Mi AmiSteal Your Face

Anzählen? Ein Intro zum Einstimmen? Mitnichten, „Steal Your Face“ beginnt in medias res, startet derartig auf hohem Energiepegel, dass es wirkt, als beträte man einen  Raum in dem ein bewegtes Konzert bereits in vollem Gange ist. Eine hohe, aufgekratzte Stimme peitscht über nervös zitternder Gitarre ein, angeschoben von echohaltigem Bassgroove und einer polyrhythmischen Multitude aus Pochen, Pingen, Rappeln und Scheppern, die von gefühlten drei Drummern produziert wird.

Doch Mi Ami besteht insgesamt gerade mal aus drei Leuten, auf seinem zweiten Album setzt das Trio aus San Francisco seinen höchst eigenen, dubbigen Punkpfad fort und tritt dabei geschlossener wie auch energetischer auf als bei seinem vielversprechenden letztjährigen Debüt.

Wo die zweite Hälfte von „Watersports“ in nach innen gewendete, dubbige Tiefentrips abtauchte, scheint es, als wolle Produzent Phil Manley dieses Mal die feurige Liveintensität Mi Amis auf Tonträger bannen. Realistisch gesehen mag das ein aussichtsloses Unterfangen sein, doch er erreicht eine gute Approximation; so ist das Ende von „Harmonics (Genius Of Love)“, bei dem ein zerfasernder Gitarrenschwall aus den Lautsprechern strömt, ein Bedrängen des Gehörsinns, nach dem Stille noch ein wenig leiser anmutet.

Nach einsekündiger Pause jedoch folgt das auf sehr andere Weise mitreißende Albumprunkstück „Latin Lover“, ein halb hüpfender, halb marschierender Beat zielt auf Schulter-, Hüft- und Beinmuskulatur ab während Martin-McCormick sinnestaumelnd „I wanna dance with somebody“ zitiert. Mit New Yorker Rapture-Clubgefühl unterm Arm halten zum Finale Kuhglocke und schallende Handclaps Einzug, und als hätte jemand im Übermut eine Handgranate in eine Discokugel gesteckt sprüht die Gitarre orgiastisch Laserfeuer und Metallfetzen in alle Richtungen.

Der folgende Comedown „Dreamers“ ist nur allzu nötig, alsbald bricht aber mit „Secrets“ das nächste Tohuwabohu aus. Immer wieder titscht Martin-McCormick unsicher oder beklemmt umher, von Gefühlen überwältigt, selbst der gellende, unmenschlich trillernde Schrei Mitte des Stückes verschafft ihm keine Ruhe. In Halt gebendem Kontrast dazu steht das ungemein tighte rhythmische Zusammenspiel von Jacob Long und Drummer Damon Palermo, vom ersten Anschlag an entfaltet es einen Sog, der sich mit jeder Repetition – und Palermos zusätzlichen Variationen – nur verstärkt. Den durchgängigen Fluss des ersten Albums, das sich wie ein großes Auf und Ab anfühlte, kann das fragmentiertere jedoch nicht vorweisen, ebenso scheinen die elektronischen Elemente ihrer letzten beiden EPs oder ihres Remixes von Devil’s Trident vorerst aufregende Nebenexperimente zu bleiben.

So mag „Steal Your Face“ kein großer evolutionärer Schritt sein, arbeitet aber eine der Qualitäten dieser Band deutlich, wahrscheinlich schon bestmöglich, heraus: Diejenige, die die Besucher ihrer Konzerte zum Schwitzen bringt.

79

Label: Thrill Jockey

Referenzen: Black Eyes, These Are Powers, The Rupture, Gang Gang Dance, 23 Skidoo

Links: Myspace, Label

VÖ: 09.04.2010

Ein Kommentar zu “Rezension: Mi Ami – Steal Your Face”

  1. […] Mi Amis in meditative Körpermusik überführt. Rezitierte Martin-McCormick auf „Steal Your Face“ noch Whitney Houston mit seiner eigenen Stimme, zitiert er nun via Sample direkt ihren Gesang […]

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