Neulich am Stromhäuschen…

„Was haben wir?“

„Songwriter. Stromschock.“

„Uh. Schon wieder? Kommter durch?“

„Erstaunlich gut. Is‘ nur ziemlich durch den Wind.“

„Hat wer was gesehen?“

„Jep. Und gehört. Ein Typ meinte, der habe ziemlich schönes Zeug von sich gegeben als er so dranhing.“

„Fremdeinwirken?“

„Nene. Nur Neugierde. Die Kids, du weißt schon.“

Man kommt nicht umher, sich erneut die Augen zu reiben. Ob der Tatsache, dass der nächste, ursprünglich relativ gefestigt und mit eindreiachtel Beinen im Folk stehende Songwriter den Finger nicht vom Stromkasten lassen konnte. Zugegeben, in den letzten Jahren sind diesbezüglich irgendwo im hoch-tief-experimentellen Indie die Grenzen gefallen und oft fielen damit auch die Hüllen. Mal zum Vorteil und mal zum Nachteil des jeweiligen Freischaffenden. Die erdige Gitarre und die großen Streicherensembles jedenfalls haben als musikalisches Feigenblatt offenbar ausgedient. Im Bestreben vereint, intensivere, persönliche Songs zu produzieren, schlagen nostalgische Strömungen auf der einen Seite in Richtung LoFi aus, während auf der anderen Seite saftige Jumpstick-Beats den Songwriter-Song in neue Sphären katapultieren sollen. Es läuft letztendlich wie immer auf einen Glaubensstreit hinaus, in dem der sanfte Sufjan Stevens mit seinem siebten Album seinen Platz zwischen den Stühlen findet.

Dass ausgerechnet dieser Sufjan, der textlich seit jeher dem christlichen Spektrum zuzuordnen war, nun dem vermeintlichen Modernismus des Songwritertums folgt, ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, der aber angesichts der heutigen Vielseitigkeit solcher Einstellungen schnell zerstreut ist. Dennoch ist der innere Konflikt, den Sufjan Stevens für diese Songs, diesen neuen Weg eventuell auszufechten hatte, textlich dokumentiert: „Sufjan, follow your heart, follow the flame or fall on the floor / Sufjan, the panic inside, the murdering ghost that you cannot ignore“. Antrieb und Angst in „Vesuvius“, das überall zuhause ist und jeder Schublade in dem Moment entspringt, als die scheinbar richtige dafür gefunden ist. Ein bassiger Unterdruck, eine exotische Flöte und Elektroorgel-Loops spielen sich zu einer wunderbaren Melodie in Trance – da ist alles, aber niemals Nostalgie. Auch textlich werden durchaus besondere Wege beschritten. Näher, intuitiver und vor allem persönlicher sind die Geschichten bei Sufjan Stevens geworden, jedoch eben nicht im Kontext der Beschreibung von Straßen und Staaten oder Straßen in Staaten oder ganzen Staaten auf einer Straße.

Die Richtung, die bereits auf dem Vorgängeralbum „The BQE“ mit einer einzigen elektronischen Spielerei wenig eindeutig angedeutet wurde, ist auf den ersten Schein zum bedeutendsten Merkmal von „The Age of Adz“ geworden, das aber noch so viel mehr zu bieten hat. Überlänge zum Beispiel, die es braucht um alle Ideen zu verpacken, die durch dieses kantige, widersprüchliche, gefühlvolle Album schießen und überall auf nahrhaften Boden stoßen. Bisweilen geht bei solcher Fülle von Anwendungen und Schaltern auch ein Klick daneben und ein Ton die falsche Leiter hoch, und doch fällt alles wie in Zeitlupe und auf den Ort der Bestimmung, der im Nachhinein so logisch erscheint, dass alles Befremden von der Strophe zuvor unweigerlich zu noch größerer Irritation führt.

„The Age of Adz“ schmeckt wie das Lieblingsbonbon nach zehn Jahren Salz und Essig. Und da wagt es dieser Irre dann noch, den Hörer im schmerzhaft kurzen „Futile Devices“ höflichst mit dem Banjo bei früheren Großtaten abzuholen, um ihn anschließend in den Farbtopf zu schubsen, beim Auftauchen mit Vocoder(!)zu begrüßen und dann auf seifigem Trash ausrutschen zu lassen. Und wieder findet man sich dabei umgeben von großartigen Melodien und schrägen Tönen, im 25-minütigen „Impossible Soul“, dem irrwitzigen Dach der Ideenfabrik. Von Schönheit verprügelt liegt man wieder dort, wo man anfangs abgeholt wurde. Und Sufjan zieht den Stecker. Für große dreieinhalb Minuten, die klar machen, dass all diese Songs auch ohne Strom funktioniert hätten. Doch wenig hätte man besser machen können auf diesem spielsüchtigen Meisterwerk. „Boy, we can do much more together.“

85

Label: Asthmatic Kitty

Referenzen: St. Vincent, Owen Pallett, The Notwist, Thom Yorke, Mùm, DM Stith, Björk

Links: Homepage

VÖ: 08.10.2010

4 Kommentare zu “Rezension: Sufjan Stevens – The Age Of Adz”

  1. Bastian sagt:

    Absolut großartige Review, Sven. Das Album selbst sagt mir als Verächter von Überlängen aber leider wenig zu. Nicht, dass der gute Sufjan nicht immer schon einen Hang dazu hatte, aber hier wird es mir dann doch alles „Too Much“.

  2. Pascal Weiß sagt:

    Wie ich Dir ja bereits sagte, Sven, sie gefällt mir sehr, die Rezi. Flüssig geschrieben.

    Schon töfte, wie Du neben den objektiven Aspekten zwischenzeitlich immer wieder so leicht nachvollziehbare Bilder einbindest. Gratulation: Du studierst jedenfalls nicht komplett in die falsche Richtung;)

  3. Ann-Kathrin sagt:

    Beipflichten ist das einzige, was ich da tun kann. Ich sehe das hier vor mir.

    „Und da wagt es dieser Irre dann noch, den Hörer im schmerzhaft kurzen „Futile Devices“ höflichst mit dem Banjo bei früheren Großtaten abzuholen, um ihn anschließend in den Farbtopf zu schubsen, beim Auftauchen mit Vocoder(!)zu begrüßen und dann auf seifigem Trash ausrutschen zu lassen.“

  4. Sven sagt:

    Dankeschön für so viel Lob!

    Ich hoffe doch, dass die Studienrichtung stimmt, aber mal sehen, was daraus dann folgt. Solange es hier keine Werbebanner gibt. ;-)

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