Dass sieben Songs manchmal völlig ausreichen, um einem Album trotzdem Aussagekraft zu verleihen, hat unlängst erst Josh T. Pearson bewiesen, auch wenn seine todtraurige Trunkenboldlyrik thematisch weniger diffizil daherkommt. Anders Callahan. Dieser nutzt seine sieben Stücke auf „Apocalypse“ für ein leidlich sinnliches Sittengemälde, welches musikalisch weit schärfer und abenteuerlustiger ist als es seine bisherigen Veröffentlichungen vermuten lassen.

Es ist jedoch zuallererst die Abkehr von der virtuosen Opulenz und vom barocken Glanz zu bemerken, die Callahan noch auf „Sometimes I Wish We Were An Eagle“ perfektioniert hatte. Statt natürlichen Pathos‘ wird hier nun auch schon mal, wenn auch dezent und in Einzelfällen, mit knarrenden Gitarrensaiten gegengelenkt oder auch so kraftvoll aufgespielt, dass es einem schon die Nackenhaare aufstellen kann.

Leben die frühen Smog-Alben und selbst seine unter eigenem Namen veröffentlichten Werke vor allem von der erzählerischen Stärke, wagt „Apocalypse“ mindestens einen Schritt mehr. Es wird gezogen und gezerrt und wirkt häufig auch ein wenig unbequem. Wenn er in „Drover“ wie der Rattenfänger von Hameln die Flöte erschallen lässt und dazu „My cattle bears it all the way for me and everyone“ intoniert, kann das als gesellschaftskritischer Moment aufgefasst werden. Der Hörer wird aber dennoch ständig im Dunklen gelassen, denn: Ein von politischer Brisanz gezeichnetes oder gar progressives Werk kann und will „Apocalypse“ nicht sein. Das wird schon beim musikalisch zweigeteilten „Baby’s Breath“ mehr als deutlich, in dem vor allem die zärtliche und fürsorgliche, ja sogar persönliche Seite überwiegt, bevor erst im hinteren Drittel die Handbremse musikalisch und textlich gelöst wird und Callahan den Fokus auf sein Land schärfer stellt.

Klar ist da dann auch noch „America!“, jener Song, der sicherlich auch auf dem letzten Randy-Newman-Album „Harps & Angels“ eine vortreffliche Figur gemacht hätte. Vordergründig lobpreisend, doch spätestens wenn das Gitarrenfeedback einsetzt, erkennt man den Ernst der Lage. Hier braucht Callahan nicht extra erst das Siegel zu brechen, die Botschaft kommt an und steht unumwunden wie ein Fels in der Brandung. Und doch kann sich der Musiker nicht eindeutig für eine Richtung festlegen: Wechselwarm, ja lau kommt von daher „Universal Applicant“ angeschlichen, gespickt mit symbolischen Tiermetaphern und mit entspanntem Duktus vorgetragen. Musikalisch sicherlich vielfältig, allerdings auch sehr aufmerksamkeitsbedürftig.

Manchmal wünscht man sich während der vierzig Minuten, die diese „Apocalypse“ andauert, wieder zurück zu den herrlich naturlyrischen Momenten des Vorgängers, dessen Stimmung am ehesten noch im wogenden „Riding For The Feeling“ aufgenommen wird. „Apocalypse“ ist dennoch ein sehr gutes, vielschichtiges und spannendes Album geworden. Es hat fast alle Zutaten, die ein modernes Songwriteropus haben sollte und doch: Die namensgebende Offenbarung bleibt ein Stück weit aus.

75

Label: Drag City

Referenzen: Smog, Randy Newman, John Cale, Vic Chesnutt, Leonard Cohen

Links: Labelseite | Albumstream

VÖ: 08.04.2011

Tourdaten:
* 12.05.11 (Do) in Köln (Stadtgarten)
* 13.05.11 (Fr) in Frankfurt/M (Brotfabrik)
* 14.05.11 (Sa) in Hamburg (Cafe Keese)
* 15.05.11 (So) in Berlin (Astra-Kulturhaus)

3 Kommentare zu “Bill Callahan – Apocalypse”

  1. Bastian sagt:

    Sah ich anfangs genauso, mittlerweile find ich’s aber fast genauso groß wie den überragenden Vorgänger. Müsste ich mich zwischen allen noch lebenden Songwritern für einen entscheiden, ich würde wohl Bill Callahan wählen.

  2. […] genießen. Dies wären zum Beispiel Panda Bear, Stephen Malkmus & The Jicks, Shabazz Palaces, Bill Callahan, Iceage, John Maus, Zola Jesus, Low, Okkervil River oder Zomby, um mal einige zu […]

  3. […] Vorgänger „Apocalypse“ hat vor zwei Jahren den Weg bereitet, den „Dream River“ nun noch konsequenter aufnimmt. […]

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