Neil Young: Between The Lines Of Age (Teil 1)

Als Neil Young 1966 zusammen mit Buffalo Springfield und dann zwei Jahre später solo durchstartet, ist er einer von vielen. Ein Mann, eine Gitarre, Folkmusik. Schon die ersten Alben sind teilweise brillant, aber noch kann niemand ahnen, dass sich der gebürtige Kanadier in der Folgezeit zu einer Ikone entwickeln wird. Stilistisch immer wieder unberechenbar geht zwar auch einiges daneben, doch Young ebnet so mancher Stilrichtung den Weg. Mehr als Grund genug, seine Solowerke in zwei Teilen etwas genauer zu beleuchten.
Neil Young (1968)
Ein etwas holpriger Solostart nach zwei formidablen Alben mit Buffalo Springfield. Klang wahrscheinlich schon im Erscheinungsjahr etwas antiquiert. Das abschließende „Last Trip To Tulsa“ deutet an, zu was Neil Young später – besser gesagt: schon sehr bald – im Stande sein würde.
Everybody Knows This Is Nowhere (1969)
Erstmals mit Crazy Horse im Rücken läuft Neil Young sogleich zur Hochform auf. Sieben Songs, rückblickend jeder für sich ein absoluter Klassiker. Eingerahmt von „Cinnamon Girl“ und „Cowgirl In The Sand“ entfaltet sich ein Album, das es mit einfachsten Mitteln schafft, ungeschliffene Spannung und Intensität zu erzeugen. Zwei Stile, die Young bis heute quasi im Wechsel praktiziert, werden hier und insbesondere beim epischen „Down By The River“ unnachahmlich miteinander verzahnt: Schwermütiger Rock und federleichter Folk.
After The Gold Rush (1970)
Das Lebensweisheiten-Album eines gleichzeitig noch orientierungslosen und von Selbstzweifeln gekennzeichneten Mannes. Trotz aller akustischen Schwermut scheint sich hinter jeder Silbe ein Fingerzeig, ein freundschaftlicher Ratschlag zu verbergen. Ganz anders als der Vorgänger transportiert „After The Gold Rush“ dennoch durchgehend eine warme Atmosphäre, die erst zum Schluss mit dem Traditional „Cripple Creek Ferry“, das schließlich doch noch für einen heiteren Moment sorgt, aufgelöst wird.
Harvest (1972)
Würde man Passanten auf der Straße nach einem Neil-Young-Album fragen, wäre die Antwort durchgehend „Harvest“ und die nach einem Song „Heart Of Gold“. Doch genauso wie „Harvest“ nicht stellvertretend für Youngs Gesamtwerk stehen kann, steht „Heart Of Gold“ nicht für das Album. Besonders auf der zweiten Seite bietet es eine gehörige Portion Wut, die mit „Alabama“ Neil Youngs ersten wirklich politischen Song „Ohio“ und „Southern Man“ komplettiert. Wie auch schon auf „Everybody Knows This Is Nowhere“ steht das Beste des Albums wie in Stein gemeißelt am Ende: „Words (Between The Lines Of Age)“.
On the Beach (1974)
Bei der Veröffentlichung weder von Fans noch von Kritikern besonders positiv aufgenommen, hat sich „On The Beach“ über die Jahrzehnte hinweg zu einem Liebling der Massen gemausert. Ein trauriges, desillusioniertes Werk, das ganz ohne süßliche Melodien auskommt. Bestes Beispiel ist „See The Sky About To Rain“: In Liveaufnahmen wie „Live at Massey Hall“ wirkt es noch wie ein vertontes Poesiealbum, hier verändert es seinen Charakter komplett hin zu einem Klagelied. „On The Beach“ ist Neil Youngs erstes Album, das seinen Charakter nicht durch herausragende Songs erhält, sondern durch die durchgehend dunkle und düstere Stimmung.
Tonight’s the Night (1975)
Vielleicht muss man „Tonight’s The Night“ kennen, um „On The Beach“ zu verstehen. Früher aufgenommen, aber später veröffentlicht, zeichnet es Youngs Weg vom akribischen Arbeiter zu jemandem, der sein Genie endlich selbst erkannt hat und auch dadurch Trauer zulässt. Zum Schluss bleibt wenig zurück. Beklemmung, Wut, Trauer – all dies liegt wie pulverisiert irgendwo zurückgelassen.
Zuma (1975)
Der Beginn eines neuen Abschnitts. Die Anfangseuphorie hat sich etwas gelegt, Neil Young längst den Status des Superstars gefestigt. Mit „Zuma“ beginnt eine Reihe von Alben, die trotz eingekehrter Routine nach wie vor überzeugend und teilweise mitreißend sind. Die Chemie zwischen Young und Crazy Horse ändert sich. Wo früher simple Harmonie zu Höchstleistungen führte, werden die Höhepunkte hier durch gegenseitiges Aufreiben geschaffen. In dieser Hinsicht gerät sogar der scheinbare Übersong „Cortez The Killer“ gegenüber dem zuckenden „Danger Bird“ in den Hintergrund.
American Stars ‚N Bars (1977)
Keine Frage, den Ausflug nach Nashville merkt man dem Album sofort an. Geradezu provozierend klimpert der Opener „Old Country Waltz“ vor sich hin. Doch noch macht er nicht ganz ernst, „American Stars ‚N Bars“ gewinnt mit den folgenden Songs und ganz besonders mit der zweiten Seite noch einmal ordentlich an Kontur. Dennoch ein Album, das mehr zum Schunkeln als zum Nachdenken einlädt.
Comes a Time (1978)
Die Fortsetzung von „American Stars ‚N Bars“ mit noch konservativeren Mitteln. Lächelte Bob Dylan neun Jahre zuvor auf dem Cover von „Nashville Skyline“ noch mit feiner Ironie in die Kamera, meint Neil Young nun alles todernst. Das Überraschende: Es funktioniert. Vor allem die Balladen sind unerhört geschmeidig und rührend, ja zeitlos. Was aber nichts daran ändert, dass es Youngs schlechtestes, weil schablonenhaftestes Werk der Siebziger Jahre ist.
Rust Never Sleeps (1979)
Ein Livealbum, das gleichzeitig auch ein Studioalbum ist, was der erste Grund dafür ist, dass es hier Erwähnung findet. Der zweite: „Rust Never Sleeps“ ist ein weiteres Meisterwerk. Wer es nicht kennt, wird sich vermutlich nie ein komplettes Bild von Neil Young gemacht haben können. Eingerahmt von zwei unterschiedlichen Versionen von „My My, Hey Hey“ / „Hey Hey, My My“ durchleben Young und die Zuhörer während einer akustischen und einer elektrischen Seite eine wahre Tour de Force. Als wäre die akustische erste Seite nicht schon aufwühlend genug, verstört die zweite Seite mit einem Sound, wie man ihn von Young noch nie gehört hat. Hard-Rock, Punk, Stadionrock – Neil Young ist ganz und gar nicht eingerostet befreit sich fulminant vom sich anbahnenden Bedeutungsverlust und fügt dem Albumtitel viele Ausrufezeichen hinzu.
Hawks & Doves (1980)
Wenn Neil Young und Bob Dylan eines gemeinsam haben, dann, dass die Achtziger Jahre das schwächste Jahrzehnt ihres Schaffens sind. „Hawks & Doves“, eigentlich eher eine Songsammlung mit älteren zuvor unveröffentlichten und einigen neuen, bildet so gesehen einen perfekten Einstieg in die neue Zeit. Die Songs auf der ersten Seite waren seinerzeit zu schlecht für „American Stars ‚N Bars“ und „Comes a Time“; die zweite Hälfte rekrutiert sich aus staubtrockenem Country mit teilweise peinlichen, patriotischen Texten („Hawks & Doves“, „Comin‘ Apart At Every Nail“), die leider auch nicht den geringsten Hinweis geben, ironisch gemeint zu sein.
Re-ac-tor (1981)
Eine Rückkehr zum Rock, leider eine bestenfalls durchschnittliche. Young bemüht sich, den Geist von „Rust Never Sleeps“ wiederaufzunehmen, am Ende stehen viele Posen und wenig Substanz. „T-Bone“ steht symbolisch für das komplette Album. Geschlagene neun Minuten wird dort einzig und allein „Got Mashed Potatoes, Ain’t Got No T-Bone“ heruntergebetet. Bis zum achtbaren Closer „Shots“ bleibt da also kaum noch eine Frage offen.
Trans (1982)
Lustig: Neil Young entdeckt den Vocoder. Was als Ausgangsposition in Kombination mit dem futuristischen Cover leicht lächerlich wirken könnte, ist gar nicht so schlecht und teilweise sogar unterhaltsam. Und im Vergleich zu den beiden Vorgängern sieht man das Augenzwinkern hier an jeder Ecke. Dennoch scheint es heute den Beteiligten etwas unangenehm zu sein; „Trans“ wird nicht mehr aufgelegt und ist nur noch gebraucht zu erwerben.
Old Ways (1985)
Ein ordentliches Country-Album, das inhaltlich und qualitativ ungefähr auf einer Stufen mit dem sieben Jahre älteren „Comes A Time“ steht. Die breit gefächerte Instrumentierung, die immer dezent im Hintergrund bleibt, sorgt für eine liebliche Atmosphäre. Vor allem erleben wir hier einen selbstbewussten Neil Young, der sich von den Rückschlägen der vergangenen Jahre nicht hat unterkriegen lassen. Erstmals bekommt man das Gefühl, dass er sich im Country am wohlsten fühlt.
Landing On Water (1986)
Abermals ein merkwürdiges Album, das sich vor allem durch seine Stromlinienförmlichkeit auszeichnet. Im Gegensatz zu „Old Ways“ wird sofort klar, dass Neil Young nur halbherzig bei der Sache ist. „Landing On Water“ ist braver Radiopop, der sich durchaus an Bowies „Let’s Dance“ (1983) orientiert, aber nie dessen Lässigkeit erreicht.
(zu Teil 2)
Alle Achtung, Felix!