Koreless: Balance und Beats

Es ist ein wehmütiger Rückblick: Keine zehn Jahre ist es her, da lief das superbe Video von Michel Gondry zur Chemical Brothers-Single „Star Guitar“ im Musikfernsehen. Auf VIVA, denn der alternative Schwesterkanal VIVA2 wurde 2002, kurz vor Veröffentlichung dieses Songs, aufgrund defizitärerer Bilanzen abgeschaltet und damit eine Ära beendet, deren Strahlkraft rückwirkend gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Heutzutage wäre „Star Guitar“ im Radio- und Fernseheinsatz undenkbar: Vier Minuten nervös geloopte, repetitive Instrumentalklänge, ein visionäres Stück Popkultur, das die Grenzen des Mainstreams ein wenig aufzuweichen vermochte.
2011 sind aus den Grenzen Betonwälle geworden. Der Mainstream definiert sich über zwei Minuten und dreißig Sekunden Dauer-Refrains, während im alternativen Sektor jegliche Möglichkeit durchdekliniert wird: Gerade im elektronischen Bereich wird so viel experimentiert wie nie zuvor. Der blutjunge, zwanzigjährige Lewis Roberts alias Koreless aus Glasgow macht da keine Ausnahme, auch wenn seine Tracks durchaus nicht so visionär wirken wie beispielsweise die ersten Tracks von James Blake, der einen ähnlichen Ansatz verfolgt: Reduktion, Minimalismus, Freiraum. Stille wurde zum höchsten Gut, Beats konnten gar nicht miniaturisiert genug sein, um das Maximum an Eleganz und Unaufdringlichkeit zu erreichen. Einzig „MTI“ sprengt bislang dieses Schema und verbeugt sich tief vor „Star Guitar“ von den Chemical Brothers, die Parallelen könnten auffälliger kaum sein: „MTI“ ist eine nebulöse Schlaufe blubbernder Beats, mit verzerrten Vocals und fast schon maschinellem Störfeuer ausgestattet. Ein Track, dessen Statik beeindruckt: Eigentlich gibt es bis auf wenige Laut-Leise-Passagen keinerlei Entwicklung, der Track verortet sich nicht im realen Raum, in der realen Zeit. Fast skulptural steht er im Raum, bemerkenswert austariert.
Koreless‘ Tracks sind auch immer eine Übung im Aufwärmen des kollektiven kulturellen Gedächtnisses. Echos und Referenzen an Brian Eno werden deutlich, zaghafte Annäherungen an Trip Hop und House und natürlich an das ganze Zeug, was man heutzutage unter Dubstep und Post-Dubstep subsummiert: Versetzter 2Step, pulverisierte Flächen und nächtlichen Atmosphären mit innerlich zerrissener Stimmungslage: Zwischen euphorisch und erschöpft, zwischen aufgewühlt und geplättet. Ein diffuser Mix, der den Umbruch zwischen Nacht und Tag passend einzufangen vermag. Koreless arbeitet dabei sehr instinktiv und unaufgeregt. „Up Down Up Down“ ist geprägt von einem hypnotischen Sog und minimalen Verschiebungen im Hintergrund, die sich bedrohlich anpirschen, dann aber abrupt abgeschnitten werden. „Maria“ ist ein romantischer Ambient-Track, seine Single „AD“ mit souligen Vocals geflutet, wie man es inzwischen oft hört.
Entsprechend ist er immer dann eine Spur cleverer als seine Kollegen, wenn er konsequent auf das Simple setzt, wenn er seine Songs in eine innere Ruhe versetzt, als flöße er ihnen tonnenweise Barbiturate ein. In dieser Friedlichkeit und Selbstgenügsamkeit liegt die visionäre Kraft, die Koreless in den nächsten Jahren und Monaten verfeinern und mit neuen Ansätzen versehen muss, um im umkämpften Producer-Bereich bestehen zu können.
Downloads: „Up Down Up Down“ | „Maria„
(Bild: Daniel Arsham | fantastisches Portfolio hier)
[…] die bisher in sich gekehrteste Veröffentlichung des 21-jährigen Roberts, der als Koreless seit 2009 mit diversen Singles, Kollaborationen und Remixen auf sich aufmerksam macht. Keiner der fünf Tracks wird von einem Beat […]