Der Liedschatten (01): Freddy Quinn "Die Gitarre Und Das Meer"

Charts sprechen niedere Charakterzüge an. Zum Beispiel den Opportunismus, sie rufen „Alle kaufen diesen Song, und Du? Willst Du ihn denn nicht kaufen? Ja, interessierst Du dich am Ende gar nicht für Musik?“ Warum also sich mit Charts beschäftigen?

Ganz einfach, am Ende geht es auch hier um Musik, und nicht nur das. Ständig ist von „Indie“ die Rede, was aber soll das letztendlich sein? Was haben „Qualität“ und „Erfolg“ miteinander zu tun? Was ist so schlimm an der Aufmerksamkeit, die konforme Castingshowgewinner erhalten, sah das in den letzten Jahrzehnten etwa anders aus?

Diese und ähnliche Fragen werden angeschnitten, wenn wir nun an dieser Stelle wöchentlich einen Blick auf die bisherigen Nummer-1-Hits der deutschen Singlecharts werfen und Kuriosem, Bedenklichem und in vielerlei Hinsicht Merkwürdigem begegnen werden.


Folge 1: Freddy Quinn: „Die Gitarre und das Meer“, Juni – Juli 1959

Ein kurzer historischer Exkurs oder: Auf zur Leichenfledderei!

Hitlisten gab es in der damaligen BRD bereits seit 1953. Ab dann veröffentlichte die Zeitschrift „Der Automatenmarkt“ eine monatliche Übersicht der in Musikboxen am häufigsten gespielten Titel, Verkaufszahlen spielten noch keine Rolle.
Mit diesen befasste sich das Magazin „Musikmarkt“ ab 1959 im monatlichen Turnus, wenn auch noch nicht ausschließlich. Ausschlaggebend waren auch das Airplay, der Verkauf von Noten und nach wie vor die Jukeboxen. Bis ins Jahr 1977 sollten die Charts des Musikmarkts grundlegende Informationen für die Branche liefern, so lange, bis ein anderes Unternehmen, Media Control GfK International, mit dem Erstellen der Listen beauftragt wurde. Beide Erhebungen dienen als Grundlage für den Liedschatten.

An dieser Stelle sollte bereits aufgefallen sein: Wo Begriffe wie „Branche“ und „Unternehmen“ fallen, kann es nicht wirklich um die Musik an sich gehen. Wir reden hier aber dennoch nicht von irgendwelchen „bösen Multis“, die irgendetwas manipulieren, sondern von den Charts der BRD in ihren Anfängen. Und die sind an sich schon „manipuliert“, es gab und gibt stets Regeln, nach denen man in ihnen aufgeführt wird oder eben auch nicht. An späterer Stelle werden wir noch einmal darauf zurückkommen.

Es sei die folgende Warnung ausgesprochen: wir begeben uns nun in den wie auch immer „freien“ Markt, in den Bereich der Absatzzahlen, wo der bereits bestehende wirtschaftliche Erfolg ausschlaggebend für die „Kaufentscheidung“ der „Konsumenten“ ist, die wiederum zum Absatz führen. Teilweise wird es recht unappetitlich, und das nicht nur, weil wir über diverse musikalische Seltsamkeiten stolpern werden, deren letzte Zuckungen noch immer untoten Grusel über die Formatradios verbreiten.

Denn betrachtet man die Art, wie man mittlerweile Musik hört, wie sie verbreitet wird und in welcher ökonomischen Größenordnung sich künstlerisch Relevantes abspielt, dann wird deutlich, dass eine Beschäftigung mit Charts eine Auseinandersetzung mit der Geschichte einer Musikwirtschaft ist, die es so nicht mehr gibt und auch nicht wieder geben wird.

Auf zur Leichenfledderei!

Die Gitarre und das Meer

freddy

Die Beach Boys sind eine sehr, sehr wichtige Band, eine feste Größe, ein Hort der erhabenen Harmonien und die Bewahrer des Versprechens, auch mit stereotypen, stumpfen Texten über die Liebeleien der heterosexuellen Jugend Großes schaffen zu können. Sie sind aber auch die Band, die 1988 von „Kokomo“ sang. Zum Glück war der mit Recht oft als genial bezeichnete Brian Wilson damals endgültig kein Mitglied der Gruppe mehr, sonst könnte man den folgenden Satz nur bei fast schon menschenfeindlicher Kaltblütigkeit so stehen lassen: „Kokomo“ erinnert an Freddy Quinns „Die Gitarre und das Meer“, denn das Stück der Beach Boys bewegt sich auf dem Niveau des deutschen Schlagers der fünfziger Jahre, es bedient dasselbe Genre.

„Die Gitarre und das Meer“ handelt von der Sehnsucht und den enttäuschten Hoffnungen eines Seemanns, den Lockungen der fernen Welt, verkörpert von einem Mädchen, das dann doch von einem anderen genommen wurde. Das reicht schon, das war’s, das ist der Song, musikalisch gibt’s keine Finessen, nur eingängiges Geplänker und einen schwülstigen Bariton. Ein Meisterstück des Belanglosen also, ein Schlager erster Güte, gefällig, oberflächlich und einlullend.

Dass Franz Eugen Helmuth Manfred Nidl-Petz alias Freddy Quinn tatsächliche eine recht bewegte Jugend als Meerbewanderer führte und ein österreichischer Seiltänzer ist, der in Algerien beinahe bei der Fremdenlegion landete, macht das Liedchen über Umwege erträglicher, als man beim ersten Hören vermeint. Beim ersten Hören? Warum sollte man das Stück mehr als nur einmal hören? Vielleicht, weil man zu sentimentalen Schwelgereien neigt, sich aber um Himmels willen nicht auf richtige Gefühle einlassen möchte, dann zum Beispiel. Oder falls man mit dem Werk das vorhat, was mit Schlagern bis in alle Ewigkeit gemacht werden wird: es immer und immer wieder aufzeichnen und im Playback vortragen, eine Gelegenheit, die in mehr als fünfzig Jahren nur zu oft wahrgenommen wurde. Das ist furchtbar, weitaus furchtbarer als das Stück an sich.

Wir befinden uns aber noch im Jahr 1959. Jerry Lee Lewis heiratet seine 13jährige Kusine, Little Richard wird Prediger, Elvis Soldat in Hessen und Buddy Holly stirbt bei einem Flugzeugabsturz, in der biederen BRD dominiert das Quinn’sche Machwerk die Monate Juni bis Juli unangefochten. Optimale Vorraussetzungen also dafür, dass sich alles zum Besseren wendet. Doch wenn ein Song wie „Kokomo“ die Beach Boys noch 1988 zu ungeahntem Erfolg führt, kann es mit dem proportionalen Verhältnis von Jahreszahlen und der Entwicklung der Menschheit zum Guten nicht so weit her sein, kurz gesagt: es gibt keine Garantie, dass irgendetwas besser werden wird. Freddy Quinn sollte am Ende insgesamt zehn Nummer-Eins-Hits in der BRD haben, einzig The Beatles hatten elf. Alles halb so wild? Je nachdem, man beachte nur einmal den Text des reaktionären Hipshakers „Wir“ von 1966.

7 Kommentare zu “Der Liedschatten (01): Freddy Quinn „Die Gitarre Und Das Meer“”

  1. Marc sagt:

    Eine tolle Idee, diese Kolumne.Da kommt sicher einiges auf uns zu in den nächsten Wochen.Sehr ausführlich auch,weiter so.

  2. Lennart sagt:

    Danke, ich werd‘ mir Mühe geben (-: !

  3. […] letztwöchigen Beitrag wurde die Schwelgerei in Form des Quinnschen Schlagers „Die Gitarre und das Meer“ gegeißelt, und nein, sie wird nicht widerrufen, diese kleine Schmähung des plumpen Schlagers. […]

  4. […] Jahren, und das ist, betrachtet man die Hits der 50er und auch sechziger Jahre, ein wenig spät. Freddy Quinn ist ein Österreicher, Dalida stammt aus Ägypten, und Bill Ramsey, um den es heute erstmalig gehen […]

  5. […] Es wurde bereits erwähnt: Freddy Quinn hatte viele, viele Nummer-Eins-Hits, nämlich zehn. Heute also dann „Unter fremden Sternen“. Dort windet sich sein Bariton am Strand der Harmonie und kann sich nicht erheben. Doch keine Sorge, der Sand ist wohlig weich und kuschelig warm, da bleibt man doch gerne bodenständig. Es bedarf schon ganz großer Worte, ja einer regelrechten Anrufung, damit die Stimme sich erheben kann: „Fremde“, „Zukunft“, „Sehnsucht“, „Ferne“, „zuhaus’“, „Heimfahrt“, das sind die Worte, mit denen Freddy hier das flache, doch hoch gelegene Plateau der Fragen menschlicher Existenz erklimmt. Und wenn wir mit ihm nun schon einmal hoch oben im Wolkenreich des Pathos stehen, so lohnt es sich, ein wenig darüber nachzudenken, was er uns sagen möchte, der wellendurchpflügende Quinn, der sehr gerne „noch einmal mit euch offen sprechen“ möchte (Zitat „Wir“). […]

  6. […] bleiben. Spoken Word gibt’s, ein süßliches Arrangement, also ähnlich wie bereits schon “Die Gitarre und das Meer” und “Unter fremden Sternen“. So etwas versteht jedeR, der Erfolg verwundert […]

  7. […] Stimme über traumhafte, bis heute unbekannte Meere treiben. Er sang sich mit Stücken wie „Die Gitarre Und Das Meer“, „Unter Fremden Sternen“, „La Paloma“ und „Junge, Komm Bald Wieder“ ins Herz der […]

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