Twin Shadow in Berlin: Euphorisiert, begeistert und beseelt

Die leise Kritik an Twin Shadow Ende des vergangenen Jahres richtete sich ja vor allem auf die mutmaßliche Diskrepanz zwischen dem starken Debütalbum und den etwas weniger berauschenden Livequalitäten des Quartetts. „Forget“ war fraglos eine Großtat und nicht umsonst unser Album des Jahres. Es war nur wenigen Künstlern gelungen eine derart breite Masse gleichzeitig auf einem solch hohen Niveau anzusprechen und zu begeistern. Auf „Forget“ konnten sich folglich alle einigen: Liebhaber elektronischer Musik ebenso wie jene eher klassischen Indie Pops, in den 80ern verhaftete Puristen ebenso wie kritisch denkendes Jungvolk. Und auch die frisch Verliebten kamen ebenso auf ihre Kosten wie die frisch Getrennten. In Anbetracht dessen mag es im Nachhinein nur wenig verwundern, dass das Berlinkonzert bereits seit über zwei Wochen ausverkauft war – aber ernsthaft damit gerechnet hatte trotzdem niemand.
Verständlicherweise war in den letzten Monaten das mediale Interesse an den New Yorkern zurückgegangen, wenn nicht gar stagniert nach der anfänglichen Euphorie im vergangenen Spätsommer. Und bisher hatten die von uns präsentierten Twin Shadow auch keinerlei Anstalten gemacht weiter zu schwimmen auf der beachtlichen Welle positiver Kritiken und hervorragender Platzierungen in den ungezählten Endjahreslisten. Weder neue Songs, noch Spekulationen darüber wurden in der Zwischenzeit in Umlauf gebracht. Umso erfreulicher also, dass das Berliner Publikum in den vergangenen Monaten noch nicht vergessen hat. So wurde amüsiert mitgesungen bei Liedern wie „I can´t wait“, „Slow“ oder „Castles in the Snow“. Es wurde mitgetanzt und mitgelitten. Und plötzlich war man verdammt diese zwar beschwingten aber mitunter auch intimen Kleinode zu teilen, mit 400 anderen nach Emotionen und Unterhaltung dürstenden Seelen. Es hat trotzdem funktioniert, soviel sei verraten. Und wenn George Lewis Jr. gelegentlich seine Stimme anhob in Sphären die auf dem Album nicht einmal in seiner Reichweite schienen, dann wusste man plötzlich ganz genau wieso man hier war.
Natürlich lebte der Auftritt zu einem Gutteil von der einnehmenden Bühnenpräsenz und dem Charisma des Sängers. Selbst noch in den Pausen sammelte er kräftig Punkte, erzählte von seiner in Berlin lebenden Schwester, von der Einzigartigkeit dieser Stadt oder bat den Techniker die fürs Publikum blendenden Scheinwerfer etwas zu dimmen, um eine schmerzfreiere Sicht auf die Bühne zu gewährleisten. Aber eben auch zwischen den Pausen wirkten Twin Shadow äußerst souverän und eingespielt, lieferten bei bestem Sound fünfzig euphorische und energische Minuten ab – wieder keine neuen Lieder zwar, aber einmal das komplette Album live. Kleine Unzulänglichkeiten wurden einfach durch ein Mehr an Lautstärke kompensiert oder gingen gar im unverhofften Geschwindigkeitsrausch einiger Stücke einfach unter. Selbst die Frisur George Lewis Jr.´s – halb Afro, halb Iro – hatte am Ende sichtlich gelitten unter seiner schweißtreibenden Performance. Und so überließ man am Ende das Publikum nach zwei Zugaben wieder sich selbst. Augenscheinlich euphorisiert, begeistert und beseelt von der einnehmenden Schwere und gleichzeitigen Leichtigkeit der dargebotenen Musik, schlich jeder für sich bei Nieselregen wieder hinaus in die großstädtische Nacht.