BathsCerulean
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Referenzen:
Bibio, Nosaj Thing, Flying Lotus, Boards Of Canada, The Books, Air France, Nite Jewel, Washed Out, Toro Y Moi, Dosh
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Autor: |
Markus Wiludda |
Will Wiesenfeld könnte auch der Name einer Figur aus einer dieser überdrehten amerikanischen Cartoon-Serien sein. Mit hinterlistigem Witz ausgestattet und genug Ideen, um aus dem schnöden Vorort-Leben einen wahren Abenteuerspielplatz zu machen. Dort werden dann dann tollkühne Mutproben bestanden, mit Masken kleine Kinder erschreckt und abseitige Trendsportarten gehören zum aufregenden Alltag. Während die Langeweile danieder liegt, mischt sich jedoch eine melancholische Stimmung ins Geschehen – denn der Zuschauer weiß bei jeder Kamera-Einstellung: Im wahren Leben sind das nur bunte Spinnereien, nur ausgedehnte Tagträume. Gediehen irgendwo am tristen Rand einer Metropole in den USA, bevölkert von weißen Mittelschichts-Teenagern in Durchschnittshäusern, deren BBQ-Hunger ihnen auf den Rippen hängt.
Der echte Will Wiesenfeld ist Anfang 20 und stammt aus Chatsworth. Das einzige Gute an Chatsworth ist, dass die City von Los Angeles nur 30 Kilometer entfernt ist. Und natürlich, dass Kevin Spacey kurzfristig die lokale High School besucht hat und sogar Xzibit, Kevin Federline und Marilyn Manson irgendwo dort am Rande der Cali Hills zeitlebens mal eine Behausung hatten. So etwas schafft Identität und gaukelt ein wenig Relevanz vor. Will macht das Beste draus: Er macht Musik.
In seinem Fall spiegelt diese die Zerrissenheit seiner Generation wider; einer Welt, in der Trends schon wieder vorbei sind, bevor man sie entdeckt hat. So klingt auf seinem Debütalbum „Cerulean“ auch jeder Song ein wenig anders als sein Vorgänger, grenzt sich ab und driftet sachte in andere unbestimmte Richtungen. Zerfaserte Gesänge leiten das Werk ein, turbogemästete Beats gesellen sich da zu unter deren Umwucht der Opener zu ächzen hat, wie der dicke Junge auf irgendeinem Fatboy Slim-Cover vor gefühlten zwanzig Jahren. Nicht, dass Baths annähernd klingt wie der smileyfressende Engländer, jedoch atmet sein Album eben diese Portion Zeitgeist, die auch Fatboy Slim mit dem Big-Beat-Hype der damaligen Zeit verschmolzen hat. Musik für den Moment, vielleicht für ein Jahr, bevor dann eine neue Ära anbricht und man abgehängt vom Geschehen hechelnd versucht, irgendeinen Anschluss zu finden. Baths macht Intelligenzija-Beat-Hop und verbandelt Mucker-Klänge aus den Tiefen seines ultraschicken Laptops mit allem, was gerade so angesagt ist: Ätherischer Hall, verwaschene Vocals, und stolpernder Pop.
Er arbeitet mit Samples und Texturen, klebt mit digitalem Pattex die kleinteiligen Entwürfe aneinander und schachtelt sie zu Loops oder krudem Leerlauf. Songs sind bei ihm eigentlich nicht Songs, sondern Chiffren. Annäherungen an das, was möglich gewesen wäre, hätte er sie ausformuliert und in konventionelle Formen gegossen. Dafür, dass er das aber nicht getan hat, gebührt im Respekt, denn so entfalten seine Tracks die volle Wirksamkeit erst nach und nach, Schicht für Schicht und danken es mit Langzeitwirkung. „Lovely Bloodflow“ pumpt knatternd voran, scheint aber kurz vor einer Herzattacke zu stehen. Auch Wills Gesänge sind hörbaren Bemühungen ausgesetzt und eigentlich auf Albumlänge völlig unwichtig, dennoch geben sie Halt und überbrücken ein wenig bis zum Ding mit der Klaviermusik. „Maximalist“ spart sich den überflüssigen Quatsch und wäscht die Beats einfach rückwärts aus der Maschine, was ein rumpelndes Ergebnis zufolge hat, das zwischen den überwiegend abgehangenen Tracks ebenso heraussticht wie der Melodiefetzen von „Indoorsy“, dessen flatterhafter Gestus das freudige Dilemma dieser Platte passend verdeutlicht: Die Genres ducken sich hier schneller weg als man hören kann. Nur die Beats bleiben als Grundlage zurück. Der Rest ist Raffinesse.
Letztes Jahr gelang Bibio ein ähnlicher Streich: Eine Leftfield-Produktion zwischen Laptop und Folk, zwischen Fluff und Schönheit in sonnengebranntem Umbra. Baths schließt fast nahtlos an diese Art des Musizierens an, die sich im Skizzenhaften gefällt und darin eine Perfektion erlangt, die locker weit über den Sommer trägt. Die Nähe zu den Brainfeeder-Produzenten Flying Lotus oder Gaslamp Killah ist dabei nicht nur geographischer Art. Jedoch, so scharfkantig, futuristisch und fordernd wie bei den anderen L.A.-Beatmachern sind seine Entwürfe nicht, wobei der ein oder andere digitale Kniff sicherlich abgeschaut wurde – auch hätte „Cerulean“ ohne Abstriche ebenso gut auf Warp-Records veröffentlicht werden können. Baths vernetzt seine Musik selbst im Koordinatensystem zwischen Morr, Fat Cat, 4AD, Ghostly, Type und eben Warp und weiß um die Wirkungen von den schwebenden Flächen der Boards Of Canada oder der wahnsinnigen Ideenexplosionen der Books. So brechen plötzlich schillernd die Melodien beim rückwärtsgaloppierenden „Hall“ durch, verbandeln sich bei „Plea“ spielerisch mit dem Chillwave-Appeal von Toro Y Moi oder Washed Out, bevor dann das völlig unkomplizierte „Departure“ im Weiß der vorüberziehenden Wolken aufgeht und jene Art Unbekümmertheit von Urlaubstagen versprüht, der man noch das ganze Jahr sehnsüchtig nachhängt.
Label: Anticon
Referenzen: Bibio, Lorn, Deadelus, How To Dress Well, Nosaj Thing, Flying Lotus, Boards Of Canada, The Books, Air France, Nite Jewel, Washed Out, Toro Y Moi, Dosh
VÖ: 22.06.10
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