Kaum jemand bleibt stehen

Kaum jemand bleibt stehen

Einmal von unzähligen Menschen beim Musikmachen beobachtet werden, womöglich noch ein bisschen Geld dazu verdienen und ganz nebenbei die eigenen Fähigkeiten verbessern. Klingt im ersten Moment nach einer hervorragenden Idee, die allerdings einen Haken hat: Man muss sich erst einmal trauen. Ein Bericht über die Schwierigkeit, in Hannovers Fußgängerzone als Straßenmusiker aufzutreten.

Ich hatte mir das vorher alles so schön ausgemalt. Vor meinem geistigen Auge spielten sich in einer Endlosschleife gar zutiefst romantische Bilder ab: Ich inmitten einer Menschenmenge, mein Gesang klar, mein Gitarrenspiel virtuos, die Umstehenden klatschen im Takt, manche singen mit, andere haben Tränen in den Augen oder ein seliges Lächeln im Gesicht.

Woher diese Vorstellung kam, kann ich mir allerdings nicht so recht erklären. In den meisten Fällen ist es bei Straßenmusikern ja doch eher so, dass sie den vorbeihuschenden Passanten im besten Falle nicht auf die Nerven gehen. Das alte Klischee vom Panflötenspieler ist zwar furchtbar überstrapaziert, aber leider immer noch Realität. Und auch das Spiel der Punks, die regelmäßig im Eingangsbereich zur hannoverschen Innenstadt ihre Akkorde zusammenklampfen, lädt eher selten zum Verweilen ein. Bei dieser Gelegenheit müssen wir zudem auch ein weiteres Klischee als unumstößliche Wahrheit festhalten: Wer in Hannover wohnt, ist grundsätzlich erst einmal ein wenig unterkühlt und skeptisch, was definitiv nicht die besten Voraussetzungen für einen Straßenmusiker sind, der auf die Nächstenliebe seiner Mitmenschen angewiesen ist.

Eigentlich reicht diese – noch lange nicht vollständige! – Aufzählung von Beobachtungen also schon aus, einen Straßenauftritt in Niedersachsens Hauptstadt als Hirngespinst abzutun und sich wieder den schönen Momenten des Lebens zu widmen. Sollte man in seinem spätjugendlichen Leichtsinn jedoch auf den Geistesblitz kommen, in einer Redaktionssitzung vorzuschlagen „mal herauszufinden wie das so ist, als Straßenmusiker“, dann wird diese Idee aber plötzlich doch viel realer als gedacht. Ein simples „Gekauft!“ kann dann bereits das eigene Schicksal besiegeln.

Dass zwischen jenem Tag und der tatsächlichen Umsetzung dann aber noch etliche Hektoliter Wasser die Leine hinunter fließen, ist dem Sommer 2010 zu verdanken, der genug Gründe bietet, den unausweichlichen Tag zumindest immer weiter hinauszuzögern: Fußball-Weltmeisterschaft, zu große Hitze, zu wenig Hitze… klar, unangenehme Dinge schiebt man ohnehin immer so lange vor sich hin wie es nur geht. Was für andere das Putzen der Wohnung ist, ist für mich in dieser Zeit der Auftritt in der Fußgängerzone.

Der wichtigste Teil der gesamten Aktion fristet derweil ein Schattendasein. Zwar wird die Gitarre beinahe täglich in die Hand genommen, ernsthaftes Üben geht jedoch anders. Nur ganz allmählich überlege ich mir, welche Songs ich denn überhaupt spielen könnte, um meine wenig ausgebildete Stimme nicht vollends zu überfordern. Doch selbst nachdem dieses Problem gelöst ist, stehe ich vor einem neuen: Was eignet sich überhaupt für mein Vorhaben? Klassiker von Bob Dylan oder den Beatles, die zwar jeder kennt, die aber im Prinzip auch schon vollkommen totgespielt wurden? Aktuelle Stücke, die einem ohnehin im Radio ständig um die Ohren gehauen werden? Oder doch eher was Unbekanntes? Nach etlichen Meinungsänderungen ist die endgültige Auswahl ein Kompromiss inklusive des Radio-Hits „Human“ der Band The Killers, des Klassikers „Stand by me“ sowie des in Hannover unausweichlichen „Satellite“, im Original vorgetragen von Lena Meyer-Landrut, die zwar auch keine großartige Sängerin ist, im Gegensatz zu mir aber zumindest mit einem gewissen Niedlichkeitsfaktor auftrumpfen kann. Dazu noch drei eher unbekannte Songs und zwei Eigenkompositionen, die schließlich auch einmal unter Wettkampfbedingungen getestet werden müssen.

Am Ende stehen insgesamt acht Stücke auf meiner imaginären Setlist, so dass ich auf eine ungefähre Spieldauer von einer knappen halben Stunde komme. An mehreren unterschiedlichen Plätzen innerhalb der Stadt will ich dieses Set aufführen, um dann möglicherweise auch Unterschiede zwischen den einzelnen Standorten feststellen zu können. Zudem schreibt das Ordnungsamt Hannover ambitionierten Straßenmusikern ohnehin vor, nach 30 Minuten einen anderen Standort aufzusuchen, der mindestens 100 Meter vom vorherigen entfernt ist. Immerhin: Wer sich an diese und acht weitere Spielregeln hält, benötigt ansonsten keine weitere Genehmigung seine Mitmenschen zu beschallen, ob diese das nun wollen oder nicht.

Weitaus schwieriger als die Songauswahl gestaltet sich allerdings das Aussuchen geeigneter Plätze. Wer Hannovers Innenstadt kennt und mal etwas genauer betrachtet, wird feststellen, dass sie äußerst weitläufig ist. Die jeweiligen Gebäudereihen sind durch breite Alleen getrennt, durch die außerdem die Geräusche einer Baustelle hallen – denn man kann sich darauf verlassen, dass in Hannover immer gebaut wird. Aber das weiß man ja vorher, das kann man umgehen. Daher dachte ich, meine Planung sei perfekt. Zuerst ein Auftritt in besagter Fußgängerzone, dann einer in der Altstadt und schließlich ein Abstecher auf die Lister Meile. Weitere Orte würden sich womöglich noch ergeben, je nachdem wie es bis dahin läuft und vor allem wie es um den Zustand meiner Stimme bestellt ist.

Am Abend vor dem großen Tag bin ich dann sogar recht zuversichtlich, nachdem die Generalprobe in der eigenen WG reibungslos klappt und gar noch im Einstudieren einer eventuellen Zugabe endet. Eine gewisse Nervosität ist zwar weiterhin vorhanden, zumal ich in meinem gesamten Leben bisher ganze zwei Mal vor Publikum gespielt hatte, aber irgendwie würde das schon gehen. Die ursprünglichen Angstattacken treten jedenfalls viel seltener auf.

Der darauffolgende Morgen begrüßt mich mit einem grauem Himmel und dicken Regentropfen, die an die Fenster klopfen. Wer an schlechte Omen glaubt, wäre vermutlich gleich im Bett geblieben, ich hingegen bin erfüllt von der Hoffnung, dass sich das im Laufe des Tages schon noch ändern wird. Und tatsächlich passiert dies – die Sonne kommt hervor, die Straßen werden voller und auch die Vögel fangen an zu singen. Und ich versinke wiederum in meinen romantischen Träumereien.

Wie wenig diese mit der Realität zu tun haben, merke ich allerdings recht schnell. Es stellt sich heraus, dass meine Wahl des Standortes im besten Fall mittelmäßig war. Zwar befindet sich dieser durchaus an exponierter Stelle in der Nähe der zentralen Kröpcke-Uhr, unterhalb eines Baums, aber dummerweise auch gegenüber von einer Baustelle, die ich nicht bemerkt hatte. Die noch vor dem ersten Anschlag entstandene Anspannung hindert mich jedoch daran, noch schnell woanders hinzugehen und so ziehe ich mein Set durch. Anfangs noch überraschend selbstbewusst und voller Spielfreude, die allerdings von Minute zu Minute weniger wird. Kaum jemand bleibt länger als einige Sekunden stehen, aus vielen Gesichtern springen mir eher amüsierte als erfreute Blicke entgegen, manche schmunzeln, andere wirken gar etwas genervt.

Und wie das mit Klischees so ist stimmt natürlich auch jenes von der Generalprobe, die man besser verkorksen sollte. Stattdessen aber vergreife ich mich dann wenn es darauf ankommt, ziele mit großer Sicherheit an den richtigen Tönen vorbei und versuche den Baulärm mit meiner Stimme zurückzudrängen. Selbst bei „Satellite“ kann ich die Hannoveraner nicht für mich begeistern. Was am Abend vorher noch bravourös klappte, scheitert nun ebenso phänomenal. An dieser Stelle ein Merksatz fürs Leben: Freunde und Mitbewohner sind kein geeignetes Testpublikum. Irgendwann interpretiere ich jeden Blick, egal ob freundlich oder ablehnend, als unausgesprochenen Buhruf. Ich will nur noch, dass es bald vorbei ist, dass das Gefühl, sich selber reichlich blöd zu finden, hoffentlich genau so schnell wieder verschwindet wie es kam.

Nach einer deutlich länger wirkenden halben Stunde ist dann endlich Schluss, ich bin trotz nicht sonderlich warmer Temperaturen verschwitzt und meine Stimme hat sich irgendwo ganz tief in meinem Körper versteckt. Kratzig und rau klingt sie, selbst wenn ich nur leise spreche. An weitere Auftritte ist nicht zu denken, das würde alles nur noch schlimmer machen. Während am Horizont wieder graue Wolken aufziehen, schaue ich kurz in meinen Gitarrenkoffer, der anstatt vieler kleiner Münzen exakt eine enthält: Einen Euro, der von einem vorbeihastenden Mann dort hineingeworfen wurde, ohne dass dieser auch nur kurz stehen blieb. Anstatt einer jubelnden Menschenmasse bin ich die einzige Person, die mir Aufmerksamkeit schenkt – und selbst ich will jetzt nur noch weg.

3 Kommentare zu “Kaum jemand bleibt stehen”

  1. qwertz sagt:

    Schöner Bericht, wenn auch leider ziemlich desillusionierend =)

  2. th0m4d sagt:

    Beim ersten Mal klappts doch oft nicht. Ich denke, dass es sich kontinuierlich bessert, je öfter man raus auf die straße geht.

  3. Quetsch Kommode sagt:

    Ein Bericht mit Tatsachen.

    Hannover ist zu klein, Berlin ist besser. Da schieben sich die
    Barden selbst jede halbe Stunde um 100 m weiter.

    Straßenmusik belebt die Stadt. Am besten auf Lau und geräuschlos.

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum