Neil Young: Between The Lines Of Age (Teil 2)

Als Neil Young 1966 zusammen mit Buffalo Springfield und dann zwei Jahre später solo durchstartet, ist er einer von vielen. Ein Mann, eine Gitarre, Folkmusik. Schon die ersten Alben sind teilweise brillant, aber noch kann niemand ahnen, dass sich der gebürtige Kanadier in der Folgezeit zu einer Ikone entwickeln wird. Stilistisch immer wieder unberechenbar geht zwar auch einiges daneben, doch Young ebnet so mancher Stilrichtung den Weg. Mehr als Grund genug, seine Solowerke in zwei Teilen etwas genauer zu beleuchten.

Life (1987)

Das letzte Album der durchwachsenen Geffen-Ära. Ähnlich wie bei „Rust Never Sleeps“ wurden die meisten Songs während eines Konzerts aufgenommen und im Nachhinein bearbeitet. Wieder äußert sich Young politisch („Mideast Vacation“, „Long Walk Home“), jedoch weitaus differenzierter als noch zu Beginn des Jahrzehnts. Zweites Thema ist die Abrechnung mit seinem Label. Gemeinsam mit dem Cover – es zeigt Young in einer Gefängniszelle – bildet „Prisoners Of Rock ‚N‘ Roll“ eine wütende Abrechnung mit dem Label Geffen.


Freedom (1989)

Was er Geffen nie geben konnte oder wollte, gelingt ihm nun wieder auf Anhieb: Ein abwechslungsreiches Album mit einigen herausragenden Songs. „Rockin‘ In The Free World“, analog zu „Rust Never Sleeps“ sowohl am Anfang als auch am Ende platziert, ist einer seiner populärsten Songs überhaupt und überstrahlt, auch wegen seiner historischen Komponente, natürlich das gesamte Album. Auch der Rest ist von so viel Herzblut gekennzeichnet, dass man hier von einem echten Neuanfang sprechen kann. Da sei es verziehen, dass Neil Young auf dem Cover auch als Klaus Meine durchgehen könnte.


Ragged Glory (1990)

Neil Young nimmt die wilde Seite von „Freedom“ und baut sie weiter aus. Mit einfachen Mitteln schafft er eine unkomplizierte Intensität, die ein Album aus einem Guss entstehen lässt. Grunge und Garage Rock sind zu diesem Zeitpunkt schon lange keine Fremdwörter mehr für ihn, mit seiner frisch gewonnen Kraft spielt er sich mit „Ragged Glory“ an neue Grenzen heran. Auf Albumlänge erleben wir hier wahrscheinlich den rockigsten und kraftvollsten Neil Young aller Zeiten.


Harvest Moon (1992)

„Harvest Moon“ ist eine kleine Verschnaufpause inmitten der wilden Zeit; und was für eine. Oft als kleiner Bruder von „Harvest“ abgetan, reicht es fast an dessen Qualität heran. Nach dem etwas plakativen Opener „Unknown Legend“ entwickelt sich das Album zu einem klanglichen Juwel. Selbst in den expressivsten Momenten ist es vollkommen unaufgeregt, ansonsten geradezu scheu und verschlossen. Wenn „Ragged Glory“ das eine Extrem in Youngs Karriere war, ist „Harvest Moon“ nun mit seiner Zärtlichkeit das andere.


Sleeps With Angels (1994)

Auch an Neil Young ging das Schicksal Kurt Cobains nicht spurlos vorbei. Der verstörende Titeltrack, direkt nach dessen Tod geschrieben, dürfte zu den ausgefallensten Songs zählen, die er jemals veröffentlicht hat. Ansonsten macht das Album, mit dem Young zum ersten Mal seit 16 Jahren wieder in die Top 10 der Billboard-Charts einsteigt, einen orientierungslosen Eindruck. Mauen Folk- folgen immer wieder umso stärkere Rocksongs jeglicher Klangfarbe. Von den Alben der frühen neunziger Jahre noch das am ehesten verzichtbare.


Mirror Ball (1995)

Natürlich aufgenommen in Seattle, ist „Mirror Ball“ wohl das Grunge-Album für alle, die mit Grunge ansonsten nicht viel anfangen können. Hier ist nichts von all dem pathetischen Leiden zu spüren, das Pearl Jam, Nirvana und Konsorten sonst zelebrieren. Für Pearl Jam ist es also ein echter Glücksfall, auf Neil Youngs letztem „echtem“ Rockalbum mitwirken zu dürfen. „Mirror Ball“ ist stringent, hat einen roten Faden, tut keinem weh und wirft nebenher auch noch den einen oder anderen fantastischen Song ab. Aber es ist eben auch nicht der große Wurf, den man bei zwei solch riesigen Namen erwarten dürfte.


Broken Arrow (1996)

Der Einstieg gestaltet sich spannend. Mit drei starken Jams, alle jeweils sieben bis neun Minuten lang, schüren Neil Young und Crazy Horse Hoffnungen auf ein großes Konzeptalbum, die aber nicht eingelöst werden können. So innovativ dieser Ansatz auch sein mag, kann das Album das Niveau im Anschluss nicht halten und verliert sich nur noch in netten Spielereien. Kein angemessener Abschluss für den Neunziger-Young.


Silver & Gold (2000)

Vier Jahre zwischen zwei Veröffentlichungen sind für Neil-Young-Verhältnisse eine lange Zeit, doch aufgrund der Reunion mit Crosby, Stills and Nash eine durchaus vertretbare Zeitspanne. Mit „Silver & Gold“ treibt er wieder in ruhigen Folk-Gefilden und schlägt sich trotz offensichtlicher Ideenarmut gut. Von der Intensität her mit „Harvest Moon“ vergleichbar, fehlt hier der Zauber, der knallharten Reflexionen über das Leben weichen muss.


Are You Passionate? (2002)

Nicht nur Neil Youngs erste (und hoffentlich auch letzte) Experimente mit Soulmusik machen „Are You Passionate?“ zu einem der umstrittensten Werke seiner Karriere. Auch der Post-9/11-Kriegssong „Let’s Roll“ trägt seinen Teil zum mehr als befremdlichen Gefühl beim Hören des Albums bei. Musikalisch noch schlechter als „Hawks & Doves“, textlich genauso mies.


Greendale (2003)

Für die bis heute letzte Zusammenarbeit mit Crazy Horse nimmt sich Neil Young eines besonders ehrgeizigen Projektes an. „Greendale“ erscheint auch als Film und Graphic Novel. Während es musikalisch nicht zu großen Sprüngen ansetzt, erzählt es wie ein Musical hochinteressante Geschichten über Aufstieg und Fall einer Familiendynastie. Keine überragende Entschädigung für „Are You Passionate?“ (die wird später kommen), aber der Beweis dafür, dass dies nur ein Ausrutscher war.


Prairie Wind (2005)

Das Springen zwischen den Stilen geht munter weiter. „If You Follow Every Dream/ You Might Get Lost“ stimmt Neil Young gleich im Opener „The Painter“ an, der auch auf „Harvest Moon“ seinen Platz gefunden hätte. Die fast ausschließlich akustisch gehaltenen Songs gehen Young leicht von der Hand, es ist als spiele er sie aus dem Stehgreif. So kann nur ein Mann klingen, der mit sich im Reinen ist. Freuen wir uns mit ihm.


Living With War (2006)

In jeder Hinsicht das komplette Gegenteil von „Are You Passionate?“. Natürlich muss sich Neil Young vorwerfen lassen, wie auch schon damals auf der Welle der öffentlichen Meinung mitzuschwimmen, ist doch die Einstellung der Amerikaner zum Krieg 2006 eine andere als 2002. Das ist aber auch schon der einzige Schwachpunkt eines wütenden Albums, dessen Schöpfer zu allem bereit ist. „Shock And Awe“, „Lookin‘ For A Leader“ und natürlich „Let’s Impeach The President“ – nie zuvor hat sich Neil Young so klar positioniert. Alleine das macht selbstverständlich noch kein gutes Album aus. Dazu wird es durch seine unglaubliche Frische und Präsenz.


Chrome Dreams II (2007)

Kein Witz: Alleine schon wegen des 18-minütigen Arbeiterepos‘ „Ordinary People“ verdient „Chrome Dreams II“, Nachfolger des nie erschienenen „Chrome Dreams“, eine Höchstwertung. In seinem besten Song seit 15 Jahren huldigt Neil Young den einfachen Leuten, seine Sehnsucht, einer von ihnen zu sein, ist mit den Händen greifbar. Von dieser Spannung profitiert „Chrome Dreams II“ auf voller Albumlänge, zumal auch Stücke wie „Spirit Road“ und „Dirty Old Man“ so lebensnah und authentisch sind, dass sie glatt aus der Feder Bukowskis stammen könnten.


Fork In The Road (2009)

Nach zwei großartigen Alben ist „Fork In The Road“ eine kleine Enttäuschung. Der Aufhänger, Neil Youngs Lincoln Continental, der mit alternativen Kraftstoffen betankt wird, ist zukunftsweisend; ansonsten ist das Album musikalisch eher rückwärtsgewandt. Seit den Achtziger Jahren klang keines seiner Alben mehr so angestaubt, durchaus vorhandene Geistesblitze werden schnell erstickt.


Le Noise (2010)
Allein mit seiner E-Gitarre und Daniel Lanois als Produzent gelingt Neil Young ein herrlich erfrischendes Album. Vieles klingt improvisiert und fragmentiert, geschickt eingesetzte Feedbacks verstärken diesen Effekt. Schummrig und schwermütig tastet sich „Le Noise“ durch Youngs Gedanken, immer wieder reflektierend, wie in einer Endlosschleife. Neben dem Livealbum „Arc“ sein mutigstes Werk.


Neil Youngs Livealben:

Time Fades Away (1973) 77%
Live Rust (1979) 89%
Weld (1991) 80%
Arc (1991) 65%
Unplugged (1993) 71%
Year Of The Horse (1997) 54%
Road Rock (2000) 69%
Live At The Filmore East (2006) 83%
Live At Massey Hall 1971 (2007) 100%
Sugar Mountain – Live At Canterbury House 1968 (2008) 62%
Dreamin‘ Man Live ’92 (2009) 80%

4 Kommentare zu “Neil Young: Between The Lines Of Age (Teil 2)”

  1. Bastian sagt:

    Das nennt man Durchhaltevermögen, sich durch die Untiefen des Früh Achtziger Neil Young zu kämpfen. Der Soundtrack zu Dead Man sollte bei diesem Wahnsinnsakt aber zumindest noch erwähnt werden.

  2. Pascal Weiß sagt:

    Gefällt mir ausgezeichnet, die Zusammenfassung, Felix. Da hat sich das Warten auf jeden Fall gelohnt;)

  3. Johny sagt:

    Schöne Auswertung von Neil Young’s Schaffen. Würde mich freuen, wenn sowas auch zu Bob Dylan kommen würde.

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