Der streckenweise lineare Verlauf der musikalischen Entwicklung eines typischen Vertreters der sensiblen Gattung „Singer/Songwriter“ scheint von außen vorbestimmt zu sein: Zu Beginn intim und reduziert, später ausufernd und vielschichtig. Und erstaunlicherweise fast nie andersherum.

Sam Beam stellt da keine Ausnahme dar, denn „Kiss Each Other Clean“ ist ganz schön üppig instrumentiert. Möglicherweise ist es dieses unnachgiebige Verlangen nach Mehr, einem Mehr an Freiheiten und Spielräumen. Das spurenweise Stapeln von Instrumenten und Sounds oder das Schrauben an einer möglichst sauber klingenden Produktion allein jedoch reichen nicht aus. Pop liegt eben nicht jedem – da kann Conor Oberst (Bright Eyes) sicherlich ein Lied von singen. Aber erstmal Entwarnung an dieser Stelle: Bei Iron & Wine steht weiterhin der Song im Fokus. Trotz Pop.

Der Vergleich mit einem reizenden Womanizer wie Rocky Votolato mag heute mitunter ein wenig in die Irre führen – dessen gleichnamiges Debüt aus dem Jahre 1999 und das Erstwerk von Iron & Wine aber haben durchaus ihre Parallelen, leben jeweils von ihrer sanften Stimme, träumenden Akustikgitarre und friedlich rauschenden Lo-Fi-Produktion. Ähnlich wie das auch in den seitdem unerreichten Solo-Anfangsjahren eines der brillantesten und tragischsten Songwriter unserer Zeit der Fall war: Elliott Smith. Doch während dieser im Verlaufe seiner Karriere auch nach den minimalistischen Frühwerken, etwa auf dem Beatles’esken „XO” oder auf dem posthum erschienenen “From A Basement On The Hill” gar mit teils knarzigen Gitarren ein phänomenales Gespür bewies, seine Stimme weiterhin im Zentrum des Schaffens zu positionieren, verlor sich Votolato hier und da ein wenig im Folkrock-Einheitsbrei.

Dies droht Iron & Wine vorerst nicht, denn Beam hat längst seinen eigenen Weg gefunden. Das Faszinierende an „Kiss Each Other Clean“ ist dabei auf der einen Seite die Konsequenz, mit der er sein Projekt seit dem Debüt „The Creek Drank The Cradle“ Stück um Stück in Richtung bongotrommelnder Big Band mit Jazz-Einschlag schiebt, sich andererseits aber durchaus seiner Wurzeln bewusst ist. Wie im September letzten Jahres, als er die Truppe für eine Weile zu Hause ließ und solo den Rotwein-Verkauf in ausgewählten Clubs mit Sitzschalen ankurbelte.

Nicht zuletzt aber auch, wenn mit „Godless Brother in Love“ ausgerechnet eine träumerische Romanze auf den sonnigen Groove eines „Big Burned Hand“ vorbereitet, das mit afrikanischen Rhythmen und dem funkigen und derzeit geradezu trendigen Saxophon die Grundstimmung dieses Werks, aber auch die Lebensfreude eines fünffachen Vaters verkörpert. Was ihn dabei mit Smith verbindet; Beams Stimme ist nicht von einem bestimmten Genre anhängig. Und die Geschichten erst recht nicht, denn das Leben liefert trotz so mancher Schramme („I saw sickness, blooming fruit trees. I saw blood and a bit of it was mine”) sicherlich genug positiven Erzählstoff für einen Ex-Punk, der abends fingerschnippsend die Kinder ins Bett bringt, bevor er mit einem Feierabend-Gläschen in der Hand das eigene Wohnzimmer rockt: „He’s an emancipated punk and he can dance“ – Oh ja, da hat jemand einiges richtig gemacht.

80

Label: 4AD | Beggars (Indigo)

Referenzen: Calexico, Stevie Wonder, Phosphorescent, Destroyer,  M. Ward

Links: Homepage | Label

VÖ: 21.01.2011

4 Kommentare zu “Rezension: Iron & Wine – Kiss Each Other Clean”

  1. Carl sagt:

    Puh, den leichten Seitenhieb auf Herrn Votolato musste ich erst mal verdauen. Einheitsbrei, PFFT! ;-) Das ändert aber nix daran, dass mir dieses Album hier auch sehr gut gefällt.

  2. Pascal Weiß sagt:

    Hey Carl, da steht ja extra „hier und da“;) Manche Sachen von ihm haben mir da noch gefallen, manche eben auch nicht. Das ist bei Elliott Smith natürlich nie der Fall.

  3. […] gibt es in den kommenden Wochen zwischen den Neuveröffentlichungen der Decemberists, von Iron & Wine und Bright Eyes einige Möglichkeiten, sich zu wärmenden Moll-Akkorden von all dem Matsch da […]

  4. […] bewies er schon mit den in allen möglichen Genres wildernden, oppulent arrangierten letzten beiden Alben. Mit „Ghost On Ghost“ scharrt er nun eine feine kleine Band illustrer Studiomusiker um sich und […]

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