Der Liedschatten (08): Edith Piaf/Dalida: "Milord"

In Folge II des Liedschattens wurde versucht darzulegen, unter welchen Umständen man sich mit dem Gefallen am Schlager arrangieren könne, nämlich dann, wenn er uns als Chanson begegnet. Das war natürlich nur die halbe Wahrheit. Wollen wir ehrlich sein, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als ein Geständnis zu machen: gegen den Schlager ist nichts und niemand gefeit.

Doch keine Angst, dafür verantwortlich sind nicht irgendwelche allen angeborenen Sehnsüchte nach einem „Abschalten“ oder gar „Instinkte“ ansprechende, subtile Reize, die sich hinter Liedern von roten Gummibooten oder dem Tragen von Rüschenhemden verbergen, auch die Würdelosigkeit, in die Menschen im Rahmen von Feten verfallen, wird oft eher durch den Alkohol hervorgerufen als die albernen und oft schlau gemachten dummen Liedchen.

Ein kurzer historischer Exkurs oder: Die Angst vorm Schlager

Der Begriff „Schlager“ ist deswegen selbst gegen berechtigten Abscheu und besseres Wissen gefeit da er kein Genre benennt, sondern einfach eine Übersetzung des englischen Wortes „hit“ ist. Und ein solcher ist schlichtweg ein Werk in Liedform, dessen Erfolg „einschlagend“ ist. Dieses kann Teil einer Operette sein, Teil einer Revue sein, eines Kabarettprogramms, in einem Film vorkommen oder aber auch per Radio bekannt gemacht und verkauft werden, als Notenblatt vertrieben werden, in Gestalt einer volkstümlichen Weise oder aber auch als Rock’n’Roll aufgemacht sein, all das spielt am Ende keine Rolle. Mutige mögen sogar so weit gehen, „Hey Ya!“ von OutKast oder „Seven Nation Army“ der White Stripes als Schlager zu bezeichnen, Unrecht hätten sie nicht.

Die Frage, ob es sich bei einem Lied um einen Schlager handelt oder nicht, wird am ehesten dadurch beantwortet, wie der oder die HörerIn zu diesem kleinen, wendigen und ein wenig garstigen Wort steht, ob die betreffende Person zum Beispiel Adorno gelesen hat und mit missbilligend zusammen gekniffenen Lippen zustimmend nickt, wenn es bei diesem heißt: „Da die Kulturindustrie ihre Opfer dazu erzogen hat, in der Freizeit, die ihnen für geistigen Konsum zugemessen wird, Anstrengung zu vermeiden […], ist die perzeptive Fähigkeit durch die allgegenwärtigen Schlager so abgestumpft, daß die Konzentration verantwortlichen Hörens unmöglich und von Erinnerungsspuren des Blödsinns durchsetzt ist, […].“ oder auch „Schlager beliefern die zwischen Betrieb und Reproduktion der Arbeitskraft Eingespannten mit Ersatz für Gefühle überhaupt, von denen ihr zeitgemäß revidiertes Ich-Ideal sagt, sie müssten sie haben.“ Das sitzt. Doch sollte es sich sogar bei den von uns verehrten KünstlerInnen wie Twin Shadow, Sufjan Stevens oder Four Tet, unabhängig vom gemessenen Erfolg, um nichts anderes als Schlager handeln?

Hoffentlich wird an dieser Stelle nicht wirklich eine Antwort erwartet. Man gehe in sich, denke über sein Leben, seine Ansprüche und Verantwortung nach und frage sich, woher welcher Impuls zu welcher Tat oder dem Verzicht auf ein Handeln kam und kommt. Es soll immerhin Menschen geben, deren Leben nach dem Hören eines Albums von The Velvet Underground oder Belle & Sebastian Platte nicht mehr das selbe war.

Edith Piaf/Dalida „Milord“, August 1960

dalida

„Nicht minder einflußreich…“, was für ein Quatsch. Dass mir diese Phrase überhaupt in den Sinn kam…wie kann man denn Einfluss miteinander vergleichen? So etwas wollen wir gar nicht erst tun, sondern wir sagen einfach:
Edith Piaf ist eine so bedeutende Sängerin gewesen, dass es doch sehr verwundert, sie nur ein einziges Mal an der Spitze der deutschen Charts zu finden, und dann auch nur mit Unterstützung Dalidas, die „Milord“ ins Deutsche übertragen coverte.

Deren Version zeigt, wie unbedarft und wenig tiefsinnig die Art der Unterhaltung sein musste und durfte, um in der Bundesrepublik zu Erfolg zu gelangen, etwas, das die Piaf nicht immer bot. Die sich sehnende Protagonistin trifft bei Dalida jedenfalls einen einsamen Mann, weist ihn darauf hin, wie schön die Welt doch sein kann, wenn nur man liebt. So feiert sie den Moment, „als wir uns heut’ geküsst“ auch dann, wenn er, der Milord, sie wieder verlassen wird.
Dabei bleiben beide Personen blass, sie leben nur von Banalitäten, eine Geschichte wird nicht erzählt, eher erklingt ein recht flaches „Carpe Diem“, vermengt mit dem schwurbeligen Wort „Schicksal“. Dementsprechend sinnlos und unangebracht ist dann auch das „Badabadam“-Finale am Ende des Songs, das schmerzfrei von der ursprünglichen Version übernommen wurde.

http://www.youtube.com/watch?v=XBW-UEbOfyQ

In dieser redet Piaf einen „Milord“ an, den sie gestern noch als stolzen Herren mit Seidentuch und Dame am Arm sah, ohne dass er sie, das „Mädchen vom Hafen, den Schatten der Straße“ beachtet hätte. Nun aber ist er verlassen, ein Schiff nahm die schöne Geliebte. Und so rät sie ihm, an ihrem Tisch Platz zu nehmen, sich ihr anzuvertrauen, verspricht, sein Gewissen zu erleichtern, er solle doch nur nicht mehr traurig sein und sich wie ein Kind zu benehmen, vielmehr sich amüsieren mit ihr, dem „Mädchen vom Hafen“. Der resolute Ton, in dem sie all das vorbringt, lässt vermuten, dass sie nicht nur sentimentale Absichten hegt, die versprochene Aufmunterung scheint vielmehr mit der Erwerbstätigkeit einer Prostituierten verbunden zu sein.

Das vermeintliche oder tatsächliche Leben Piafs, die Geburt im Arbeiterviertel, eine Kindheit zwischen Prostituierten mitsamt Erblindung in diesen Jahren, deren Heilung durch eine Wallfahrt gelingt, später dann die beginnende Karriere als Sängerin, der Vorwurf, in einen Mord verwickelt gewesen zu sein, der frühe Tod ihres Kindes, die Abhängigkeit von Medikamenten und Alkohol, das Krebsleiden allein schon fasziniert. Das Staunen aber kommt, hört man ihre Lieder, auch ohne das Wissen um dieses, ja ohne Kenntnisse der französischen Sprache.
Aufgrund ihres Lebenswandels verbot ihr der Pariser Erzbischof 1963 ein katholisches Begräbnis, zu einer Art Märtyrerin aber wurde sie dennoch. Folgt man der Argumentation Adornos, wonach der Schlager HörerInnen mit Gefühlen für deren Freizeit beliefert, die diese zu benötigen glauben, ist das nicht erstaunlich. Das allein aber darf nicht reichen, denn kommt zu der Berührung, die man beim Hören ihrer Lieder verspürt, die tiefer gehende Beschäftigung mit ihrer Person, dann kann Edith Piaf mehr in Bewegung bringen als zum Beispiel dem nun endlich wirklich einmal toten Punkrock von ihm immer noch anhängenden Folkloristen zugetraut wird.

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