Joywave finden den Mittelpunkt des Pop

Es ist schwer zu glauben, manche haben es vielleicht befürchtet, aber ja: Music Instructor existieren tatsächlich noch, auch wenn dem deutschen Elektrodance-Projekt nach seinem Ultravox-Cover „Hymn“ eigentlich niemand mehr außerhalb der Szene Beachtung geschenkt hat. Die Erstbesetzung versucht sich darin an einer Art Analyse: „Ladies and Gentlemen, we would like to show you how to make a hit record.“ Die dann folgenden Erläuterungen wirken beim ersten Hinhören verblüffend plausibel, eigentlich fragt man sich, warum man den Song nicht gleich selbst geschrieben hat. Bis man drauf kommt, dass Music Instructor das auch nicht haben. Wenn ja, hätten sie wohl ein paar Sätze mehr gebraucht, um sich zu erklären. Es wird Zeit, das besser zu machen.

Nun steht dafür bei Joywave nicht der Song zur Verfügung, den gibt es ja schon, und es gilt ja, nicht gleich zu Beginn wieder den alten Gewohnheiten zu verfallen. „Golden State“ beginnt mit einem einfachen Pad Sound, einer kleinen Terz Atmosphäre. Ein zweiter Sound kommt hinzu, dieses Mal ist der Klang anders, erinnert entfernt an eine Orgel. Spätestens jetzt wird klar, dass der Titel noch mitten in der Exposition steckt, eine ausgedehnte Reverse Crash bereitet dem Rhythmus den Weg. Ab hier wird es unübersichtlich, es folgen eine mild abgestimmte British Combo und ein einfacher Schlagzeug-Beat, zeitgleich mit dem handgemachten, für so eine Produktion recht präsent abgemischten Bass, der sich zwar rhythmisch auf Zweier- und Dreiergruppen ausruht, aber das Gesamtbild deutlich in Bewegung versetzt.

Das sind übrigens die ersten fünfzehn Sekunden des Songs, noch bevor der Gesang einsetzt, nicht einmal ansatzweise vollständig beschrieben. Es fehlen etliche Hinweise zum Beispiel auf das Schlagzeug, dessen Hi-Hat entweder mehrfach durch verschiedene Filter gedreht wurde oder gar keine Hi-Hat ist und damit den ansonsten recht interessante Rückblenden erzeugenden Sound als neuzeitliches Objekt entlarvt. Auch über Dan Armbruster ist bis hierhin noch nichts gesagt, und über den Flughafen, den er meint, wenn er mit den Zeilen „I watch the sun come up over LAX / I watch the hills pour east to the plains’ attacks / as I glance myself and wipe my memory“ den Gesangspart einleitet. Überhaupt wird man in den Lyrics mit jeder Menge bekannter Bilder konfrontiert, die jedoch – genau wie die Strukturen des Songs als Ganzes – erkennbar aus einem bestimmten Grund auftauchen.

Für Sensationen ist es an dieser Stelle eigentlich schon zu spät, aber auch mit Blick auf die Formen versagen die New Yorker Joywave nicht, wenn das Schlagzeug nach dem Refrain plötzlich auf die Base reduziert und Armbrusters Stimme abgelöst wird durch einen wunderbar quirligen Synthesizer, der jetzt die Rolle der Melodieführung übernimmt. Das sind große Song-Momente, auch wenn „Golden State“ ansonsten nicht gerade mit Überraschungen glänzen mag. Wer möchte, kann den Titel ja covern und versuchen, ihn mit diesen Ausführungen zu unterlegen, die ja immerhin schon ein gutes Stück präziser sind als seinerzeit die von Music Instructor vorgelegte Hit-Anleitung. „Now we come to the end. Stay cool and enjoy the record.“ Ultravox’ „Hymn“ synthetisiert man damit nicht. Joywaves „Golden State“ schon gar nicht. (Stephan Kleiber)

Links: Joywave, „Golden State“ hier gratis laden

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