstselbst: „Du kannst zuhören oder gehen, nur sei still ach sei so lieb / Da kommen noch ein paar Strophen, an denen mir mehr als an allem anderem liegt.“ Wir warten.

88

Label: Staatsakt

Referenzen: Ton Steine Scherben, Falco, Hans Unstern, Christiane Rösinger, Bob Dylan

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VÖ: 15.04.2011

5 Kommentare zu “Ja, Panik – DMD KIU LIDT”

  1. Hype und so sagt:

    Pff… Nix da. Allein schon die englischen Texte sind wohl ein Witz. Und dann die Aussprache: „Wir in DSCHRABBL DSCHRABBL DSCHRABBL…“

    Der Gesang zerstört alles. Die Instrumentierung ist ja nicht von schlechten Eltern.

    Geht unter…

  2. Markus sagt:

    Keine Ahnung, wie das passieren konnte, aber „Nevermind“ ist bislang mein meistgehörter Song des Jahres. Überhaupt ist diese Platte hier in Einzelteilen genossen irgendwie fast besser als am Stück.

  3. […] den weiteren großen Highlights zählen Bon Iver, Ja, Panik, Matana Roberts, Robag Wruhme, Liturgy, 13 & God und die Fleet Foxes, die übrigens für das […]

  4. […] braucht auch einen nicht minder grandiosen Abschluss. Wäre da nicht bereits Ja, Paniks Manifest „DMD KIU LIDT“, Wilco hätten das Kunststück vollbracht, zugleich den besten Opener und Schlusstrack in diesem […]

  5. […] der Wechsel zwischen englischer und deutscher Sprache noch weit wilder als das, was zum Beispiel Ja, Panik in diese Richtung leisten. Exemplarisch: „A is the hardest part, B is better/ Wir sind so viel […]

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