Der Liedschatten (03): Bill Ramsey „Souvenirs“

Mit schmeichlerischer Fügsamkeit beugt sich so manche Arbeitsstunde, erklingen ein paar schmissige, flotte oder auch einmal sentimentale Melodien. Es ist ja wohl auch das gute Recht der werktätigen Bevölkerung, sich nicht auch noch von irgendwelchen Journalisten und deren meckeriger Wortklauberei ärgern zu lassen, während man rechtschaffen und unbescholten dem Tagwerk nachgeht. Davor bitte auch nicht. Und danach? Ach, herrje, sind wir nicht des Abends alle ein wenig müde…?
Und so könnten dann auch alle zufrieden sein in der kleinen, emsigen Bundesrepublik Deutschland. Doch ach, da mag das Programm der meisten Radios noch so gefühlsarm, jeglicher Dramaturgie und Dynamik abhold, leblos und hochgradig indifferent sein, so ganz glücklich ist man vielerorts, genauer gesagt auf Seite einiger Produzierender, dann doch nicht. Denn kommt nicht ein Großteil des Gedudels aus fremden Landen? Und trällern nicht auch heimische Kehlen in dem gemeinen Volk unbekannten Sprachen?
Wie verständlich ist da das Verlangen einiger weniger Aufrechter nach dem rechten Maß…
Ein kurzer historischer Exkurs oder: Der Import des Pop
Die Geschichte der Forderungen nach einer die Herkunft der gespielten Lieder regelnden Radioquote begann jedoch erst in den 90er Jahren, und das ist, betrachtet man die Hits der 50er und auch sechziger Jahre, ein wenig spät. Freddy Quinn ist ein Österreicher, Dalida stammt aus Ägypten, und Bill Ramsey, um den es heute erstmalig gehen wird, aus Cincinatti in den USA, womit nur drei Beispiele, nicht Ausnahmen, genannt seien. Dass sie dennoch erfolgreich sein konnten, hatte einen einfachen Grund: sie alle sangen im simpelsten Deutsch. Die Motivation hierfür war rein praktischer Natur: anders hätte man sie nicht verstehen können. Fremdsprachen gehörten nur zur gehobenen Schulbildung, ganz unabhängig davon, dass es in den ehemaligen Besatzungszonen leichter gewesen sein dürfte, in der Sprache ihrer Einwohner Erfolge zu feiern, nicht in Englisch, Französisch oder Russisch.
Und überhaupt, woher hätte die damalige Kulturindustrie ihre unverbrauchten Stars holen sollen? Sicher, hinsichtlich des Personals gab es auch dort Kontinuität, aber man fängt nicht ohne Folgen zwei Weltkriege an und tötet 6 Millionen Menschen aus Rassenwahn, so etwas hinterlässt Spuren. Der Aufbau der Landesrundfunkanstalten, also öffentlich-rechtlichen Sender, erfolgte durch die Alliierten, der vorher bestehende „Großdeutsche Rundfunk“ wurde von ihnen aufgelöst und existierte nicht mehr. Gezwungenermaßen kam es also Ende der 40er Jahre zu einem Neuanfang des Rundfunks.
In den 50er Jahren dann stand die Welt, zumindest in Richtung Westen, offen, die Wirtschaft prosperierte, man wollte reisen, Exotisches und Besonderes kennen lernen, kurz, konsumieren. Dabei nahm man Neues gerne dort an, wo es keinerlei Konsequenzen mit sich trug, in der Oberflächlichkeit des Schlagers zum Beispiel. Wenn sich das Fremde schon nicht einfach beseitigen ließ, so kann man sich wenigstens ein paar Klischees liefern lassen, und das eben am liebsten in deutscher Sprache.
In Sachen Unterhaltung wurde in der BRD von jeher importiert, das gilt auch für komplette Zielgruppen, die Teenager zum Beispiel. Menschen, die in dieses Raster fielen, hatten keine eigene NS-Vergangenheit und weniger Vorbehalte gegenüber angloamerikanischer Kultur. Sie lernten ab 1964 auch in den Hauptschulen Englisch konnten dadurch zum Beispiel eher Musik konsumieren, die ihren Eltern fremdartig sein musste.
All das begünstigte die Etablierung von Popmusik. Diese definiert sich nicht über eine räumliche und quantitative Verbreitung, sondern die Identifikation ihrer Abnehmer mit den künstlerischen Produzenten, auf Riten und dem Gefühl, gemeint und einbezogen zu sein. Mit dem, was man bis dahin als Schlager oder generell Unterhaltungsmusik kannte, hat das nichts zu tun.
Die Forderung nach einer Radioquote ist also mehr als nur nationalistischer Dummfug und wirtschaftlicher Protektionismus, sie ist historisch unbegründet. Popmusik ist, ganz trocken und stark vereinfacht gesprochen, schon immer ein in die BRD importiertes Handelsgut gewesen, und das lässt sich nicht einfach ändern, schon gar nicht per Gesetz.
Bill Ramsey „Souvenirs“, Oktober 1959
Nun aber zum heutigen Stück: „Souvenirs“ von Bill Ramsey ist eine kleine Klamauknummer, versehen mit Männerchor. Begleitet von diesem werden diverse Alltagsgegenstände aufgezählt, die von den „Großen dieser Welt“ liegen gelassen wurden, und nun erhalte man sie überall, sie würden die „bunten Träume uns’rer Einsamkeit“ schaffen, singt Ramsey in recht energischem, den kehligen Gesang Louis Armstrongs beinahe persiflierendem Ton. Ist das Liedchen vorbei, muss man sich mit dem Ausbleiben einer Pointe abfinden, es gibt keinen Witz, nur Albernheit und die ist, von einem unernsten Menschen hervorgebracht, für alle Beteiligten peinlich.
Ganz anders die ebenfalls 1959 veröffentlichte Originalversion des Songs der Amerikanerin Barbara Evans. Wie viel charmanter sind dort Musik und Text; die Protagonistin zählt Stücke ihrer Sammlung auf und erklärt zu Ende, ihr liebstes Souvenir sei der Ring, den sie, sicherlich vom Liebsten, erhalten habe. Diese Version ist bei all ihrer Naivität weitaus reizvoller ist die Ramseys, eine Erkenntnis, mit der wir uns endgültig von letzterer ab- und uns wieder dem Schönen zuwenden wollen. Deswegen noch eine Empfehlung in Sachen Barbara Evans: Das wunderbare „Beatnik Daddy“ mit dem bärtigen Existenzialisten-Lover und Stereo-Scherz.
Ansonsten wird uns rasches Nachfolgen einer Coverversion auf das ursprüngliche Release wie hier noch öfter begegnen. Ramseys Kalkulation wird recht simpel gewesen sein: Ein vielversprechendes Stück fix für einen Markt adaptieren, in dem man es nicht kennt. Doch er konnte auch anders, nämlich bekannte Stücke bearbeiten. Insgesamt coverte er in seiner Karriere rund 150 Lieder, dabei sind Stücke von Billy Preston, den Beatles, The Jimi Hendrix Experience und Fats Domino. Wer weiß, vielleicht tat er all dies, um finanziell abgesichert seiner Leidenschaft für Swing zu frönen. Heute moderiert Ramsey die Sendung „Swingtime“ auf dem Radiorsender hr2.
[…] wussten wir nicht eh schon, dass mit Bill Ramsey nicht viel Staat zu machen ist? Sein „Souvenirs“ war ja schon recht dürftig, es ist also nicht weiter verwunderlich, dass auch das Pariser Viertel […]
[…] keinen Abbruch, bis in die 1970er hinein war er an folgenden #1-Schlagern beteiligt: Bill Ramseys „Souvenirs“ und „Pigalle“, „Heißer Sand“ von Mina, „Barcarole In Der Nacht“ von Connie Francis, […]
Auch Barbara Evans zählt lediglich Dinge auf, die sie von den Stars jener Tage gesammelt hat: eine Locke von Ricky Nelson, ein Autogramm der Platters, ein Taschentuch von Bobby Darin, ein beschriebener Notizzettel von James Dean, von Duane Eddy eine gerissene Saite, eine Radkappe von Fabians Wagen, ein Bild von Elvis mit einem Teddy Bär, eine benutzte Kaffeetasse von Neil Sedaka, ein zerrissener Schnürsenkel von Pat Boones weißen Schuhen. Aber ihr liebstes Souvenir ist der Ring, den er – wohl ihr Freund oder Mann – geschenkt hat.
Ganz ehrlich: Jonny Bartels alias Kurt Feltz, der den deutschen Text geschrieben hat, ist sehr nah an diesem Original dran.
Werter Herr Laufenberg, da haben Sie recht, der Text ist sehr nah am Original, die Pointe aber eine andere. Auch die Vortragsweise unterscheidet sich meines Erachtens nach stark.
Sie werden bei einer eventuellen weiteren Lektüre der Reihe feststellen, dass die Texte immer sehr persönlich abgefasst sind (und ich Bill Ramseys Musik nicht mag) und bei Bearbeitungen zum Beispiel selten ein streng sachlicher Vergleich stattfindet, eine Freiheit, die ich mir für eine Marotte wie den „Liedschatten“ gerne nehme.
Es ist eher eine Kolumne als ein Handbuch in Blogform und möglicherweise nicht immer korrekt, wo es korrekt sein könnte. Auch denke ich, ich würde manches mittlerweile anders schreiben, aber noch bin ich ja dabei.
Auf jeden Fall freue ich mich, dass Sie als Professioneller unsere Seite entdeckt haben und bin auf mögliche weitere Kommentare gespannt.
Ich war lediglich auf der Suche nach biographischem Material über Barbara Evans – und habe auch bei Ihnen nichts sachdienliches gefunden. Meiner Meinung nach ist die Pointe bei Evans deutlich schwächer und pubertärer als die bei Ramsey – der klar macht, dass man diese Art von Souvenirs an jeder Ecke findet: ‚das sind die Souvenirs, die man überall erhält’ – heute noch in viel größerem Masse als 1959. E-Bay und alle Sammelbörsen verkaufen ‚Souvenirs’ dass es nur so brummt. Ansonsten finde ich Seiten, auf denen jemand seinem Geschmack huldigt, langweilig. Sie mögen Ramsey nicht, ich kenne ihn seit vielen Jahren, habe ihn öfter getroffen und finde ihn ausgesprochen nett. Und was hat der geneigte Leser davon? Nix.
Ja, in beiden Fällen hat er nichts davon, das stimmt wohl.
Was wäre wohl die Schlussfolgerung daraus? Es bleiben lassen? Wohl kaum.
Man hat mich nicht beauftragt, man entlohnt mich nicht, niemand braucht und kann etwas Bestimmtes erwarten, ich bin, anders als ein Moderator, kein Dienstleister für ein festes Publikum und sehr froh darüber. Wir haben nicht einmal Werbebanner geschaltet.
Am Ende ist das hier nicht mehr als das Wahrnehmen der Möglichkeit, als, wenn Sie mögen, „Unberufener“ zu schreiben, was ich möchte, und das tue ich.
Diese Seite ist ein Webzine, ein Fanzine im Internet. Da wird nur dem persönlichen Geschmack gehuldigt, wohl war, und hin und wieder erkennt darin jemand den seinen wieder, wobei er oder sie womöglich Bestätigung erfährt, vielleicht auch das beruhigende Gefühl, mit irgendetwas nicht allein zu sein.
Und das hat der Leser dann davon, und (für uns ausreichend viele) Leser haben wir. Hier soll keine reguläre Presse ersetzt oder nachgeahmt werden, weshalb sie auch keinerlei biografische Informationen fanden und selten finden werden.