Im Nachfassen: Autre Ne Veut

Wo ist die Zeitmaschine, wenn man sie mal braucht? Dann könnte man die letzten sechs Monate ungeschehen machen … Sarrazin, Atomkraftwerkslaufzeitverlängerungen und die Unachtsamkeit der AUFTOUREN-Redaktion, die irgendwann Ende August, Anfang September leider schlichtweg verpennt hat, sich Autre Ne Veut ins Ohr zu träufeln. Der Fauxpas ist natürlich zu relativieren, veröffentlicht diese musikalische Einmann-Armee auf einem winzigen Label namens Olde English Spelling Bee, dessen Output jedoch eigentlich zum musiknerdigen Pflichtprogramm gehört. Schließlich publizieren dort krude und leicht freakige Künstler, deren Tracks immer zu verbeult und lädiert sind, um wirklich die Massen in Ekstase zu versetzen. Ein Label neben der Spur.
Nur, weil es aber ein bisschen leiert, mit einem Fisher-Price-Mikro von der anderen Straßenseite aufgenommen wurde oder hemmungslosen Musikspagat wagt, bis die Eier kneifen, ist das aber keine schlechte Musik. Im Grundsatz und erst recht beim aktuellen Beispiel. Autre Ne Veut macht die wohl spannendste Kaputtnik-Popmusik, die man sich nur vorstellen kann und befindet sich in guter Gesellschaft mit Künstlern, die einfach 2010 progressiv waren: Ariel Pink, Forest Swords, Laurel Halo, Games und Balam Acab. Ganz ehrlich: Mit ein bisschen Lust auf neue Klänge entwickelt sich auch Autre Ne Veut ganz schnell zu einer wahren Ohrwurmschleuder. Beispielsweise „Two Days Of Rain“, das bedächtig anfängt, flüchtig sowohl in den Geräteschuppen als auch in die Windungen des Laptops schaut, sich mit einer eher mäßigen Stimme (aber vollem Einsatz) dann doch aufschwingt und dem Irrsinn freuen Lauf lässt. Alles flirrt, alles dreht sich – und findet doch seine Richtung: Mit U-Boot-Boat und einem soulig-eingängigen Refrain setzt er ein musikalisches Ausrufezeichen. Imperativ! Während im Hintergrund alles wirbelt und die Welt zusammenstürzt, braut dieser Amerikaner mit Seele, Melancholie, Ergriffenheit und Ehrlichkeit das wohl leckerste Süppchen seit langer Zeit.
Autre Ne Veut – Two Days Of Rain
Der Rest ist nicht minder spannend. „Tell Me“ läuft so unrund rückwärts wie ein dreizehnjähriger Komasäufer, „OMG“ baut sich clever um „Feelings Gone“ von Basement Jaxx (vielleicht auch nicht) – überhaupt gibt es hier Referenzen an alles und jeden. Wem How To Dress Well zu düster war, findet hier die etwas zugänglichere Variante. In Deutschland ist weder der Song, noch das immens lohnende Album erschienen. Wir empfehlen euch den Import dieser kleinteiligen, souligen, fantastisch eigen klingenden Platte. Nichtgefallen: Ausgeschlossen.
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