Sleigh BellsTreats

Vergesst den Hype, der bereits Monate vor dem Erscheinen von „Treats“ anhand einiger Demos um das New Yorker Duo Sleigh Bells gemacht wurde. Vergesst die Faktenlage, dass es sich hierbei um ein Projekt des ehemaligen Gitarristen der Post-Hardcore-Band Poison The Well, Derek E. Miller, und Alexis Krauss, Ex-Mitglied der nie aus den Startlöchern gekommenen Teen-Girlband Rubyblue, handelt. Vergesst die Versuche, den Sound der Sleigh Bells in Worte zu fassen oder in irgendeine Referenzliste einzubinden. Und vergesst auch gleich die Bedenken, die aufkommen könnten, die Frage, ob das alles in ein paar Monaten noch genauso heiß ist wie jetzt gerade.

Wenn die Sleigh Bells aus den Boxen oder Kopfhörern dröhnen, ist es ohnehin völlig unmöglich einen klaren Gedanken zu fassen. Das Wort „überwältigend“ wird heutzutage leichtsinnig verwendet, in diesem Fall gibt es keinen treffenderen Begriff, wortwörtlich, im Sinne von kinetischer Energie. Diese Songs haben eine derart klangliche Wucht, dass sie in ihren besten Momenten nichts anderes neben sich dulden und das Hier und Jetzt bis zum Anschlag ausfüllen. Und sie sind vortrefflich geeignet, um sich das Trommelfell raus zu blasen.

Menschen, die Musik mit Sätzen wie „…klingt wie [Band einsetzen]“ beschreiben, werden tatsächlich ihre Schwierigkeiten haben mit den Sleigh Bells. Es gibt keine klaren Referenzpunkte für den Sound des Duos, keine stilistische Bewegung, in die sich die Musik einordnen lässt. Pop, Dance, Electro und Hip Hop sind hier ebenso vorhanden wie Noise, Hardcore, Heavy Rock und Riot-Grrrl-Punk – keine Band der letzten Jahre ist näher an ein neues Genre heran gekommen. Die Mittel dabei sind so primitiv wie effektiv. Aus Electro und Hip Hop leiht sich Miller Mid-Tempo-Beats, häufig donnernde Bassdrums, streut ohrenbetäubende Noise- und Heavy-Riffs und ein paar elektronische Effekte oder Loops darüber und schiebt die Loudness-Regler bis zum Anschlag nach oben. Im Mittelpunkt dieses brachialen Orkans an musikalischen Knalleffekten steht Alexis Krauss, die so unbeteiligt wie charmant ein paar simple Girlpop-Melodien zwitschert, zickige Riot-Grrl-Shouts absondert oder sich einfach nur mit Stöhnlauten den wummernden Rhythmen hingibt.

Die besten Songs auf „Treats“ brauchen keine sich bis zum Höhepunkt steigernde Dramaturgie. Sie sind ein einziger explodierender Höhepunkt von Anfang bis Ende, auf deren Effekt andere Bands minutenlang hinarbeiten. Kein Track demonstriert das so gut wie der Opener „Tell em“, ein dreiminütiger Endorphin-Rausch aus jubilierenden Säge-Gitarren, hämmernden Maschinengewehr-Beats und Krauss‘ zuckersüßem Singsang. Die Lyrics werden vom Soundstrudel fast vollständig verschluckt, ganz bewusst, denn es spielt keine Rolle, was Krauss da trällert.  „Got my A machines on the table, got my B machines in the drawer“ wiederholt sie immer wieder sinnlos im grandios wummernden „A/B Machines“, während eine brachiale Bassdrum und kreischende Gitarren durch den Körper des Hörers zucken – mehr Lyrik ist nicht nötig, um einfach mit den aus den Boxen donnernden Schallwellen den Moment zu zelebrieren.

Die äußerst kompakte Spielzeit von 32 Minuten verhindert, dass sich die simple Formel im Laufe der 11 Tracks von „Treats“ allzu deutlich abnutzt und das eng gesteckte Korsett des Sleigh-Bells-Sounds sorgt dafür, dass kleine Abwandlungen umso größere Wirkung haben – wenn „Infinity Guitars“ kurz vor Schluss plötzlich noch etwas mehr Krach draufsattelt, erwischt das den Hörer völlig unvorbereitet. Clever fahren Miller und Krauss in der Mitte von „Treats“ die Lautstärke ein wenig zurück. „Run The Heart“ und „Rachel“ experimentieren mit Spuren von Dubstep respektive Shoegaze. Der beste Song des ruhigen Song-Trios ist aber ohne Zweifel „Rill Rill“, der von allen „Treats“-Songs noch am ehesten eine gewöhnliche Songstruktur vorzuweisen hat. Aus einem Sample aus Funkadelics „Can You Get To That“ macht das Duo einen wunderbar entspannten Popsong.

„Rill Rill“ macht dann auch Hoffnung, dass die Sleigh Bells noch lange nicht all ihre Asse aus dem Ärmel gezogen haben, während sie an anderer Stelle zeigen, dass sie sich auch verkalkulieren und in purem Krach verlieren können – „Straight A‘s“ sind garantiert die brutalsten 92 Sekunden, durch die  man sich dieses Jahr quälen kann. Ob und wie sich Miller und Krauss unbeschadet durch ein zweites Album musizieren können und wie lange der Rausch von „Treats“ anhält; das wird alles die Zukunft zeigen. Jetzt zählt zunächst einmal nur der Moment. Der Sommer 2010 hat seinen Sound gefunden.

79

Label: N.E.E.T| Mom & Pop

Referenzen: Crystal Castles, M.I.A., Dum Dum Girls, Japandroids, Wavves, LCD Soundsystem, The Go! Team

Links: MySpace | Homepage

VÖ: 22.06.2010

3 Kommentare zu “Rezension: Sleigh Bells – Treats”

  1. Uli sagt:

    Ich würde noch The Go! Team als musikalische Verwandte, wenn nicht sogar Vorbilder anführen. Haben auch die Hip-Hop-Beats + Gitarrenbretter drüber (plus Cheerleader-mäßige Vokals, Funk-Samples…), aber mit mehr Twee und nicht so hyperaggressiver Komprimierung (wobei das erste Album zu dem Zeitpunkt schon einen extremen Sound hatte).

    „Riot Rhythm“ z.B. könnt ich mir locker auch vom Go! Team vorstellen, während sowas wie „Titanic Vandalism“ oder „Flashlight Fight“ Sleigh-Bellsige Krachausbrüche hat, nur halt inmitten einer vollen Bandinstrumentierung, da haben Sleigh Bells mit ihrer reduzierten Soundpalette fokussiertere Wirkung.

  2. Kevin sagt:

    Stimmt, die könnte man auch noch mit dazu nehmen. Die Referenzen sind eh ziemlich random. Ich hab versucht, alles was stilistisch halbwegs und mit etwas Entfernung drum herum steht, abzustecken, weil es einfach keine direkten Verwandten gibt.

  3. […] gut, auf ihrem Debütalbum „Treats“  servierten uns Alexis Krauss und Derek Miller ein süffiges und gefährlich kalorienhaltiges, […]

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