Das muss man gesehen haben: "Ladies And Gentlemen, The Rolling Stones"

Die eigentliche Kinovorstellung im UCI in Bochum hat noch gar nicht begonnen, da sorgt die Auswahl der Werbesequenzen schon für das reinste Entertainment: Kondome, Antiraucher-Kampagne, wieder Kondome (dieses Mal werden auch die Gefahren für Homosexuelle erläutert) – alles noch im Rahmen. Aber als dann waghalsig und mindestens etwas deplatziert darauf hingewiesen wird, dass Langzeitstudenten auch trotz größerer Zeitspanne nicht zwangsläufig mehr lernen und ein schneller reibungsloser Karrierestart (arrgg, allein dieses Wort) für Zufriedenheit im Leben sorgt, ja, spätestens dann wähnt man sich im falschen Film.

Schließlich sollten doch jetzt die Stones um Dauersäufer Keith Richards die Kinoleinwand betreten. Zumindest die Zuschauer spielen mit: So hat sich ein Großteil des alle Altersklassen umfassenden Publikums für den Dreierpack Warsteiner entschieden, weil ab dieser Größenordnung ein besserer Literpreis generiert werden konnte. Dementsprechend schwer soll es für diejenigen werden, die in der Reihenmitte sitzen und irgendwann in den nächsten gut 110 Minuten nicht mehr anhalten können. Aber zurück zum Thema: Im Zuge der Veröffentlichung eines der größten Rockalben aller Zeiten zeigte die Stones Touring Party 1972 eine Band am Zenit ihres Schaffens. Was vorab klar sein sollte: Die Filmtechnik war vor knapp 40 Jahren eine gänzlich andere, darauf macht Mick Jagger in einem Exklusivinterview vorab aufmerksam. Auch die Lichtshows (erkennt gerade einer was in dem Dunkel?) würden heute sicherlich keine großen Begeisterungsstürme mehr auslösen und bestenfalls belächelt werden. Dies ist auf „Ladies And Gentlemen“ aber eh höchstens von zweitrangiger Natur, denn was zählt ist die unbändige Energie und Spielfreude, die die Stones an den insgesamt vier gefilmten Konzerten im Sommer 72 an den Tag legen. Und dann diese (auch noch ständig wechselnden) Kostüme und Klamotten – meine Güte, fremdschämen wäre da heute mindestens angesagt. Jedenfalls dürfte dieser 1974 in ausgewählten Kinos aufgeführte und sehnlichst auf DVD erwartete Konzertfilm nicht nur denjenigen gefallen, die immer schon mal erfahren wollten, dass Jagger Linksträger ist.

Auch die Setlist hätte besser kaum ausfallen können. Mit den großen „Exile On Main Street“-Klassikern wie „Rip This Joint“, „Tumbling Dice“ oder „Sweet Virginia“ und älteren Highlights wie „Brown Sugar“, „Bitch“ oder dem großen Finale „Street Fighting Man“ bleiben kaum Wünsche offen; überhaupt dürfte es genau der Zeitpunkt gewesen sein, an dem ein Stones-Konzert die größten Euphorieschübe freigesetzt hat. Selbst das Ende, als der erstaunlich tanzwütige, gern auch einfach mal wild im Kreis wirbelnde Jagger große Mengen von Rosen in die Menge schmeißt, wirkt hier absolut nicht abgedroschen – keine Spur von den später an den Tag gelegten, wenig mitreißenden Routinegigs abgehalfteter Stars, die nur noch nach der Kohle lechzen. Wer stattdessen – zumindest für ca. zwei Stunden – noch einmal knapp 40 Jahre zurück möchte in eine Zeit, als die Stones-Welt noch funkelte, der sollte den DVD-Player an die Anlage anschließen. Und den Weg freiräumen.

Noch eine kurze Bebobachtung: Mir war vorher gar nicht bewusst, wie groß der Einfluss des Entertainers Jagger auf das heutige Livecharisma eines Craig Finn von The Hold Steady gewesen ist – dieses grinsende Rumgespringe, die Mätzchen, die Hampelmännchen. Diese Freude.

„Ladies And Gentlemen, The Rolling Stones“ ist seit dem 08.10. als DVD oder Blu-Ray erhältlich.

Photography © Ethan Russell. All Rights Reserved

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum