Eagle SeagullThe Year Of The How-To-Book
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Referenzen:
Arcade Fire, Clap Your Hands Say Yeah, Shout Out Louds, Franz Ferdinand, Spoon, David Bowie, Friska Viljor
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Autor: |
Lennart Thiem |
Schwelgereien auf der Tanzfläche: Eagle Seagull veröffentlichten unlängst den Nachfolger ihres einst durch KritikerInnen wohlwollend aufgenommenen Debüts. Seit dessen Erscheinen hat sich jedoch eine Menge getan, und damit ist nicht nur das bedauerliche Hinscheiden ihres damaligen Labels L’age D’or gemeint.
Dort wurden immerhin Bands wie The Gossip und Metric vertrieben, doch konnten auch ebenso auf L’age D’or beheimatete Künstler wie Tocotronic, Die Sterne, Superpunk, The Robocop Kraus und Lawrance dessen Ende nicht abwenden. Wer sich näher mit der einstigen Hamburger Institution beschäftigen möchte, sollte die Homepage besuchen und sich bei dieser Gelegenheit auch gleich den Pressetext zu „eagle*seagull“, dem erwähnten Debüt von 2006, durchlesen. Dort ist mit Bezug auf die damalige Erstveröffentlichung im amerikanischen und kanadischen Raum zu lesen: „…Im Oktober 05, ein Jahr nach dem ersten Konzert war das Debütalbum von eagle*seagull auf dem neuen Kleinlabel Paper Garden Records veröffentlicht. Was jetzt folgte, war ein Buzz von fast Clap-Your-Hands-schen Ausmaßen. Famose Reaktionen in den Online-Foren, begeisterte Rezensionen in der Undergroundpresse. (…) Und all dieser Aufruhr, das muss man an dieser Stelle noch einmal betonen, entsteht um eine Band, die man – und das ist dann doch die Parallele zu The Arcade Fire und Clap Your Hands – in kein existierendes Genre einordnen kann.“
Man ist beinahe versucht zu sagen: „Das waren Zeiten!“, und das nicht nur, weil es auf dem Erstling wunderschöne Songs wie die Single „Photographs“ gab, sondern da die hervorhebende Erwähnung eines Hypes durch Musikblogs vor ein paar Jahren tatsächlich noch für Aufmerksamkeit sorgen konnte. Seine Bedeutung hat seit dem zwar nicht abgenommen, aber etwas von seinem Zauber verloren, es wird einfach zu oft gehypt. Liest man die Texte zahlreicher Musikwebzines könnte man den Eindruck bekommen, einige unter ihnen würden ihre Aufgabe in erster Linie in der Vergabe von Vorschusslorbeeren sehen. Und wenn sie damit einer Gruppe zu Aufmerksamkeit verhelfen ist das mittlerweile ganz einfach ein möglicher Weg, den Bands und KünstlerInnen auf dem Weg zur Bekanntheit zurücklegen. Pitchfork.com ist in dieser Hinsicht ein wichtigeres Medium als Musikzeitschriften geworden, kleinere Seiten haben sich auf das Posten einzelner Songs, Take Away Shows, Konzerte oder Rezensionen spezialisiert, das Netz hat eigene Hierarchien entwickelt und ist fest in den Alltag integriert. „The Year Of The How-To-Book“ erinnert an die Zeit, als es diese Ordnung im musikbezogenen Netz noch nicht gab, es weckt geradezu nostalgische Gefühle.
Leider ist es nicht größer geraten als der Ruf, den sich die Band mit ihrem Debüt erarbeitet hat. Immer wieder schleichen sich Erinnerungen an die Aufregung ein, die der erste Langspieler hervorrief, als Alben noch nicht vor Release in lieblos gemachten Blogs und bei One Click Hostern angeboten wurden und das Raunen vom „nächsten großen Ding“ tatsächlich noch für Aufregung sorgen konnte. Dabei ist der Zweitling nicht ohne weiteres mit „eagle*seagull“ zu vergleichen, deutlich rockiger transportiert er eine Selbstsicherheit, die der Band durchaus gut zu Gesicht steht. Da kann Sänger Eli Mardock ruhig wie eh und je nölen und den Liedern Titel wie „I’m Sorry, But I’m Beginning To Hate Your Face“ oder auch „I Don’t Know If People Have Hated Me But I Have Hated People“ verpassen, am besten aufgehoben dürften sie in der Indiedisko sein, und zwar dort, wo man auch die späteren Alben Franz Ferdinands für überraschend und Arcade Fire für einen Geheimtipp hält. Keineswegs soll damit gesagt sein diese Musik sei ewiggestrig oder gar das Werk uninspirierter NachmerInnen, damit täte man der Band schweres Unrecht an. Nur kann man sich leider des Eindrucks nicht erwehren, dieses Album sei zu spät gekommen, um zu begeistern und zu früh, um zu interessieren. Menschen mit einer Vorliebe für opulente, euphorisierende Tanzmusik sollten aber auf jeden Fall einmal reinhören, denn mit „You’re The Reason Why I’m Afraid To Die“ und „The Boy With A Serpent In His Heart“ finden sich hier mindestens zwei veritable Songs für emotionsgeladene Nächte voller Bierseligkeit und gut sitzenden Frisuren, in der privaten Plattensammlung hingegen dürfte es in einem bisher hervorragenden Musikjahr 2010 etwas verloren wirken.
Label: PIAS
Referenzen: Arcade Fire, Clap Your Hands Say Yeah, Shout Out Louds, Franz Ferdinand, Spoon, David Bowie, Friska Viljor
VÖ: 26. 03. 2010