Alva NotoFor 2
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Referenzen:
Frank Bretschneider, Ryuichi Sakamoto, Ryoji Ikeda, SND, Pan Sonic, Atom TM
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Autor: |
Philip Fassing |
Das musikalische Konzept der radikalen Auslassung zieht sich in der elektronischen Musik langsam aber sicher in seine Nischen zurück. Die skelettierten Bass-Orgien britischer Herkunft werden immer häufiger in euphorische Harmonien gekleidet und auch in den Clubs werden Kompromisse eingegangen. Das Chemnitzer „Archiv für Ton und Nichtton“ – Raster-Noton – fühlt sich allerdings in Gallerien wohler, als auf dem Tanzparkett und zeigt sich dementsprechend unbeeindruckt von solch wellenartigen Entwicklungen. Die Künstler des Labels feilen seit knapp 14 Jahren mit wissenschaftlichem Pflichtbewusstsein an der eigenen Formel und bilden so den Gegenentwurf zum Dogma des menschlichen Makels in der Musik, wie er zurzeit in zahlreichen Subgenres der elektronischen Musik zelebriert wird.
Hinter Alva Noto verbirgt sich Carsten Nicolai, bildender Künstler, Grafiker und Mitbegründer von Raster-Noton. Der studierte Landschaftsarchitekt nahm an der Documenta X und der Biennale in Venedig teil und kann bereits einige Einzelausstellungen verzeichnen. Vier Jahre nach seinem ersten Dedikations-Album folgt nun der zweite Teil, mit dem er seinen strengen Idealen zwar treu bleibt, aber trotzdem feine, organische Brüche in die makellose, digitale Oberfläche einarbeitet. Das beginnt schon mit dem zweiten Titel des Albums, „villa aurora“, das der Münchener Ikone und Dichterfrau Marta Feuchtwanger gewidmet ist. Das Stück ist eine irritierende aber auch poetische Feldaufnahme, ein ausklingender Akkord, das Schließen des Piano-Deckels und dann nur noch Naturgeräusch. „Argonaut“ wird von tiefen Bläsern eingeleitet, die im krassen Kontrast zu synthetischen Glockenmelodien stehen. Der rhythmische Spielraum wird immer wieder zu Akzenten substituiert, was in seiner streng vektoriellen Ästhetik extrem entschleunigend wirken kann. Seinen Höhepunkt findet dieses Prinzip auf „interim“, das piepende Sinustöne und Fragmente von weißem Rauschen in einen Kommunikationsintervall setzt. Auf „t3“ gibt der Bordcomputer eines interstellaren Raumkreuzers eine einsame Ode der Unendlichkeit zum Besten. Auch hier scheint alles miteinander im Dialog zu stehen. Beide Stücke sind dem Industriedesigner Dieter Rams gewidmet, dessen oberste Prämisse die Klarheit der Form war – ein Motiv, das sich auch in Alva Notos Musik immer wieder finden lässt.
Die Art und Weise wie Carsten Nicolai den Minimalismus der Neuen Musik, orchestrale Andeutung und Elemente des Glitch in Einklang bringt, ist genauso fordernd wie aufschlussreich. Töne aus dem klanglichen Reagenzglas werden mit reduzierter Romantik versetzt, was die Musik stets zwischen den Aggregatzuständen schweben lässt.
Label: Line
Referenzen: Frank Bretschneider, Ryuichi Sakamoto, Ryoji Ikeda, SND, Pan Sonic, Atom TM
VÖ: 12.04.10
[…] ist 41. …weil der Status des Unfertigen der genau richtige für derart Musik ist 42. …weil das Dogma des menschlichen Makels hier ein Grundprinzip darstellt 43. …weil diese Band immer noch ein Geheimtipp ist 44. …weil […]
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