GlasserRing

Seit jeher ist das Transzendente, das Metaphysische Teil unserer realen Welt. Als Frage nach dem „Woher“ , „Wohin“ oder „Warum“ ist es weit über die Konstrukte einer wie auch immer gearteten Religion unzertrennbar mit dem Bewusstsein des Menschen verankert. Und das ist ein weltweites Phänomen, was allerdings im Umkehrschluss weiterhin keine Bestätigung für eine wirklich existente kosmische Verbindung aller Lebewesen darstellt, die einige Verfechter des Esoterischen gerne heraufbeschwören, während sie eine CD einlegen, die entweder mit einlullender Entspannungsmusik oder tribal-artiger Perkussion aufwartet. Beide Wege nutzen die Gleichförmigkeit, die immerwährende Wiederholung, um einen Zustand des Entrückten und Ekstatischen zu erreichen, der einen Einblick ins Unbegreifliche ermöglicht. Der Wunsch: die Leerstellen des Lebens mit Sinnhaftigkeit zu füllen, die (Ur-)Ängste zu beschwichtigen oder einen träumerischen Eskapismus zu erfahren.

Die Globalisierung der Popmusik hat auch gewisse Standards in Sachen Befriedung eben solcher Gelüste gesetzt: Alben voller Regenmachermusik, mit billigen Saxophonpassagen und flüchtigem Elfengesang. Die Erfolge von Enya und Co. vor allem in den 90er Jahren sprechen Bände. Das Geschäft mit den pseudo-exotischen Zusätzen boomte, auch wenn es nur ein ganz plumper Versuch war, die Vision von kultureller Eigenart gewinnbringend umzusetzen: Als Verkürzung, als Klischee. Drogen und schamanische Rhythmen –  na klar, indigene Völker machen das eben so.

Cameron Mesirow nimmt diese musikalische Ornamentik auf, die schon längst nicht mehr ihre ursprüngliche Funktionalisierung aufweist, eher im Zitathaften, als Kürzel verharrt, weil dumpfe Bongos, verhallte und langgestreckte Gesänge und Panflöten-Extrakte ihren Status als das Besondere längst verloren haben. Spätestens nach der Globopop-Welle vor ein paar Jahren, die sich auch einmal quer durch die Indiewelt gespült hat, dürfen diese Elemente als „verfügbar“ und weitestgehend uncodiert gelten. Dennoch mag die Häufung dieser esoterischen Momente als durchaus auffällig gelten, ist aber auch in ungewohnter Mengenanzahl nicht störend. „Apply“ erinnert mit seinem tapsigen Beginn an eine Weltenhymne, wenn aber der von M.I.A.s „It Takes A Muscle“ bekannte digitale „Schluckauf“ dazukommt, wird man sich der Produktionsweise zum ersten Mal bewusst. Die Grundlage aller Songs sind Unmengen an Loop-Schlaufen, Beats und Samples.

Dass das Ergebnis dann nicht so wild, bunt und rasant ausfällt wie beim Kollegen El Guincho (der in diesen Tagen übrigens auch ein sehr akzeptables Album herausgebracht hat), verdankt man den doch eher bedächtigen Synthieteppichen, die hier vorsichtig ausgelegt werden. Und einem Songwriting, das auf Freiräume setzt und in seiner Herangehensweise an das letztjährige (etwas unter Wert benotete) Werk von Taken By Trees erinnert, das ebenso eine innere Balance besitzt. Mesirows weiche Stimme braucht auch auf „Ring“ nur hochmelodisch die Melodielinien nachzuzeichnen, um einen Effekt der Rundung zu erreichen – und verfolgt dies mit Ausdauer. Einzig bei „Plane Temp“ fällt sie dabei in den säuseligen Enya-Modus, aber bereits zwei Songs später wirbeln wieder die Trommeln. Danach gibt es Musik, die wie entkoffeinierten Milchkaffee klingt und kauzige Verschrobenheiten, an denen Freunde der Dirty Projectors ihre Freude hätten. Nicht alle Songs sind als wahrhaft aufregend zu bezeichnen, aber das muss, ja darf hier auch gar nicht sein. Dieses dezente Vorbeihuschen aller auffallenden Details zum Trotz macht die Qualität dieses Albums aus; die Songs laufen nie Gefahr, austauschbar oder belanglos zu werden. Die atmosphärische Bedächtigkeit und das kosmopolitische Selbstverständnis imponieren und liefern im besten Fall sogar zauberhafte Momente auf einem Debüt voller Süßlichkeit.

71

Label: True Panther

Referenzen: Taken By Trees, Dirty Projectors, Björk, El Guincho, jj, Enya, Jens Lekman, High Places

Links: Homepage, Label + Albumstream

VÖ: 01.10.2010

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