Der Liedschatten (04): Freddy Quinn: „Unter Fremden Sternen“

Es wurde bereits erwähnt: Freddy Quinn hatte viele, viele Nummer-Eins-Hits, nämlich zehn. Heute also dann „Unter fremden Sternen“. Dort windet sich sein Bariton am Strand der Harmonie und kann sich nicht erheben. Doch keine Sorge, der Sand ist wohlig weich und kuschelig warm, da bleibt man doch gerne bodenständig. Es bedarf schon ganz großer Worte, ja einer regelrechten Anrufung, damit die Stimme sich erheben kann: „Fremde“, „Zukunft“, „Sehnsucht“, „Ferne“, „zuhaus’“, „Heimfahrt“, das sind die Worte, mit denen Freddy hier das flache, doch hoch gelegene Plateau der Fragen menschlicher Existenz erklimmt. Und wenn wir mit ihm nun schon einmal hoch oben im Wolkenreich des Pathos stehen, so lohnt es sich, ein wenig darüber nachzudenken, was er uns sagen möchte, der wellendurchpflügende Quinn, der sehr gerne „noch einmal mit euch offen sprechen“ möchte (Zitat „Wir“).
Und was er uns nicht alles mitzuteilen hat: „Hier ist doch nur Dreck. Müll. Und Verbrechen.“; doch Moment, das stammt nicht aus „Unter Fremdem Sternen“, sondern einem Interview mit der taz und bezieht auf St. Pauli. Sein Stück von 1959 hingegen besagt sinngemäß: Oh weh, die Fremde lockt, und folgt man, dann, oh weh, ist die Heimat fern. Und lockt wiederum. Etwas anderes bekam man von Freddy Quinn selten zu hören. Damit sollte er am Ende nicht nur insgesamt ca. 50 Mio. Tonträger verkaufen, sondern auch einen großen Beitrag zur Identitätsfindung derer leisten, die sich nach einem „unverfälschten“ und „schlichten“ aber auch „aufregendem“, weil „ehrlichen“ und „direkten“ Leben sehnten. Wo würden sie es finden?
In der Fremde. Daheim in der BRD ließ sich trotz „Wirtschaftswunder“ nicht alles, was als Misstand empfunden wurde, ausblenden, so eine Trennung in zwei Staaten ist doch recht offensichtlich. Und wenn sich dann noch eine unliebsame Vergangenheit als quicklebendig präsentiert (siehe die Hakenkreuzschmierereien an der Kölner Synagoge Dezember 1959), dann konnte ein möglicher Reflex das Abwenden der Augen sein. Auch fürchtete man sich angesichts des kalten Kriegs vor dem allzeit als Bedrohung empfundenen Kommunismus. Der immerhin war wichtig für die Bindung an die Weststaaten, diente er doch als gemeinsames Feindbild, sei es in Form der DDR, sei es als der Feind im Inneren.
1950 äußerte sich Konrad Adenauer in einer Regierungserklärung wie folgt: „Wir hier in der Bundesrepublik Deutschland, die Bundesregierung und der Bundestag und, ich glaube, fast restlos die Bevölkerung, sind fest entschlossen, von allen uns zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln Gebrauch zu machen, um dieser Infiltration von Osten her entgegenzutreten. Sie werden gleich einen Kabinettsbeschluß hören, den wir heute morgen gefasst haben und der zum Ziele hat, alle Anhänger des Kommunismus aus den Stellen der Bundesregierung – seien sie als Arbeiter, als Angestellte oder Beamte tätig – rücksichtslos zu entfernen.“ Der Wiederaufbau war eben in erster Linie ein Wieder-, kein vollständiger Neuaufbau, es ging um politische und wirtschaftliche Konsolidierung. Dass dabei lieber auf NSDAP-Mitglieder als die Verfolgten des Naziregimes zurückgegriffen wurde (dem zweiten Bundestag gehörten 129 ehemalige NSDAP-Mitglieder an, Beamte, die die Alliierten 1945 aus politischen Gründen entließen, konnten ab 1951 wieder in den öffentlichen Dienst treten), ist mehr als einfach nur unrühmlich. Doch auch deswegen konnte der Antikommunismus die Konstante bleiben, die er seit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 war. Ein wenig Angst hat der Ruhe und Ordnung ja noch nie geschadet.
Freddy Quinn, „Unter fremden Sternen“, November-Dezember 1959
Dass alles bleiben soll, wie es ist, nur besser, zeigt sich auch in der Indifferenz des Quinnschen Schlagers. Da will man weg, in die Ferne, und dann wieder heim. Ja, was aber dann? Dann will man wieder hinaus in die Ferne. Beinahe möchte man Mitleid mit dieser geplagten Seele empfinden, ihrer Zerrissenheit, ihrer wendigen Sehnsucht. Woran es ihr mangelt, ist Konsequenz, und ja, es mag etwas überambitioniert sein, all das hinter einem sentimentalen Liedchen zu vermuten. Doch steht es für ein ganzes Genre, eine Industrie aus Kitsch und stets genährten, aber nie erfüllten Wünschen, die auch heute noch Abnehmer für ihr mittelmäßiges Kunsthandwerk findet. Dort, wo man die eventuell unangenehmen Folgen des eigenen Tun so lange verleugnet, bis man keines Handelns mehr fähig ist, schlägt sie ihre Stände auf. Der Schlager bietet einen Eskapismus, der nicht zum Schönen führt, sondern es verleugnet, indem er so tut, als könnten Harmonie und Schönheit nur als überhöhtes, irreales Wunschbild bestehen. Als solches hat es seinen Platz nicht im alltäglichen Erleben, sondern in stereotypen Träumen, deren Zauber von einem Fatalismus lebt, dem der Wunsch, Schönheit in der eigenen Existenz zu suchen und zu erlangen, als Bedrohung gilt. Einfacher gesagt: verbiesterte Menschen mögen Schlager.
Oh Lennart,
dann bin ich also verbiestert und seit 52 Jahren auf der Flucht vor der realen Welt, nur weil ich die Songs von Freddy verdammt gern höre.
Erstaunlich nur, dass es mir gelungen ist, die Untiefen und Riffe des Lebens in all den Jahren ganz gut zu umschiffen.
Bilde mir ein, mich intellektuell nicht verstecken zu müssen, „revolutionären“ Gedanken grundsätzlich offen gegenüber zu stehen – und finde Freddy trotzdem cool, einsame Klasse.
Wer wie Sie offenbar keinen Sinn für Romantik und Träume hat, der ist natürlich in der Lage, ein solches Elaborat zu fertigen.
„…ach wie müde macht es, ein Mensch zu sein…“ (aus dem Freddy-Song „Die Barke Einsamkeit“)
Johnny
Hallo Johnny,
vielen Dank für die Rückmeldung! Ich schrieb den letzten Satz im vollen Bewußtsein, etwas sehr Polemisches zu sagen, und wenn man sich daran stösst, so ist das nicht beabsichtigt, sondern billigend in Kauf genommen. Der Satz wurde aber dannoch nicht geschrieben, um zu verärgern.
Was die Romantik anbelangt: ja, mit ihr habe ich wirklich so meine Probleme. E.T.A Hoffmann mag ich recht gern, lasse mir auch Schubert gefallen, aber vieles ist mir ein Greuel.
Und meine Träume beziehen sich eben nicht auf ferne Länder, Heimat oder das Glück in der Liebe, sondern darauf, dass Menschen selbstbestimmt und verantwortungsvoll leben. Deshalb sind mir Xeno-, Homo- und andere Phobien ein Greuel.
Und ja, ich halte Träumereien, wie sie sich in Freddys Songs manifestieren, für nicht sonderlich hilfreich, da sich darin eine Art von Eskapismus ausdrückt, der eine Art von Leben begünstigt, bei dem man, so scheint es mir, einfach nur „seine Ruhe haben“ will. Und da bin ich dann tatsächlich, und das mag man mir vorwerfen, etwas missgünstig.
Über die erwähnten 52 Jahre erlaube ich mir selbstverständlich kein Urteil, daran liegt mir nichts, wie sollte es auch?
Liebe Grüße
Lennart
Hallo Lennart,
nehme ich gern zur Kenntnis.
Frage mich nur, warum ein selbstbestimmtes und verantwortungsvolles Leben nicht in Einklang mit romantischen Gedanken oder Träumen zu bringen sein soll.
Mit der Selbstbestimmung ist das natürlich so eine Sache. Im Privatleben alles denkbar, aber auf der beruflichen Ebene wird es problematisch. Es sei denn, man ist „freier Künstler“ und unabhängig von irgendwelchen Einflüssen. Ansonsten kann so ein Arbeitstag, auch oder gerade bei relativ verantwortungsvoller Tätigkeit, ganz schön anstrengend sein.
Bin dann tatsächlich froh, im Auto mal meine „Ruhe zu haben“ und bei einem Freddyklassiker von fernen Ländern oder auch alten Zeiten zu träumen. Kurze Zeit später hat einen doch die reale Welt wieder eingeholt, wenn man sie denn zwischendurch überhaupt verlassen hat. Eskapismus?
Sehe ich nicht so.
Nun denn, Freddy hatte seine große Zeit in meiner Kindheit und Jugend. Bin damals infiziert worden und diesen Virus nie wieder losgeworden. Hoffe, dies erklärt einiges.
Beste Grüße
Johnny
Hallo Johnny,
ich halte es an dieser Stelle tatsächlich mit Adorno, der schrieb: „Schlager beliefern die zwischen Betrieb und Reproduktion der Arbeitskraft Eingespannten mit Ersatz für Gefühle überhaupt, von denen ihr zeitgemäß revidiertes Ich-Ideal sagt, sie müssten sie haben.“
Sicher, das klingt hart, und auch habe eine feste Anstellung (ausgerechnet in der „Kulturindustrie“), versuche aber, Musik nicht als funktionale Ware zu sehen, die zum „Feiern“, zur „Entspannung“, zur „Melancholie“ dient.
Dabei glaube ich, dass Musik (und auch Popmusik) mehr sein kann und auch sein sollte als eine Dienstleistung von Kunsthandwerkern, ebenso wie sich die bildende Kunst niemals bloß auf Grafik und Design beschränken darf.
Damit sei, da ich schließlich auch den Deinen in Bezug auf Freddy Quinn kenne, mein Ausgangspunkt kurz umschrieben.
Für die beiden Kommentare noch einmal aufrichtgen Dank und die besten Wünsche
Lennart
[…] einziges an die Spitze der Hitparaden gelangtes Stück von dem, was Kollegen wie Gerhard Wendland, Freddy Quinn und Bill Ramsey vortrugen? Nein, und das, obwohl es, anders als damals üblich, einen Bezug zur […]
[…] Freddy danken, doch halt, hat er mich nicht schon an anderer Stelle des Öfteren erzürnt, ja gar erbost mit seinen Lieder voller Schwurbeleien hinsichtlich Fremde und Ferne, die ja umso exotischer ist, […]
[…] Arrangement, also ähnlich wie bereits schon “Die Gitarre und das Meer” und “Unter fremden Sternen“. So etwas versteht jedeR, der Erfolg verwundert ebenso wenig wie die Karriere des Titels als […]
[…] heute unbekannte Meere treiben. Er sang sich mit Stücken wie „Die Gitarre Und Das Meer“, „Unter Fremden Sternen“, „La Paloma“ und „Junge, Komm Bald Wieder“ ins Herz der noch jungen Republik, die zwar […]