Ariel Pink war im zurückliegenden Jahrzehnt ein wahrer Meinungsspalter. Es gab vehemente Verfechter der Lo-Fi-Qualitäten seiner Musik und diejenigen, die seine verschleierten, chaotischen Heimaufnahmen entweder als die neuen Kleider eines talentlosen Kaisers ansahen oder als unnötigen Ballast großartigen Songwritings. „Wenn er doch nur mal in ein richtiges Tonstudio käme..,“ fingen alle Seiten Gedankengänge mit unterschiedlichem Ausgang an. Nun steht mit seinem ersten Studioalbum endlich Klärung an: Pendelt sich auf „Before Today“ der Tiefglanz-Zauber im Softrock-Mittelmaß aus, oder wird Pink als das enthüllt was er angeblich schon immer war – ein Nichtskönner bzw. Popgenie?

Dass jetzt die Wahrheit unspektakulär zwischen diesen extremen Positionen verhandelt wird, hängt neben den eingänglichen Überspitzungen auch damit zusammen, dass nicht nur die Klangqualität seiner Songs ein Resultat widriger Umstände (sprich: Geld- und Equipmentmangel) war. Auch Pinks Songwriting wurde durch die Art geprägt, in der er auf seinem 8-Track-Recorder eine gesamte Begleitband simulierte: Viele der extrem weich und feucht klingenden Drums waren mit Beatboxing dem eigenen Mund entlockt, ebenso Rauschen und andere Hintergrundeffekte. Ohne Sampling und Loops mussten Instrumentalparts, die Pinks mäßiges technisches Können überforderten, in Einzelteilen zusammengesetzt werden, bei Verspielern in Tempo oder Ton passte er den noch einzuspielenden Rest lieber dem Fehler an als nochmal von vorne zu beginnen.

All das gab der Musik diesen psychedelisch-benebelten Touch, machte den entrückten Klang ihrer Melodien aus, brachte aufregend verworrene Songs mit sich bei denen metallisch schwere Gitarrenritte unversehens in eine bis dato Chillout-Nummer einfallen konnten. Dass Pinks Ambitionen stets seine Möglichkeiten überstiegen, hinderte ihn nicht daran, derartige Experimente dennoch zu versuchen und oft genug damit Erfolg zu haben. Wohlgemerkt liegen diese Aufnahmen nun bereits längere Zeit zurück, denn obwohl Pink stets als hyperproduktiv charakterisiert wird, hat er schon mehr als ein halbes Jahrzehnt kein neues Album herausgebracht. Die letzten Veröffentlichungen auf u.a. Animal Collectives Label Paw Tracks, die Pink langsam einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machten, waren entweder schon Jahre zuvor woanders erschienen – das 2004er Meisterwerk „The Doldrums“ beispielsweise ursprünglich im Jahr 2000 – oder Compilations, wie die 2008er „Odditties Sodomies Vol. 1“ oder die letztjährige Best-Of-Tour-CD „Grandes Exitos“.

Pink hatte also genug Zeit, um sich erstmals eine feste, gut eingespielte Band zu suchen und neues Material zu erschaffen (wobei sich auf den oben angeführten Compilations bereits frühe Fassungen vieler dieser Songs finden). Erwartungsgemäß aufpoliert klingt „Before Today“ – aber weiterhin relativ unordinär. Das Tapeknistern mag gewichen sein, doch immer noch ist dieser westküstensonnengetränkte Weirdo-Pop von einem Rausch(en) durchzogen, von Gesang, der schizophren von hohem Miauen zu gequältem Tiefgang und von monotoner Lethargie zu völlig cartoonigem Quäken springen kann, von gesampelten Flugzeugtriebwerken oder Menschenmengen – meist bleibt der Wahnsinn jedoch im Hintergrund oder ist wohlbedacht in die Musik integriert. Unter Beteiligung von Pinks Mitspielern werden Vokalharmonien auf ihre wichtigste Aufgabe konzentriert, dem Tragen dieser Melodien für die Pink so ein fantastisches Gespür besitzt. Denn auch wenn man hier die verqueren Klangtexturen und wackelige Instrumentierung mit ihrem Effekt auf Atmosphäre und emotionale Wirkung seiner Songs vermissen kann, die Hauptattraktion waren doch immer die Hooks, zu denen das Ohr nun leichteren Zugriff hat, da es sich nicht mehr durch ein Pfund auraler Wattebällchen wühlen muss.

So wetzen „Bright Lit Blue Skies“ oder „Little Wig“ mit angepsychter Geradlinigkeit davon, funkelt „Can’t Hear My Eyes“ in bestechender mehrschichtiger Klarheit, anderswo sorgt „L’estat (Acc. To The Widow’s Maid)“ mit einem halben Dutzend Spurwechseln (u.a. flotten Synth-Ritts oder einer Spacerock-Exkursion) für köstliche Irritation. Die Krönung ist aber   „Round And Round“, das den ersehnten Überrefrain ewig lange herauszögert und erst nach Beantwortung eines Telefonanrufs erlösend vom Ruder lässt. Falls es Zweifel gab, dass Ariel Pink auch jenseits seiner Schlafzimmerwände Songs schaffen kann, in denen sich große Momente nur so um die Ecke wiegeln: Hiermit sind sie beseitigt.

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Label: 4AD

Referenzen: Roxy Music, Fleetwood Mac, Hall & Oates, David Bowie, R. Stevie Moore

Links: Homepage, Myspace, Label

VÖ: 04.06.2010

8 Kommentare zu “Rezension: Ariel Pink’s Haunted Graffiti – Before Today”

  1. […] Fossils – Beach Fossils Wild Nothing – Gemini Ariel Pink’s Haunted Graffiti – Before Today Actress – Splaszh Efdemin – […]

  2. […] ein beeindruckendes Solokonzert am Schlagzeug. Aber auch inzwischen etablierte Künstler wie Ariel Pink oder Times New Viking, No Age oder Deerhunter machten auf ihrem Weg in die größeren Konzerthallen […]

  3. […] Blick haben tUnE-yArDs’ “W h o ki l l” und Ariel Pinks letztjähriges “Before Today” nicht viel gemein. Auf den […]

  4. […] „Before Today“ mag Pinks 4AD-Debüt und das erste Album gewesen sein, das er mit seiner Band in einem Studio einspielte, doch vertonte er auch dort noch jene Songs, die er schon Jahre zuvor im stillen Kämmerlein solo komponiert hatte. Auf „Mature Themes“ steht der „Haunted Graffti“-Anhängsel erstmals auch dafür, dass Ariel Pinks Songs in kreativer Zusammenarbeit mit seinen Mitspielern entstanden – unter anderem das finale Coverstück, dessen Original Bassist Tim Koh 2008 auf seinem Blog durch den Freundeskreis reichte. „Baby“ ist tatsächlich das, wonach sich Pinks Schöpfungen immer anhörten – obskure, vielleicht auch abgenutzte und entsorgte Goldstücke 60er- und 70er-Gitarrenpops – und in dieser Neuaufführung erwartungsgemäß auch ein Albumhighlight. […]

  5. […] durften, waren die gewählten Locations dem großen Andrang im Zuge der Veröffentlichung von „Before Today“ noch nicht ganz […]

  6. […] womöglich schon im ersten „Studioaufenthalts-Anlauf“ gelungen. Denn nicht nur wir halten „Before Today“ für ein hervorragendes Werk. Heute hat auch Pitchfork Stellung bezogen und wird mit sagenhaften […]

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