DestroyerKaputt

Der Blick fällt zuerst auf die dunklen und geschwungenen Buchstaben in der Mitte des Covers: Destroyer Kaputt. Darunter sechs Menschen, drei Bänke und die hübsche Aussicht auf eine Stadt. Dan Bejar, ganz in weiß gekleidet, sitzt aber nicht auf einer der einladenden Bänke, sondern auf dem harten Gesteinsvorsprung an der Klippe und hat dem verlockenden Ausblick den Rücken zugewandt. So isoliert er auch wirken mag, die Beine hat er demonstrativ übereinander geschlagen und scheint geradezu entspannt. Er gibt sich als Genießer, als Querdenker und die Aussage könnte kaum klarer sein: Destroyer ist erwachsen geworden und muss niemandem mehr etwas beweisen, muss es niemandem mehr recht machen nach seinem beneidenswerten Schaffen in den vergangenen 15 Jahren.

Schon immer spielte Dan Bejar mit den Erwartungen seiner Hörer, doch ganz besonders muss dies für sein neues, inzwischen neuntes Soloalbum gelten. Nichts wird hier zerstört, nichts ist hier kaputt. Ganz im Gegenteil: Bejar erteilt uns eine 50-minütige Lektion in den Möglichkeiten des wundervoll ausbalancierten Poparrangements am Anfang des 21. Jahrhunderts. Seine Texte bedürfen ohnehin keines weiteren Lobes mehr, auch das Songwriting und Gitarrenspiel sind nach wie vor über jeden Zweifel erhaben, und sogar die Stimme scheint weniger rau als noch vor Jahren. So weit so gut, allerdings bekommen auf „Kaputt“ im Gegensatz zu den Vorgängeralben zwei neue Gestaltungsmittel einen recht prominenten Platz zugewiesen: Einerseits schmiegt sich nicht selten der Gesang Sibel Trashers an das eigenwillige Organ des Kanadiers an und bildet dazu einen äußerst angenehmen Gegenpol. Andererseits liefern zahlreiche Trompeten- und Saxophonparts die mitunter dermaßen heftig triefende Grundierung der Songs, dass so mancher Jazzliebhaber das Album etwas zu voreilig zur Seite legen dürfte.

Neben diesen unverblümten Assoziationen an Soft-Rock-Größen wie Hall & Oates wird allerdings noch ein weiterer starker Einfluss der 80er Jahre deutlich, denn Bejar nimmt auch die zahlreichen neueren New-Wave-Einflüsse der vergangenen Jahre auf: „Savage Nights At The Garden“ oder auch „Poor In Love“ lassen somit nicht nur an längst vergangene Größen wie etwa The Cure denken, sondern eben auch an jüngere Künstler wie Twin Shadow. Selbst der titelgebende und ausufernde 6-Minüter „Kaputt“ begibt sich auf diese Gradwanderung zwischen längst etablierten 80er-Attitüden und mitunter fragwürdigen Jazz-Pop-Experimenten. Letztlich ist es dabei vor allem dem außergewöhnlichen Songwriter-Talent Bejars zu verdanken, dass die Songs zu keinem Zeitpunkt in kitschige Gefilde abgleiten, sondern immer gerade noch rechtzeitig die Kurve bekommen vor den tiefen und zuckersüßen Abgründen der Popmusik. Aber auch den harmoniesüchtigen Hörern dieser Welt sei eines noch gesagt: Destroyer macht auch euch einen gewaltigen Strich durch die Rechnung! Indem er beispielsweise im letzten Stück „Bay Of Pics“ mit einem geradezu unverschämten Spannungsbogen die Nerven derartig zu strapazieren vermag, bis erst am Ende, nach Minuten der Zurückhaltung und Diskretion, nach elektronischen Spielereien und imaginären Ausflügen zum Meer, dem Bedürfnis des Hörers nachgegeben wird und nochmals ein kurzes, letztes Feuerwerk der Eingängigkeit abgebrannt wird.

Recht genau betrachtet muss man letztlich sogar anerkennen, dass Bejar auf „Kaputt“ seine bisher experimentierfreudigste Seite präsentiert, wenn auch nicht in dem gewohnt expressiven Sinne wie beispielsweise im Nebenprojekt Swan Lake, sondern in einer ganz und gar dezenten, jedoch nicht weniger mutigen Art und Weise. Darüber hinaus gelingt es Destroyer zum wiederholten Male, sich neu zu erfinden und der eigenen Diskografie ein weiteres Ausnahmealbum hinzuzufügen. Diesen Status hätte man bisher vermutlich nur „Streethawk: A Seduction“ (2001) oder „Rubies“ (2006) zugestanden, welche ebenso Maßstäbe in Sachen Originalität und musikalischem Einfallsreichtum setzten. Dieser 5-Jahres-Rhythmus hat sich anscheinend etabliert.

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Label: Merge

Referenzen: Hall & Oates, Brian Ferry, Twin Shadow, The Cure, Prefab Sprout, Windsurf

Links: Facebook | Labelhomepage

VÖ: 25.01.2011

Destroyer – Kaputt

14 Kommentare zu “Rezension: Destroyer – Kaputt”

  1. Lennart sagt:

    prefab sprout als referenz? da wird’s doch interessant…

  2. kevin sagt:

    für mehr saxophone! softporno is teh nu thing.

  3. Uli sagt:

    Liebe dieses Album heiß und innig, sowohl wegen der Glattbügelei als auch solcher Verweigerungen wie in Bay Of Pigs, wo Bejar bei 4:45 mit dem Synthstakkato auf nen großen Disco-Ausbruch zusteuert und direkt wieder zurückfährt.

    @Lennart: „Cars & Girls“ ist nicht weit hiervon entfernt, nur halt mit wenig flamboyantem Bejar-Genöhle als Gesang.

    @Kevin: Saxophon ist ganz groß am Wiederkommen. Letztes Jahr schon bei Deerhunter und Katy Perry, aktuell bei Destroyer, Iron & Wine und die neue Single von Patrick Wolf ist auch Sax-mäßig dabei.

  4. Constantin sagt:

    wer mehr saxophon will, dem seien auch mal the pop winds ans herz gelegt. selbstverständlich nicht die selbe liga wie destroyer, aber trotzdem für einige großartige momente gut. schöne mischung aus sax + yeasayer + sänger, der stark an pedro the lion/dave bazan erinnert!

    das album gibts gegen eine freiwillige spende übrigens zum download bei arbutus records: http://www.arbutusrecords.com/

  5. Lennart sagt:

    so, ich höre nun erst einmal wieder „steve mcqueen“… wurde auch mal wieder zeit, danke für den anstoß!

  6. Sven sagt:

    Spontan verknallt, tolles Album.

  7. […] hat es mal wieder gezeigt: Merge Records ist mit Alben wie Destroyers Jahresanfangs-Sensation Kaputt verlässlicher Lieferant hochwertiger Hörerlebnisse. So ist es denn auch als gutes Zeichen zu […]

  8. […] Groove eines „Big Burned Hand“ vorbereitet, das mit afrikanischen Rhythmen und dem funkigen und derzeit geradezu trendigen Saxophon die Grundstimmung dieses Werks, aber auch die Lebensfreude eines fünffachen Vaters verkörpert. […]

  9. Lennart sagt:

    so, hab‘ gerade die Vinylausgabe des Albums erworben, da kommt es als Doppel-LP und mit 14 statt 9 Liedern… toll!

  10. Vinyl hab ich mir auch gerade zugelegt, wer hätte gedacht dass die in einem Plattenladen zu finden wäre. Die dritte Seite macht nicht zuletzt den Übergang zum Schlusstück noch weitaus besser, da das Album quasi 25% besser wird plädiere ich für eine Reevaluation auf 96% :D

  11. […] Popwelt klingt im Februar 2011 ziemlich spannend, auch wenn bis auf James Blake und Destroyer die Albumausbeute bislang eher verhalten euphorisierend ausfällt. Hervorragende Einzelsongs gibt […]

  12. […] Sinne des Wortes zeitlose Schwarz-Weiß-Werk von Kurt Vile, die funkelnde 80er-Poptüte von Destroyer, der brodelnde Shoegaze-Untergrund von Belong, der draufgängerische (Post-)Punk von Iceage und das […]

  13. […] ja kaum minder überzeugt. Ganz zu schweigen natürlich von Destroyer mit seinem überragenden „Kaputt“, das vor wenigen Tagen dann inklusive des essentiellen Bonustracks „The Laziest River“ doch […]

  14. […] nie auch nur annähernd die Größe und auf Albumlänge vorhandene Stringenz von Destroyers „Kaputt“, das eben dieses Genre wieder beeindruckend auf den (Hipster-)Plan setzte. Ich schreibe das […]

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