Die Abenteuer von Berlin: 06.Mai – LCD Soundsystem

Auch wenn manch einer – nicht ganz zu unrecht – behaupten wird, ich habe den optimalen Zeitpunkt für den „Erlebnisbericht“ der Berliner Tage im Mai leicht verpasst, bin ich es doch mindestens den Leuten, die dabei waren und denen eine ausführliche Titelstory versprochen wurde oder denjenigen, die mich seitdem immer wieder höflich fragen, ob der Berlin-Bericht denn vielleicht doch noch kommt, schuldig, mir eine Weile Zeit zu nehmen, die Gedanken zu sortieren und – ihr seht, ganz so uneigennützig geht es nun doch nicht zu – voller Freude zurückzublicken.
Vielleicht erinnert sich die eine oder andere ja noch: Der Mai meint es mit den konzerttechnisch eh schon reichlich verwöhnten Berlinern besonders gut, gleich zweimal macht man sich also innerhalb kürzester Zeit auf die Socken – zuerst am 06. Mai für eine einzige Übernachtung, ein zweites Mal am 19. Mai, dann gleich für eine ganze Woche – mit einem pickepackevollen Terminkalender, zumindest, was das Abendprogramm angeht. Tagsüber gibt’s dafür frei.
Auf der ersten Reise begleitet mich der Doc, ein unheimlich sympathischer Luftikus, der in Wirklichkeit auch Pascal heißt, seinen Nickname aber reichlich gewieften, bis heute abgestrittenen Flirtversuchen längst vergangener Zeiten zu verdanken hat. Der Spitzname passt aber auch gegenwärtig noch hervorragend, wie sich eine Woche später beim Konzert von Ted Leo in Münster zeigen soll, als er unserer Geiz-Generation zum Opfer fallend auf den Kauf von Ohrstöpseln, die für sündhaft teure 1€ an der Kasse zu erwerben sind, verzichtet, und sich zum Schutz des Trommelfells dafür lieber – womöglich, um auch noch an Taschentüchern zu sparen – aus seinen Tempos lediglich einen kleinen, franseligen Pfropfen zusammen knäuelt. Dieser schließt schon wenig später vehement seinen gesamten rechten Gehörgang und gibt sich während des wahrhaft tollen Konzertes selbst den trickreichsten Versuchen (Zahnstocher, Kopf schief halten etc.) nicht geschlagen, sondern lässt nach zweitätig anhaltenden Kopfschmerzen den Arztbesuch und die damit verbundene ordentliche Durchspülung unvermeidlich werden. Zu den 10€ Praxisgebühr will sich der Doc bis heute nicht äußern.
Am Tag der Berlinreise haben wir uns nun für die Variante Mitfahrzentrale entschieden, treffen uns am frühen Morgen des 06. Mai am Hauptbahnhof und fahren in einer Kolonne mit insgesamt neun Personen die 500 Kilometer nach Berlin. Vom Himmel prasseln dicke Tropfen, die Fahrbahn ist rutschig. Stau. Ein etwas längerer sogar. Doch zum Glück gibt es ja den Standstreifen. Ohne dass sich jemand von uns im Wagen getraut hätte, auch nur die leisesten Zweifel beim augenscheinlich situationserfahrenen Fahrer anzumelden, schießt dieser mit knapp 100km/h über die ganz rechte Spur, an allen „parkenden“ Autos und LKWs vorbei, von dem Verzögerungs- auf direktem Wege wieder auf den Beschleunigungsstreifen. Kurz wieder einfädelnd, weil auf dem Standstreifen ein Auto liegen geblieben ist, noch eben dem Fahrer per Handzeichen dankend, dass dieser uns netterweise in die Spur gelassen hat, und dann wieder nichts wie raus auf den Standstreifen. Wie oft in dieser halben Stunde hinter uns gehupt wird vermag ich nicht zu beurteilen. Ich denke, uns ist allen ein wenig mulmig zumute in diesen Minuten, gesagt hat aber keiner was. Ist ja auch gut gegangen.
In Berlin angekommen, regnet es ununterbrochen. Erstmal ins Café, dann noch schnell zum Plattenladen, später zum Supermarkt. Immer dabei: Der Schlafsack, den der Doc sicher unter seinen rechten Oberarm geklemmt mit dem Regenschirm vor der Nässe schützt. Warum genau er den Schlafsack mitgenommen hat, wird während der gesamten Fahrt nicht ganz klar werden. Wie auch immer, zumindest hat er diesen kurzerhand im Supermarkt in der Getränke-Kühlzeile vergessen, stellt wenig später mit Entsetzen fest, dass was fehlt und fischt das gute Stück dann – nicht ganz ohne sich dem Spott der Besucher auszusetzen – frohen Mutes wieder aus dem Kühlregal. Mit einem erleichterten Strahlen im Gesicht kann es weitergehen. Ziel ist nun die Haltestelle Friedrichstr., dort treffen wir auf den wunderbaren Kai, der sich, ohne auch nur einen von uns je gesehen zu haben, nach unserem Aufruf Ende April meldete, gerne seine WG für die Übernachtung bereitzustellen. Noch erstaunlicher: Da Kai an diesem Abend selbst Bandprobe hat und gar nicht zum Konzert mitkommen kann, überlässt er uns die Wohnung, trinkt schnell noch zwei Kannen mit uns und macht sich auf den Weg, während der Doc und ich in Kais absolutem Wohlfühl-Zimmer hüpfen oder Luftgitarre spielen. Anschwitzen ist angesagt.
Das ist auch bitter nötig, denn das spätere Programm verlangt einem einiges ab. Wir treffen so gegen halb elf in der Münze ein. Drinnen ist es bereits rappelvoll, klar, der – Festivals ausgenommen – einzige und vermutlich letzte Deutschland-Gig von LCD Soundsystem hat nicht nur uns auf den Plan gerufen. Dass ich es 2007, zur Veröffentlichung von „Sound Of Silver“, einfach nur verschwitzt habe zum Konzert nach Köln zu fahren, ja, das habe ich mir bis zu diesem Berliner Abend nicht verziehen.
Also dann: Nachdem wir ein paar Mal auf der Suche nach den Toiletten etwas hilflos durch den gesamten Laden geirrt sind, ist vorne gerade etwas Platz frei. So nutzen wir die Chance und positionieren uns strategisch geschickt mittig. Wenig später springen YACHT auf die Bühne. Der Raum füllt sich schnell, es dürfte sich herumgesprochen haben, dass dieses verrückte Duo live ziemliches Entertainment-Programm abliefert. Das wird auch an diesem Abend deutlich. Geschickt setzt sich der DFA-Act in Szene, spielend offenbaren die okkulten Stücke ihres letztjährigen Longplayers ihr Tanzpotential, man kann sich erlauben, den sehnsüchtig erwarteten Hit „Psychic City (Voodoo City)“ bis zum Schluss hinauszuzögern.
Um ziemlich genau zwölf Uhr, nach einem ca. zwanzig Minuten nervös zappeln lassenden Tribal-Intro, kommt die Truppe um James Murphy – bestehend u.a. aus Nancy Whang von The Juan MacLean an den Keys und Tyler Pope von !!! am Bass – auf die Bühne. Sie spielt „Us Vs. Them“, die von YACHT schon freigegebene Tanzfläche hüpft munter mit, der Klang in der Münze ist fantastisch, präzise und auch von der Lautstärke her bestens austariert. Es sind diese Momente, wenig später bei „Drunk Girls“, „Movement“ oder dem live noch wuchtigeren „Daft Punk Is Playing At My House“ (hey, allein dieser Bass!), in denen vor allem der Punk-Spirit überdeutlich wird und sich das fälschlicherweise häufig als reiner Electro-Act abgestempelte Projekt weit von dieser Kategorisierung entfernt. Die Leute um einen herum hüpfen. Auch sich gegenseitig an. Die Gesichter strahlen vor Freude: „Pow Pow“ wird dann zum vorzeitigen Schlachtruf des Abends, man liegt sich in den Armen, die Becher sind längst übergeschwappt.
Der inzwischen fast 40-jährige Murphy bewegt sich geschickt zwischen Routine, Selbstironie und spitzbübiger Spielfreude, immer wieder wischt er sich mit dem Handtuch den Schweiß aus dem Gesicht, das imageprägende Mikrofon stets in Reichweite; das weiße T-Shirt zeichnet einen „dezenten“ Bierbauch. Und überhaupt: Dieser Typ hat’s einfach. Wenig später dann die Klassiker von Sound Of Silver, „All My Friends“, „Someone Great“ „New York I Love You, But You’re Bringing Me Down“, bevor dieser Gig mit dem absoluten Klassiker das einzig logische Ende findet. Noch mal knapp acht unglaublich intensive Minuten, „Losing My Edge“, „jaaaa!“ schreit man sich gegenseitig an und tanzt mit der Masse, ca. zehn Meter von dem Punkt entfernt, wo einem vorhin die Becher aus der Hand gefegt wurden, „You don’t know what you really want“ – von wegen.
haha, dieses Problem mit den selfmade-stöpseln hatte ich auch mal. :D
schöner bericht ;)
Yeah, das letzte Konzert als Live-DVD, ich habe es so gehofft. Und was bin ich froh, dass ich letztes Jahr in Berlin noch mal dabei war;)