Maps & Atlases aus Chicago gelten im Folk- und Indie-Bereich als einer der vielversprechendsten Newcomer aus den USA. Zwar nicht als Anwärter auf reißenden Absatz an den Plattentheken, dafür betrachten sie Kritiker in künstlerischer Instanz als eine der aktuell wenigen Bands, die sperrige Entwürfe und künstlerischen Spieltrieb in originelle Songs von drei Minuten packen kann. Ohne Quetschen, ohne Spannen. Dabei handelt es sich um eine momentan eher rare Gabe. Die einen werfen die Kleinkunst zu Gunsten des Hits über Bord und produzieren stromlinienförmige Popsongs, während sie einzelne Stücke in Überlänge mit Gefrickel überladen. Andere lassen nichts aus und spielen an jedem Schalter, der sich finden lässt, bis sich auch der letzte Hörer in einen Teil des Sound-Labyrinths verrannt hat, aus dem so schnell kein Ausweg bereitgestellt wird.

Maps & Atlases hingegen tun auf ihrem Debutalbum „Perch Patchwork“, das in ihrer Heimat übrigens schon im Juni erschien, einfach beides. Sie verschlüsseln die Songs mit einem simplen Code und komprimieren so die Informationen, um nichts auslassen zu müssen. Damit der Hörer an diese auch herankommt, wird ohne weitere Geheimniskrämerei das Chiffre gleich mitgeliefert. Mit jedem Hördurchgang entblättern die Songs sich ein Stück mehr und es kommen bisher überhörte Rhythmen, Instrumente und Muster aus dem Schatten des ersten Eindrucks. Obwohl der frühe Ansatz im Math-Rock zu Entstehungszeiten der Band vor sechs Jahren ein anderer war, hat der Vierer sich entschlossen, den Hörer zu fordern, aber nicht zu ärgern.

So erklärt sich auch das Paradoxon um solch kunstvoll verzierte Songs, die wie die faszinierenden, quirligen „Solid Ground“ und „Living Decorations“ trotz aufwändiger Deko zu vollwertigen Pop-Hits werden. Sowohl das Konventionelle, als auch das Unkonventionelle wird gedehnt und verknotet. Nich immer erkennt man, woher was kommt, aber schon die Fülle von Einflüssen ist erstaunlich. Da ist Platz für Jazz, Platz für Folk, viel Platz für Pop, Platz für Oboensoli im Hintergrund und auch Platz für Klarinettenschattierung für Dave Davidsons Gesang. Da verwundert ein Chor mit rootigem „Lalala“ vielleicht noch am wenigsten. Und alles wird ausgerechnet zusammengehalten von Chris Haineys ruheloser Schlagzeugarbeit, die zusammen mit dem kantigem Gitarrenspiel von Erin Elders noch die deutlichsten Züge früherer Math-Rock-Tage trägt.

So mäandert „Perch Patchwork“ quer durch die Sparten und strapaziert in keinem Moment die Geduld, nicht einmal im gleich betitelten Schlusspunkt, der als naturverbundener, märchenhafter Ruhepol knappe sechs Minuten in Beschlag nimmt und das Album charmant beschließt. „Perch Patchwork“ wirkt länger als es ist. Nach den gerade einmal 36 Albumminuten bleibt schlichtes Erstaunen über das, was man in so vermeintlich kurzer Zeit an Informationen dargeboten bekam. Dabei besonders wertvoll: Im Vergleich mit Genreverwandten wendet sich die Abstraktion nicht gegen den Überblick, sondern dient lediglich einer kurzzeitigen Verschleierung der durchaus poppigen Absichten.

81

Label: FatCat  | Barsuk

Referenzen: Most Serene Republic, Phantogram, Ra Ra Riot, Grizzly Bear, Minus the Bear, Shapes and Sizes, Okkervil River

Links: Myspace, Barsuk

VÖ: 08.10.2010

4 Kommentare zu “Rezension: Maps & Atlases – Perch Patchwork”

  1. Michael sagt:

    Man sollte unbedingt auch mal das Solo-Ding vom Sänger anhören: „Cast Spells“
    Kannte ich komischerweise schon vor Maps & Atlases! :o)

  2. […] zu diesem wundervollen kleinen Video ein paar Zeilen schreiben, aber der Sven von auftouren hat das in seiner Rezension so perfekt auf den Punkt gebracht, das jegliche Versuche meinerseits nur ein kläglicher Abklatsch […]

  3. […] Maps & Atlases aus Chicago gelten im Folk- und Indie-Bereich als einer der vielversprechendsten Newcomer aus den USA. Zwar nicht als Anwärter auf reißenden Absatz an den Plattentheken, dafür betrachten sie Kritiker in künstlerischer Instanz als eine der aktuell wenigen Bands, die sperrige Entwürfe und künstlerischen Spieltrieb in originelle Songs von drei Minuten packen kann. Ohne Quetschen, ohne Spannen. (auftouren) […]

  4. […] Maps & Atlases aus Chicago gelten im Folk- und Indie-Bereich als einer der vielversprechendsten Newcomer aus den USA. Zwar nicht als Anwärter auf reißenden Absatz an den Plattentheken, dafür betrachten sie Kritiker in künstlerischer Instanz als eine der aktuell wenigen Bands, die sperrige Entwürfe und künstlerischen Spieltrieb in originelle Songs von drei Minuten packen kann. Ohne Quetschen, ohne Spannen. (auftouren) […]

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