AUFTOUREN: Halbstrecke - 2010 in EPs

Sie ist mehr als nur ein Zwischenformat. Anders als bei einer Single steht bei der EP meist nicht ein einziges Musikstück im Vordergrund der Aufmerksamkeit, zugleich ist das Arrangement einer Handvoll Stücke mit mittlerer Gesamtspiellänge flexibler als bei einem Album, bei dem ohnehin aufgrund seiner größeren angenommenen Bedeutung weniger Experimentierbereitschaft von Künstlerseite herrscht. Ob präzise Statements, Spielwiesen für kühne Experimentierlust, atmosphärisch intensive Gesamterlebnisse oder einfach nur Kollektionen durchgängig großartiger Musik: Das Jahr 2010 hatte viele Veröffentlichungen mittlerer Spiellänge zu bieten, die mühelos ihren populäreren Albumgeschwistern die Stirn boten. Um dies angemessen zu würdigen, haben wir von AUFTOUREN uns diesmal entschlossen, euch eine Liste unserer 20 EP-Favoriten zu präsentieren.

1. FOREST SWORDS – Dagger Paths [Olde English Spelling Bee]

Vor einem halben Jahr wurde „Dagger Paths“ erst veröffentlicht und nun sogar schon mit reichlich Bonusmaterial als Doppelalbum erneut aufgelegt. Das Soloprojekt von Matthew Barnes scheint somit derzeit nicht nur die wohlverdiente Aufmerksamkeit zu bekommen, sondern wird in Zukunft vielleicht auch eine angemessene Wertschätzung erfahren. Barnes ist es gelungen, Elemente elektronischer Musik, wie beispielsweise den im Dubstep üblichen Gesangsstil, mit seinem akzentuierten Gitarrenspiel im Stile Earths zu kombinieren und über minimalistische Soundscapes und Drumcomputer zu schichten. Das Ergebnis ist letztlich eine unglaublich kraftvolle, psychedelische und bedrohliche Mischung, die bisher kaum aussagekräftige Vergleiche zulässt. Lediglich als lose Anhaltspunkte können jedoch Burial, Sun Araw oder Fennesz dienen, die allesamt einige Elemente der Musik Forest Swords in sich tragen. „Dagger Paths“ ist folglich nicht nur eines der progressivsten Werke des gesamten Jahres 2010, sondern auch ein äußerst überraschendes und angenehmes Hörvergnügen. (Constantin Rücker)


2. JAMES BLAKE – CMYK / Klavierwerke [R&S Records]

Gemessen an der Quantität seines bisherigen Outputs hat der 22-jährige James Blake schon gehörig viel Staub aufgewirbelt auf den Tanzflächen und in den Musikredaktionen dieser Welt. Ganze drei EPs und ein paar Singles stehen bisher zu Buche. Aber Blake meisterte diese kleinen Etappenziele mit einer derartigen Bravour, Finesse und Selbstverständlichkeit, dass einem Angst werden kann bei dem Gedanken daran, dass Anfang Februar sein Debütalbum erst noch erscheinen wird. Wurde Blake nach der „CMYK EP“ Mitte des Jahres lediglich in der Sparte Dubstep als Newcomer gehandelt, so hatte er sich bereits mit der „Klavierwerke EP“ im Herbst nicht nur selbst übertroffen, sondern bereits eine Art Post-Dubstep-Ebene erreicht. Die Vorab-Single zum kommenden Album, das gefühlvolle und zeitlose „Limit To Your Love“-Cover von Feist, gab letztlich sogar noch einen ganz und gar neuen James Blake preis. Es scheint, als hätte der Londoner sich bereits vor seinem Erstling einmal neu erfunden und damit die Erwartungen an ihn in Regionen empor geschraubt, die andere Künstler geradezu blockieren würden, ihn jedoch zu beflügeln scheinen. (Constantin Rücker)


3. ZOLA JESUS – Valusia / Stridulum [Sacred Bones] bzw. Stridulum II [Souterrain]

Obwohl Nika Roza Danilova erst 21 Jahre alt ist, kann sie inzwischen auf eine beachtliche musikalische Vergangenheit zurückblicken. Mit 16 die ersten musikalischen Gehversuche, mit 18 nimmt sie ihr erstes Album auf, später folgen unter dem Namen Former Ghosts eine Kollaboration mit Xiu Xius Jamie Stewart, eine mit den LA Vampires und in diesem Jahr sogar eine kleine Tour mit Fever Ray. Diese junge Dame mit den russischen Wurzeln scheint zu den wenigen Menschen zu gehören, in denen das Gespür für großartige Songs und eine schier unerschöpfliche Kreativität auf genügend Individualität und Ehrgeiz treffen, um nicht in der Masse unterzugehen. Nicht zuletzt dürfte der Erfolg allerdings auch der wunderbaren Stimme Danilovas geschuldet sein. Sowohl „Stridulum“ als auch „Valusia“ leben nicht nur von den minimalistischen, epischen Synthesizerflächen oder den stampfenden Beats, sondern vor allem von dieser über allem thronenden kraftvollen Stimme Danilovas, welche einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. (Constantin Rücker)


4. GIRLS – Broken Dreams Club [Pias / Turnstyle]

So unerwartet wie diese EP schlenderte schon lange keine Veröffentlichung einer derart geschätzten Band mehr über meinen Weg. Sie kam so leichtfüßig und verspielt, vor allem aber ohne Erwartungen und Hoffnungen, um die Ecke, geradewegs zielstrebig auf mich zu und ich schloss sie gleich in meine Arme, hielt sie so fest ich nur konnte. So blieben wir für eine gefühlte Ewigkeit regungslos inmitten der ewig umtriebigen Großstädter stehen und sie flüsterte mir sanft ins Ohr: "It’s hard enough to be alone/ it’s harder still to spend so long looking for happiness/ feeling so restless/ I know you feel like I do too/ even though I’m close to you/ I can’t be what you need/ you’re just as lost as me." Unsere Umarmung ist noch immer von einer derart intensiven Vertrautheit, dass man meinen könnte wir hätten seit Jahren nichts anderes getan. Dabei haben wir uns doch gerade erst kennen gelernt. Wer weiß, wie lang das jetzt mit uns halten mag? Und selbstverständlich viel zu früh, bereits nach einer halben Stunde, muss ich meine Augen wieder öffnen, denn sie lässt mich langsam los, entlässt mich wieder in die Welt und wir gehen vorerst getrennte Wege. (Constantin Rücker)


5. JAMES FERRARO – Last American Hero [Olde English Spelling Bee]

Wir könnten uns zum Beispiel im mittleren Westen der USA befinden, die Menschheit schon einmal komplett tot, aber inzwischen wieder da und gerade dabei den amerikanischen Kontinent ein weiteres Mal zu erschließen, wie damals im 19. Jahrhundert. Man könnte jetzt auch wieder Marlboro rauchen und umher reiten wie in den goldenen Jahren. Und als musikalische Untermalung müsste dann im Hintergrund James Ferraros „Last American Hero“ laufen: Ein Endzeit-Soundtrack mit Americana-Einschlag. Kaum vorstellbar, dass Ferraro ein Leben vor der Musik gehabt haben soll. Allein in den letzten drei Jahren hat er mit einer Vielzahl an CD-Rs den Markt für experimentelle Musik derartig überschwemmt, dass man schon fast zwanghafte Züge dahinter vermuten könnte. Nun hat sich in diesem Jahr glücklicherweise das aufstrebende britische Label Olde English Spelling Bee einer seiner Veröffentlichungen angenommen und „Last American Hero“ regulär veröffentlicht. Das Rezept Ferraros ist dabei denkbar einfach und seine Musik funktioniert letztlich wie ein Dreikomponentenkleber: Über die aufdringlich vordergründigen Synthie-Flächen legt Ferraro zusätzlich den wie ein Herzschlag wummernden Rhythmus und sein akzentuiertes, minimalistisches Gitarrenspiel. Dies ergibt ein unfassbar homogenes Gesamtbild. Die Aufnahmen klingen dabei wie von einem alten, leiernden Tape aus den frühen 90ern, gepaart mit dem Rauschen, Knistern und Springen uralter Schallplatten. Ein einzigartiges, äußerst anspruchsvolles Hörvergnügen, welches sicher nicht allen zusagen wird, in seiner Kompromisslosigkeit und Stimmung in diesem Jahr allerdings seinesgleichen sucht. (Constantin Rücker)


6. THE TALLEST MAN ON EARTH – Sometimes The Blues Is Just A Passing Bird [Dead Oceans]

Die Cover der Alben von The Tallest Man On Earth zierten bisher unglaublich weite, von grenzenloser Freiheit zeugende Ansichten der Natur. Das 2008er „Shallow Grave“ zeigte lediglich unregelmäßige Wolkenformationen, das 2010er „The Wild Hunt“ zusätzlich eine Horizontlinie und in Form von Strommasten bereits erste Anzeichen der Zivilisation. Diese Entwicklung wurde nun mit dem Erscheinen dieser EP fortgeführt, denn das Cover ziert erstmals eine Innenansicht. Der Blick geht plötzlich nur noch über einen Tisch hinweg hinaus in Richtung Natur – und so herrscht bereits auf dem Cover dieser EP ein Mehr an Zurückgezogenheit und ein Weniger an Freiheit. Diese Tendenzen lassen sich allerdings auch in den Liedern selbst finden, denn es handelt sich um Kristian Matssons bisher traurigste und introvertierteste Stücke. Hoffnungsvoll beschwingte Songs fehlen nun komplett. The Tallest Man On Earth wirkt fast ein wenig resigniert, weit und breit kein lautes Aufbegehren mehr wie auf den Vorgängern. Interessanterweise ist diese EP während einer kurzen Tourpause, zwischen all dem ziel- und rastlosen Reisen, entstanden und ich erinnere mich eines Momentes bei einem seiner Konzerte: Lange vor Erscheinen von „The Wild Hunt“ sang ein Zuschauer lauthals alle längst noch nicht veröffentlichten Lieder des kommenden Albums mit. Matsson stand dabei sichtlich gekränkt auf der Bühne und konnte seinen Ärger darüber ebenso wenig artikulieren wie verbergen. Er klang in diesen Momenten irgendwie traurig, aber hilflos und man machte sich fast ein wenig Sorgen. Nun beim Hören dieser EP fühle ich mich daran erinnert, aber freue mich, dass er seiner Traurigkeit nun nicht nur Ausdruck verleiht, sondern uns sogar daran teilhaben lässt. (Constantin Rücker)


7. BALAM ACAB – See Birds [Tri Angle]

In Anbetracht des Alters von Alec Koone wirkt es schon fast ein wenig dreist, dass dieser 19-jährige im Sommer eine derart reife und innovative EP auf den Markt gebracht hatte. Nicht, dass diese fünf Songs im Alleingang das neue Genre namens Witch House aus der Taufe gehoben hätten, aber Balam Acab war auch fraglos kein Nachzügler oder Trittbrettfahrer was diesen Trend anging. Ein unglaublich schleppender Beat, zauberhafter Gesang, der allem voran an Burials Veröffentlichungen erinnert, aber eben auch einige dronige Elemente kleiden diese EP in ein äußerst zeitgenössisches Gewand. Man darf gespannt sein was der Musikstudent Koone erst mit 20 oder gar 21 auf den Markt schmeißen wird. (Constantin Rücker)


8. SUFJAN STEVENS – All Delighted People [Asthmatic Kitty]

Sufjan Stevens, der wohl ambitionierteste Songwriter seiner Zeit irgendwo im sagenumwobenen Niemandsland zwischen Genie und Wahnsinn. Für all diejenigen, die seiner Abkehr vom bewährtem Banjosound, wie sie das elektronisch auf links gedrehte "The Age Of Adz" vollzog, nicht ganz gewachsen waren gab es da ja noch "All Delighted People". Kaum weniger größenwahnsinnig wird hier die Definition einer gewöhnlichen EP ad absurdum geführt und in gut 60 Minuten Spielzeit all das auf die Spitze getrieben, was man an dem Mann bisher schon liebte. Songepen, wie der in der Orchestralversion überragende Titeltrack und das Choräle, Bläser und Streicher über eine wildgewordene E-Gitarre schichtende "Djoharia" überstrahlen hier letztendlich nicht nur den fehlenden roten Faden sondern auch so manches vom eigentlichen Sufjan-Stevens-Album 2010. (Bastian Heider)


9. PORCELAIN RAFT – Curve / Collection of Porcelain

Dieses Jahr war ja auch eines der Bedroom-Pop-Projekte, wie man inzwischen so schön zu sagen pflegt. Da waren How To Dress Well, Twin Shadow oder auch Autre Ne Veut. Sollte dieser Trend noch bis ins nächste Jahr anhalten, dürfte man mit Procelain Raft einen weiteren starken Vertreter dieser Richtung gefunden haben. Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich der 37-jährige Mauro Remiddi, ein in London lebender Italiener. Ihm gelang auf seinen beiden diesjährigen EPs nicht nur Musik auf einem durchgehend hohen Niveau, sondern vor allem ein äußerst seltener Spagat: Remiddis Musik ruft unverhohlen 90e-Jahre-Assoziation beim Hören hervor und klingt dennoch geradezu zeitgenössisch. Remiddi trägt die Songs mit seiner äußerst wandelbaren Stimme vor, die zunächst vielleicht noch an The Verve, Radiohead oder gar Placebo denken lässt. Bald wandelt sich der Eindruck jedoch und man muss am Ende neidlos anerkennen, dass es nicht nur eigenständige und starke Lieder sind, sondern die EPs auch durch eine wunderbar austarierte Balance aus elektronischen Spielereien und sehr gut komponierten balladesken Popsongs bestechen. (Constantin Rücker)


10. KINGDOM – That Mystic [Night Slugs]

Anfangs fand ich diese knapp 25 Minuten äußerst nervtötend. Viel zu aufgekratzt wirkten manche Elemente, gar unpassend und deplatziert, nahezu kindisch mitunter. Aber wie schon so oft bestätigte sich auch dieses Mal: Gut Ding braucht Weile. Und plötzlich packt einen die Musik, klingt ein wenig wie M.I.A. ohne MAYA, auch gern mal den Bogen überspannend, aber dafür mit tollen Spannungsbögen und äußerst unerwarteten Wendungen. Plötzlich erhebt niemand geringeres als Beyoncé ihre Stimme aus diesem Computerspielkosmos, während im Hintergrund das Mischpult tropft. Den Titel für die schizophrenste EP des Jahres bekommt in diesem Jahr… Kingdom. Vielleicht sollte ich trotzdem lieber erstmal wieder was anderes hören. (Constantin Rücker)


11. AUTECHRE – Move Of Ten [Warp]

Rob Brown und Sean Booth sind Autechre seit 1987. Und genauso lang steht ihre Musik für Sphärenmusik, für Glitches, Klicks und technologische Klänge. Längst ist ihr Sound ikonisch, so sehr haben sie die Szene geprägt in der sie sich bewegen. Dass kurz nach der „Oversteps“-LP diese 47-minütige EP erschienen ist, mag daran liegen, dass die Auswahl der Tracks kaum mehr unter qualitativen Gesichtspunkten zu treffen ist. „Move Of Ten“ ist vielleicht ein bisschen tanzbarer geworden, nicht ganz so mikroskopisch und abstrahierend. Dennoch leben die Minaturen weiter von der sterilen Kühle, der futuristischen Ästhetik, die von Hörern oft mit „Raumfahrt“ in Verbindung gebracht wird. Und es stimmt: Pech für die NASA – bei all ihren Weltraumerkundungen werden sie leider immer nur zweite sein. Weil Autechre bereits da waren. (Markus Wiludda)


12. YU(C)K – Weakend [Mirror Universe Tapes]

4 Songs in 20 Minuten, meist nur ein Piano und die Stimme Daniel Blumbergs. Dazu maximal ein fein akzentuiertes Schlagzeug oder im Hintergrund mehrstimmiger Gesang. Das scheint das Rezept zu sein für diese berührenden Lo-Fi-Indiepop-Songs, welche Yuck unter leicht verändertem Namen herausbrachten. Im Februar kommt endlich das Album-Debüt der vier Briten, neben dem Album James Blakes vielleicht das von einigen am sehnsüchtigsten erwartete Highlight des nächsten Frühjahrs. Und das obwohl die Band inzwischen von Fat Possum unter Vertrag genommen wurde und die neueren Songs plötzlich in eine ganz und gar andere Richtung zu gehen scheinen. Bleibt nur zu hoffen, dass Yuck nicht das gleiche Schicksal ereilt wie die Black Kids im Jahre 2008, die nach einer hochgehandelten EP mit dem Album auf der ganzen Linie enttäuschten, so dass selbst Pitchfork sich zu einer äußerst schamvollen Rezension gezwungen sah. (Constantin Rücker)


13. THE WAR ON DRUGS – Future Weather [Secretly Canadian]

Die Taktik geht auch ohne den inzwischen erfolgreich auf Solopfaden wandelnden Kurt Vile auf: Psychedelische Sommerabend-Hitze oder die unendlichen Weiten der Prärie. Große Melodien sind Programm, genauso wie diese Art Malkmus’sche Lässigkeit. Und abermals lugt irgendwie Springsteen um die Ecke – im Gegensatz zu The Hold Steady, Titus Andronicus oder The Gaslight Anthem, die sich allesamt auf „Born To Run“ oder „Born In The U.S.A.“ beziehen, haben die Jungs um Sänger und Gitarrist Adam Granduciel aber mit Sicherheit das 1982er Überalbum „Nebraska“ im Tape-Deck ihres Tour-Vans festgeschraubt. Überzeugt euch selbst – Anfang des nächsten Jahres auf deutschen Bühnen. (Pascal Weiss)


14. GAMES – That We Can Play [Hippos In Tanks]

Der Name scheint Programm, denn geradezu spielerisch gehen Games mit den letzten 30 Jahren Musikgeschichte um. Allen voran die 80er Jahre scheinen es Daniel Lopatin (Oneohtrix Point Never) und Tigercitys Joel Ford aber angetan zu haben. Für „Shadows In Bloom“ samplen sie beispielsweise den 1981er Hit „Flash in the Night“ der Schweden Secret Service. Mit dieser Methode gelingt es ihnen scheinbar am Fließband, wunderbar moderne Popsongs zu erschaffen ohne dabei lediglich einen billigen Aufguss alter Hits zu präsentieren. Am Gesang bekommen sie dabei übrigens Unterstützung von der nicht minder interessanten Laurel Halo, die in diesem Jahr ebenfalls eine äußerst hörenswerte Debüt-EP vorgelegt hat. Apropos Debüt: ein richtiges Debütalbum haben Games inzwischen auch schon aufgenommen. (Constantin Rücker)


15. DÃM-FUNK – Hood Pass Intact [Stones Throw]

Autos, Brüste, Bucks: Dâm-Funk fühlt sich königlich wohl in Pasadena. In seiner Hood, bei seinen Homies. Dort hat er Frauen, Credibility und vielleicht sogar ein bisschen Geld. Darüber singt und rappt er, wenn er nicht gerade auf seiner Party „Funkmosphere“ auflegt und sich feiern lässt. Nein, als König der Straße hat er es nicht so mit Understatement und Subtilität. Dies findet auch seine Entsprechung auf der musikalischen Seite, die mit retrofuturistischen Samples arbeitet, mit synthetischen Neonfarben, jaulenden Synthies und all dem restlichen Kram, den Miami Vice und Prince ihm übrig gelassen haben. Dass das nicht nur glitzernd und ultrafunky ist, sondern auch sensationell einzigartig, muss schnell erwähnt werden, bevor Dâm-Funk einem wieder ins Wort fällt: „Just bounce, bounce, bounce!“. (Markus Wiludda)


16. DOUBLE DAGGER – Masks [Thrill Jockey]

Vor zwei Jahren sorgten No Age mit einem irrwitzigen Gig in einem kleinen Kabuff in Heidelberg vor aufgerundet etwa zwanzig Zuschauern dafür, dass ich „Zum Teufel“ bis heute nicht mehr betrete. Die Ehrfurcht ist groß. Fast aber wäre es doch soweit gewesen, wenn mir nicht kurzfristig was dazwischen gekommen wäre – diesen Sommer. Beinahe auf den Tag genau zwei Jahre später nämlich sollten Double Dagger eben jene Spielstätte aufsuchen – einen würdigeren und passenderen Nachfolger wird man wohl nicht finden: Das ist wilder und zupackender (Post)-Punk, der dort, wo sich No Age auf ihrem zuletzt erschienenen „Everything In Between“ etwas zurückzogen, gerade erst den Hebel lockert und mit Hochgeschwindigkeit in den kommenden Refrain rast. Und dann sind diese Buddies auch noch so verdammt ehrlich und weise: "I guess how it went is just how it goes." Well done. (Pascal Weiss)


17. WISE BLOOD – ´+´

Wise Blood liegt irgendwo im Dunstkreis von Panda Bear und Girl Talk. Und obwohl diese EP keine 10 Minuten lang ist, hat sie es dennoch vermocht, durch ihre Eigenständigkeit ganz andere Alben in diesem Jahr auszustechen. Dabei ist es ein äußerst eigenwilliges Hörerlebnis, da eine Vielzahl der Samples und Melodien einem scheinbar irgendwie bekannt vorkommt, aber eben nur irgendwie und dabei ganz dezent. Es ist kaum möglich, zu formulieren was diese Musik letztlich ausmacht. Vielleicht die Kombination aus Eingängigkeit und der gewissen Gleichförmigkeit, dieses Aufrechterhalten des Refrains über die komplette Dauer eines Liedes oder eben auch das komplette Ausbleiben eines solchen. Kaum vorstellbar, dass Chris Laufman mal ein ganzes Album in diesem Stil aufnehmen sollte. Aber gerade deswegen bin ich eigentlich gespannt. (Constantin Rücker)


18. OVAL – Oh [Thrill Jockey]

Oval ist ein Gruß aus der Vergangenheit. Neun Jahre hat Markus Popp gebraucht, um sein neues Werk „O“ aufzunehmen. 70 Tracks. Als kleine Einführungsrunde gab es die EP „Oh“ vorab. 15 Tracks. Darauf: kleine musikalische Amuse-Gueule mit stoisch ruhigem Untersatz und Fluss, die dann mit Glitches, stammelnden Beats und digitalem Störfeuer konterkariert werden. Der Klang ist dabei immer warm und organisch, schließlich schwört Oval auf das Analoge und suggeriert eine Liveeinspielung, wobei man nie genau weiß, welches Signal denn durch den Laptop wie manipuliert wurde. „Oh“ ist eine Klangforschung im Sinne von Cage, dessen „Präpariertes Klavier“ auch auf dieser EP Spuren hinterlassen hat. (Markus Wiludda)


19. TWIN SISTER – Color Your Life / Vampires With Dreaming Kids [Double Six Records / Domino Records]

Mit ihrer äußerst stimmungsvollen EP lagen Twin Sister in diesem Jahr irgendwo zwischen den Alben von Beach House und Warpaint. Sie liefern auf „Color Your Life“ wundervoll verträumten Dream Pop, der allerdings nicht orientierungslos im Nebel umherirrt, sondern geradezu zielsicher seinen Weg kennt und höchstens etwas geistesabwesend dahergetänzelt kommt. Als Markenzeichen Twin Sisters muss dabei die tiefe und volle Stimme Andrea Estellas bezeichnet werden, die phasenweise nicht nur an Beach Houses Victoria Legrand erinnert, sondern auch eine ganz eigene Atmosphäre zu erzeugen vermag. War „Color Your Life“ zunächst noch auf dem amerikanischen Kleinstlabel Infinite Best erschienen, wurde es im September von Domino bereits erneut veröffentlicht (erweitert um die zwei Jahre alte Vorgänger-EP „Vampires With Dreaming Kids“). Dass dieses äußerst renommierte Label sich dieses Kleinods angenommen hat, spricht nicht nur für die Qualität der Songs, sondern könnte auch auf einen weiteren hoffnungsvollen Werdegang dieser Band aus Long Island schließen lassen. (Constantin Rücker)


20. RICHARD HAWLEY – False Light From The Land [Mute]

Heute schreibt Richard Hawley vermutlich die langsamsten und traurigen Popsongs der ganzen weiten Welt. Dabei war er einst Gitarrist bei Pulp. Doch das ist lange her. Und für ein Aufhorchen sorgt schon längst nicht mehr sein Gitarrenspiel, denn Hawley steht inzwischen auch hinterm Mikro und alles andere wäre bei dieser Stimme auch ein Verbrechen. Nicht einmal Vergleiche mit Roy Orbison, Lee Hazlewood oder Johnny Cash bräuchte er zu scheuen. Da alle Stücke dieser EP sparsam instrumentiert sind und gemächlich dahin fließen, erhält die Stimme auch den nötigen Raum. Lediglich kurze und verhaltene Ausbrüche der Gitarre sind zu vernehmen, ansonsten regiert Hawleys Stimme und trägt die äußerst traurigen Texte von Liebe und Abschied vor. Auf zwei der vier Songs wird Hawley außerdem von der Gospelgruppe The Smoke Fairies begleitet. Ein Lied wie „Shallow Brown“ kommt dadurch sogar ohne jede Instrumentierung aus und schafft es dennoch oder gerade deswegen, a cappella mehr emotionale Wucht zu entwickeln als so manch überladener Song. (Constantin Rücker)

3 Kommentare zu “AUFTOUREN: Halbstrecke – 2010 in EPs”

  1. […] Songs machen zwischendurch gerne ein Mittagsschläfchen und auch der fulminante Neo-Gospel von James Blake (an dieser Stelle werden durchaus Wetten auf viele Jahres-Endlisten-Nennungen zu einer mickrigen […]

  2. […] Referenz muss natürlich Burial genannt werden, wie auch Forest Swords oder die Labelkollegen Balam Acab und oOoOO. Aber Holy Other kopiert nicht, sondern findet seine […]

  3. […] hatten Ferraros Werke gerne so programmatische Titel wie „Last American Hero“ oder „Far Side Virtual“. Beide Alben waren auf ihre jeweilige, unverwechselbare Art […]

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