Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal werden sollte. Es gibt keine Raketenrucksäcke, Rollbänder oder Teleporter mit denen wir elegant reisen können, immer noch sind wir auf wackelige Beine oder gefährliche Blechkisten angewiesen. Außer Japan scheinen alle die Erschaffung einer Dynastie menschenähnlicher Kunstlebewesen aufgegeben zu haben und unsere gewissenlosen Megakonzerne sind zu ängstlich oder inkompetent, um wirklich die alte Regierungs- und Staatenordnung zu ersetzen, mit coolen Blade-Runner-Dystopien wird’s also so bald auch nix. Kein Wunder wenn sich da eine Sehnsucht nach alten Zukunftsvisionen breit macht, mit „Returnal“ spannt einer der aufregendsten Vertreter des musikalischen Retrofuturismus nun sein bisher facettenreichstes Werk auf.

Dass die Stücke von Daniel Lopatin in gewissem Maße retrohaft anmuten, rührt vor allem von der Verwendung analoger Synthesizer her, die praktisch von dem Moment an, in dem sie in populärer Musik und in Filmen wie Clockwork Orange das kulturelle Bewusstsein infiltrierten, als der Klang der Zukunft galten. In seinen Werken unter dem Pseudonym Oneohtrix Point Never, deren Großteil Ende des letzten Jahres erstaunlich homogen auf dem Doppelalbum „Rifts“ (welches leider ziemlich im allgemeinen Listenwahn unterging) gesammelt wurde, webt der Amerikaner synthetische Drones, Arpeggien und frei von Hand gespielte Melodien unter Zuhilfenahme digitaler Kompositionssoftware zu zeitgemäßen Soundtexturen innerhalb zuweilen schon recht poppiger Songstrukturen.

Was dieser Musik einen mehr als experimentalen Appeal verschafft ist aber ihre emotionale Wirkung, sie äußert eine Sehnsucht nach anderen Orten, anderen Zeiten, ja vielleicht sogar anderen Ichs. Nicht als Ausdruck eines erfüllenden Eskapismus, sondern als gefühlte Manifestation einer unfüllbaren Lücke. Zugleich besitzt sie eine Schönheit, von der jedoch zu Beginn von „Returnal“ keine Spur ist, „Nil Admirari“ ist ein dissonanter, metallisch knisternder Noise-Sturm der nahtlos in gewohntes Oneohtrix-Territorium abflaut. Doch auch hier macht sich Lopatins Evolution bemerkbar, „Describing Bodies“ klingt voller als frühere Stücke, hat einen satt rumorenden Bassuntergrund und „Describing Bodies“, das dritte der ineinander übergehenden Songs, entfaltet eine weite Landschaft in der selbst noch in weiter Entfernung deutlich Einzelbewegungen auszumachen sind.

Ein bis dahin nur zu vermutender Gesang tritt auf dem Titelstück in den Vordergrund, verfremdend moduliert erinnert er ein wenig an Fever Ray, in seiner Melodienarmut und Kälte aber mehr an einen Roboter der auf Irrpfaden eine vertraute Umgebung sucht, in der ihn seine Programmierung wieder orientieren kann. Im folgenden, u.a. der bezaubernden Ambient-Miniatur „Ouroboros“, tritt die Zerrstimme zurück bis sie zum klappernd perkussierten Finale wiederkehrt, am mitreißendsten ist aber „Pelham Island Road“ mit synthetischen Blubber- und Pfeifklängen, die einen fast schon tropisch warmen Charakter besitzen. In der Mitte hebt sich ein halbes Dutzend schwermütiger Melodien empor, eine nach der anderen fließt in den Vordergrund und seufzt inbrünstig, alle Hörenden endgültig glauben lassend, dass dieser Maschinenmusik ein Geist innewohnt.

84

Label: Editions Mego

Referenzen: Emeralds, Klaus Schulze, James Ferraro, Michael Bundt, Stellar Om Source

Links: Homepage, Label, Myspace

VÖ: 18.06.2010

8 Kommentare zu “Rezension: Oneohtrix Point Never – Returnal”

  1. […] Oneohtrix Point Never – Returnal Von Spar – Foreigner 65daysofstatic – We Were Exploding Anyway Triclops! – Helpers On The Other Side The Hundred In The Hands – This Desert EP […]

  2. […] Nite Jewel. Zum Abschluss gibt es dann den großartigen Antony, dieses Mal in Zusammenarbeit mit Oneohtrix Point Never, der es erst kürzlich in unsere Plattenelite geschafft […]

  3. […] wie ihre momentan verdiente Beachtung findenden Landsleute Oneohtrix Point Never und Emeralds erkennen auch Jonas Reinhardt die klangbildliche Kraft analoger Synthesizer: An […]

  4. […] oder eben auch Musik, die selbst dann an archaisch anmutende Produktionsmethoden erinnert, wenn sie überwiegend am Computer entsteht. Oft liefern sicherlich die Einfachheit und leichter […]

  5. […] eines einzigen Tages entstand. Hier steht das von Vogelzwitschern durchzogene (und so ein wenig an Oneohtrix Point Never erinnernde) Synthambiente von „Farmland Fantasy“ neben dem Chipmunk-Dub “Wire Brush […]

  6. […] vorbei, bevor sie überhaupt angefangen hat. Sechzehn Jahre haben Daniel Lopatin vom Ambientprojekt Oneohtrix Point Never (das auch erst 2010 auf ganz kleinem Level den Durchbruch feierte) und Tigercitys Joel Ford an […]

  7. […] zum Opfer. Schon bald sollte aber wieder die Musik in Vordergrund stehen und tat es spätestens bei Oneohtrix Point Never vollkommen. Für seine aufreibende Performance aus Soundscapes, Störgeräuschen, eigenen Visuals […]

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