Anna CalviAnna Calvi
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Referenzen:
PJ Harvey, Patti Smith, Scout Niblett, Siouxsie Sioux, Wild Beasts, White Magic, Rose Kemp
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Autor: |
Markus Wiludda |
Bei Rezensionen immer gern verwendet: Wetteranalogien. „Musik, so deftig und brachial wie ein Sturm, entfesselt von einer kalten Ostfront im November“. Oder „Musik wie ein zärtelnder Lufthauch im Mai, der, mit subtilen Aromen gespickt, Wohlklang ins Ohr träufelt“. Schlimmer sind wohl nur die bemühten Versuche von Kulturjournalisten, Gitarrenmusik mit Frauengesang zu charakterisieren. Wer kennt sie nicht, die zehennagelaufrollenden Plattenbesprechungen neben den Kreissparkassen-Anzeigen, die auf „ehrliche, handgemachte Rockmusik“ hinweisen und die „Rockröhre“ loben, die eine Stimme hat, mit der sie „Tapeten von den Wänden singt“. Arme Anna Calvi, wir sehen das Unheil schon nahen, was der jungen Engländerin von Rezensenten bereitet werden wird, deren Horizont gleich hinter den Kuschelrock-Compilations (Teil 3 bis 43; allesamt mit „Rockröhre“ Anastacia) endet. Denn wenn Anna Calvi eines hat, dann ist das eine kolossale Stimme.
Zunächst schleicht sie sich noch etwas schüchtern an, nachdem die High-Noon-Gitarren des Openers verklungen sind und die knorrige Wüste dem brokatbeschlagenen Interieur weicht, in dem sie ihr Album eingespielt hat. In urig geschnitzten Sesseln, mit schweren Kronleuchtern an der Decke, tropfendem Kerzenwachs und fassweise Rotwein in der Kehle. Spätestens ab Song drei schwillt ihr stimmliches Volumen an und verkündet mit pathetischen Gesten und in dumpfem Klang die Ankunft an innersten Orten. Dort, wo es grummelt, dort, wo die ganz großen Gefühle und Seufzer sitzen. Spätestens jetzt liebt man dieses Album – oder hasst es abgrundtief. Denn mangelnde Hingabe kann man Anna Calvi nicht vorwerfen. Sie zieht Worte harmonikamäßig auseinander, formt Konsonanten zu dickbäuchigen Monstern und feiert dann ihren Lieblingsvokal O als wolle sie beim „Glücksrad“ lösen. Es ist eine ganz spezielle Form von Vokalakrobatik, die Annas rotgeschminkte Lippen verlässt und dieses neoromantische Debüt durch und durch prägt.
Anna Calvi singt sich nackt. Von Teufeln und Monstern, von gepeinigten Egos in einer gefürchteten Zukunft. Die Songs sind Konvolute von Tränen, Ohnmacht und Aufbegehren. „The Devil“ markiert dabei die karge Seite, entblättert bis aufs Mark, auf unverzerrte Gitarrensaiten die punktiert gezupft werden, auf ein schlichtes Schlagwerk. Und eben die Stimme, die leidet, wabert, wagt und den Raum füllt, bis nichts anderes mehr herein passt. Die andere Seite bildet „Desire“ mit rumpelndem Schlagzeug, sprödem Gitarrenklang und einem melodischen Schwung, der viele Songs auf eine ganz unprätentiöse Art kleidet. Überhaupt ist Annas Musik lange nicht mehr vernommenes Formulierungsgeschick nach ganz alten Mustern: Rockmusik in ausdrucksvoller Vereinfachung, in atmosphärischer Reduktion, die aber nicht als sachlich gelten kann. Schließlich gibt es da noch die Präsenz von Anna, deren Selbststilisierung als selbstbewusste, kämpferische und exzentrische Frau den Mittelpunkt bildet, um den das selbstbetitelte Album aufgebaut ist. Alles ist auf Anna zugeschnitten. Wer Patti Smith, Scout Niblett oder Siouxsie mag, wird eine neue Heldin finden.
Was Anna Calvi dabei so authentisch macht, sind die Brüche in ihrem Schaffen. Das schwungvolle „Blackout“ sticht mit seinem flehenden Gesuch direkt ins Herz und offenbart schiere Angreifbarkeit, andere Songs besingen hingegen Autarkie und Stärke. Das Spektrum reicht von Sehnsucht bis Trauer, immer durchsetzt mit eben jener düsteren Melancholie, die im Bereich des Gothic bisweilen zu verkitscht-verrührten Merkwürdigkeiten verkommt. Das Wissen um die Strömungen aktueller Popmusik (Wild Beasts, PJ Harvey, Rose Kemp, White Magic) hält die Künstlerin davon ab, sich in neoimpressionistischem Wirr zu verheddern. „Anna Calvi“ bleibt bis auf „First We Kiss“ ohne jeglichen falschen Schmalz, wobei der Hang zum offensiven Trauerspiel und emotionaler Selbstabwicklung unüberhörbar bleibt. Die überinszenierte Unantastbarkeit finsterer Romantik und die morbide Grundstimmung hätten jedoch durchaus schärfere Ausbrüche, mehr Verzweiflungsgruben und fiebrigere Momente verdient, um das Ergebnis noch intensiver zu gestalten. Die Geschichten sind zweifelsohne persönlich, jedoch ist anzunehmen: Wenn man Anna Calvi noch tiefer in sich graben lässt, ist das Ende der Dunkelheit lange nicht erreicht. Gleiches gilt für Produktion und Songwriting, die sich selbst zu hemmen scheinen und ein wenig zu vorhersehbar und strukturiert wirken, um Überraschungsmomente zu schaffen. Am Ende bleibt so nur ein etwas mürber Nachhall eines Albums, das von gebrochener Sehnsucht und angstvoller Sensibilität geprägt ist.
Label: Domino
Referenzen: PJ Harvey, Patti Smith, Scout Niblett, Siouxsie Sioux, Wild Beasts, White Magic, Rose Kemp
VÖ: 14.01.2011
„feiert dann ihren Lieblingsvokal O als wolle sie beim „Glücksrad“ lösen“
Hehe, der gefällt mir, Markus.
treffend geschrieben, das passt, egal, ob man die dame mag oder nicht. das album wird gehört.
Fetzen: http://www.youtube.com/watch?v=SxDmCTV0YrY&feature=related
Muss es nochmal hören, aber bisher kommt das Album für mich erst mit den letzten vier Songs in Hochform. Vorher zwar großes Drama und viel Atmosphäre, aber irgendwo fehlen dazwischen ein, zwei Songs von „Blackout“-Kaliber. Erinnert mich da übrigens sehr ans Debüt von Nicole Atkins.