RobynBody Talk Pt.1

„I’m always going to feel like this person on the outside looking in”, erklärte Robyn kürzlich in einem Interview mit Popjustice. Das Bild der rebellischen Außenseiterin mit einem schizophrenen Verhältnis zum Mainstream und dem unbedingten Willen etablierter Routine Widerstand zu leisten, zieht sich wie ein roter Faden durch ihr fünf Jahre altes Emanzipations-Album „Robyn“ bis hin zu ihrer neusten Schöpfung „Body Talk Pt. 1“. Damals spuckte sie mit spitzer Zunge dem Hörer und der Musikindustrie Kampfansagen wie „I will run you down like a marathon“, „I press trigger, I don’t press people button“ oder „you can’t handle me” entgegen, heute ist sie die „scientifically advanced hot mama“ oder gleich die „Dancehall Queen“, die „play me some kind of new sound, something true and sincere“ oder „don’t fucking tell me what to do” fordert.

Was bei anderen Künstlern nichts weiter als heuchlerische Posen sind, hat im Falle der 30-jährigen Schwedin einen wahren Kern. In den späten 90ern als singender Backfisch im Stile der frühen Britney Spears mit Achtungserfolgen in ihrer Heimat und den USA gestartet, prallte sie bald gegen das Wirtschaftsdenken der Musikindustrie als sie begann sich in den vorwärts gerichteten Popstar des 21. Jhd. zu verwandeln, der sie heute ist. Ihr Major-Label zeigte sich von ihrem fortschrittlichen Electro-Pop-Sound wenig begeistert, sie kündigte ihren Vertrag, eröffnete ihr eigenes Label Konichiwa Records, holte sich Kollaborateure ins Studio, an die sich ihre Mainstream-Kolleginnen auch über fünf Jahre später nicht trauen (The Knife, Kleerup, Röyksopp usw.) und veröffentlichte schließlich ihr drittes Album „Robyn“ in Eigenregie. Der Rest ist Pop-Geschichte (jubelnde Reviews, Platin-Auszeichnungen, eine UK-Nr. 1-Single).

„Body Talk Pt. 1“ wagt nun erneut einen eleganten Spagat zwischen Crowdpleasing und Trendsetting, weiterhin zu ausgefallen um in der Rotation herkömmlicher deutscher Hit-Radios zu landen, aber ein qualitativ absolut hochwertiges 6-Gänge-Menü plus Nachschlag für all jene, die einen Einblick in die Zukunft des Mainstream-Pop bestellen. Weit weniger jedoch als der Vorgänger lotet „Body Talk Pt. 1“ neue Territorien für den schwedischen Blondschopf aus, sondern konzentriert sich darauf die bisherigen Errungenschaften zu verfeinern und produktionstechnisch auf den neusten Stand zu bringen, besonders auffällig bei „Fembot“, der die zickige Attitüde eines „Konichiwa Bitches“ mit der Melodieseligkeit eines „Handle Me“ kreuzt. Die grandiose Single „Dancing On My Own“ ist der legitime Nachfolger zu „With Every Heartbeat“ und führt einmal mehr Robyns Fähigkeit auf, kühl-synthetische Club-Sounds mit Emotion aufzubrechen. Und „Dancehall Queen“ klingt exakt wie das, was man von einem Robyn-Track mit diesem Titel erwartet, liefert aber immerhin den endgültigen Beweis, dass sie sich niemals von einem Produzenten in ihren Kram reinreden lassen wird, in diesem Fall von Diplo.

Innovationen im Robyn-Sound sind spärlich gesät: Der störrisch-monotone Electro-House-Opener „Don’t Fucking Tell Me What To Do“ ist eine willkommene, aber erwartete Erweiterung ihres Backkatalogs. Spannender zeigt sich „None of Dem“, ein hypnotischer, düster-pulsierender Club-Track unter Zuhilfenahme von Röyksopp und einer Ahnung von Dubstep. Die größte Neuerung ist jedoch, dass „Body Talk Pt. 1“ deutlich unmittelbarer einschlägt als die Songs des Vorgängeralbums, die sich erst – gewagt für ein Pop-Album – nach und nach entblätterten. Mit dem wunderbaren Schulterklopfer „Cry When You Get Older“ und eben „Dancing On My Own“ liefert Robyn ihre bis dato stärksten Hooks.

Problematischer wird „Body Talk Pt. 1“ dann, wenn es seinen voll ausproduzierten Teil hinter sich gebracht hat. Die daran anschließenden „Hang With Me (Acoustic)“ und das schwedische Schlaflied „Jag Vet en Dejlig Rosa“ sind schöne Songs – keine Frage – und präsentieren Robyns stimmliche Fähigkeiten, doch fühlen sich wie eine Dreingabe an, um über die 30-Minuten-Marke zu kommen. „It’s been a long time since I actually made a record! And I was thinking of how to shorten that time down and Eric, my manager, came up with the idea of what if I just start releasing songs, then I can tour them, then I can make some more songs….you can just keep releasing stuff without the long breaks”, erklärt Robyn ihr Vorgehen, “Body Talk” in drei Portionen zu servieren. Nun, in diesen immer schnelllebigeren Zeiten der MP3s, Leaks und Streams ist es wohl unausweichlich, dass dem guten alten Album-Format irgendwann der Garaus gemacht wird. Auch hier ist Robyn ihrer Zeit voraus. Leider.

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Label: Konichiwa | Cherry Tree

Referenzen: Annie, Goldfrapp, Kelis, Lady Gaga, Lykke Li, Röyksopp, La Roux

Links: MySpace | Homepage

VÖ: 15.06.2010

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