BibioMind Bokeh

Stephen Wilkinson war als Kind mit Sicherheit ein ziemlicher Quälgeist. Ein Zögling, der mit großer Freude die Puppen der Schwester köpfte und anschließend in Brand setzte, der versuchte, lustige Klänge aus kleinen Wirbeltieren zu quetschen und auch ansonsten nur Flausen und Unsinn im Kopf hatte. Natürlich wollen wir Wilkinson, den man vor allem unter seinem Künstler-Pseudonym Bibio kennt und schätzt, nicht der Delinquenz bezichtigen, doch sein neues Album „Mind Bokeh“ lässt kaum einen anderen Schluss zu: Bibio spielt gerne Streiche, zeigt anderen Personen die lange Nase und fühlt sich dabei ziemlich wohl.

Seinen endgültigen Durchbruch schaffte Bibio mit „Ambivalence Avenue“, welches im Frühsommer 2009 für leuchtende Augen in dunklen Sternennächten sorgte: Selten zuvor war elektronische Musik so wohlig-weich, ohne dem Etikett „Fahrstuhlmusik“ anheim zu fallen. Mit „Mind Bokeh“ streut Bibio nun Juckpulver ins gemachte Bett, denn so richtig geschmeidig ist seine sechste Platte nicht. Vielmehr spielt sie mit den Erwartungen des Hörers, klingt manchmal seltsam verspult.

Der Opener „Excuses“ lässt sich zwei Minuten Zeit, bevor sich der zurückhaltende Beat an die blubbernde Oberfläche traut, die hallenden Vocals legen sich über das Stück wie eine wenig wärmende Decke. Generell könnte man den Eindruck gewinnen, „Mind Bokeh“ sei eine etwas unterkühlte Platte. Die Herzlichkeit, mit der beispielsweise „Sugarette“ mitten zwischen die Schulterblätter traf, findet sich hier in den seltensten Momenten.

Und doch hat auch das neue Album seine großen Augenblicke: „Anything New“ ist aufputschende Frühstückscerealie fürs Ohr, stampft mit seinem Sample lässig auf der Stelle und schaut dabei recht erfrischend aus der Wäsche. Apropos Wäsche: „Take Off Your Shirt“ muss man mit seinem rockigen Geriffe nicht unbedingt gut finden, doch ein feiner Farbklecks ist das Stück ohne Frage. Und ziemlich dancefloortauglich obendrein. Man wird das Gefühl nicht los, dass Wilkinson alles recht ist, um ein zweites „Ambivalence Avenue“ zu verhindern, selbst wenn er den Hörer dabei etwas verstört.

Der beste Track der Platte ist jedoch „Artists’ Valley“ (auch in der Soundcloud), ein sechsminütiges Stück, dass mit seinen Ambientflächen herrlich benebelt und am Ende völlig aus der Spur gerät. Dabei erinnert der Song an „Cerulean“, das kleine Debüt-Feuerwerk von Senkrechtstarter Baths. Mit Sicherheit eine exzellente Referenz, schließlich ist Wiesenfeld ein ähnlicher Frechdachs.

70

Label: Warp

Referenzen: Baths, Teebs, Flying Lotus, Boards Of Canada, Clark

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VÖ: 01.04.2011

2 Kommentare zu “Bibio – Mind Bokeh”

  1. […] aktuelles Album “Some Cold Rock Stuf” sehr zu empfehlen ist) und flatterhafte Beats von Bibio. Dazwischen tummeln sich wie immer viele bekannte Namen: Foo Fighters, TV On The Radio oder die […]

  2. Hey Kevin, teile deine Einschätzung nicht ganz. Ich finde nicht, dass Wilkinson versucht, nicht nochmal eine Ambivalence Avenue anzubieten. Denn irgendwie tut er das ja. Beide Alben warten mit eingängigen Melodien, einem bunten, aber stilsicheren Genre-Mix auf und verzücken auch im Songwriter-Bereich. Gerade sein Songwriting hat sich stark gehalten, „Excuses“ und gerade „Pretentious“ finde ich textlich echt gelungen, stark doppeldeutig, aber zum Hinschmelzen direkt. Dennoch gebe ich dir Recht, dass sie Freude und Wärme von AA nicht mehr hürdenfrei geboten ist. Allerdings lässt sich auch dies widerlegen, höre man nur den Song „K Is For Kelson“. Whatever, diskussionswürdige Platten sind definitiv ein Hingucker. Ich finde diesen Typen einfach nur faszinierend und hoffe auf mehr Platten in den nächsten Jahren.

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