Mux MoolSkulltaste
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Referenzen:
Michna, Debruit, Comfort Fit, Flying Lotus, Madlib, Onra, Hudson Mohawke, Eliot Lipp
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Autor: |
Markus Wiludda |
Pommes ohne Schranke, Sommer ohne Urlaub, Sex ohne Orgasmus? Manche Dinge gehören einfach zusammen und sind nur vereint ein gutes Team. Eine Blitzumfrage gerade unten auf der Straße hat auch festgestellt: 9 von 10 Personen sind der Meinung, dass Beats ohne Gesang keine wirkliche Musik darstellen. Und das ist gar nicht einmal so abwegig, haftet doch reinen HipHop-Abstraktionen immer etwas Unfertiges und Skizzenhaftes an und fordert ein geschulteres Ohr, um das Vokabular von Details, Brüchen und Bässen zu verstehen.
Dass das lohnt, zeigen in den letzten Jahren immer mehr Künstler, die ganze Alben mit instrumentalen Beat- und Samplekonstruktionen veröffentlichen und dabei so deutlich wie nie auch die unterschiedlichen Produktionsarten offenlegen und somit selbst zum Thema machen. J Dilla muss genannt werden, der tief in die Zitatkiste greift und den Soul und Funk aus der Vergangenheit destilliert – seine Tracks zählen zu den erfolgreichsten auf diesem Gebiet. Flying Lotus hingegen setzt aufs Digitale und entwirft eine futuristische Vision verrenkter Beats, die fast schneller vorbei sind als sie begonnen haben. Dazwischen wabert eine Ahnung vorbei, die einerseits stahlhart und unnahbar und doch wässrig und organisch erscheint, als wären das nicht die maximalen Gegensätze, die es in der Welt geben könnte. Überhaupt scheint Flying Lotus überlegen spielerisch die Grenze zwischen HipHop und Elektronik aufzuheben, die seit jeher nur ein schmaler Grad war und in der musikalischen Evolution oftmals als Katalysator fungierte.
Mux Mools Entwürfe sind nicht ganz so störrisch wie die des Eastcoast-Kollegen FlyLos, nicht ganz so rasant und scharf. Seine Tracks zeigen aber mehr Varianz, was sein Debüt „Skulltaste“ auch über die volle Distanz von fünfzehn Songs (digital mit vierfachem Bonus) nicht langweilig erscheinen lässt. Alles flirrt, bleept und ist in einer Konstruktion ein kleines Kopfkino-Abenteuer. Kampfszenen, Motorszenen, Urlaubsszenen werden aneinander getackert und nur selten werden verfremdete Samples so präsent eingesetzt wie in „Hog Knuckles“. Die verschiedenen Spielarten von bedrohlich abstrakt bis hypnotisch verträumt gehören zu seinem Repertoire, das immer dann richtig formidabel ausgeschöpft wird, wenn er Beats tropfenförmig rundet oder einfach wie beim herrlichen Titeltrack gegen die Wand klatscht. Überhaupt zeigt dieser Track die Möglichkeiten auf: Störrisch-gebrochene Keyboards, digitale Claps und eine hohe Griffigkeit überzeugen selbst Hörer, die sich bisher wenig auf dieses Terrain gewagt haben.
House-Freunde hingegen finden sicherlich Gefallen an „Enceladus“, Star-Treck-Gucker erfreuen sich mit Gewissheit an den kosmischen Sternexplosionen bei „Dandelion“, die auch endlich die Beats im Raum installieren und so eine neuerliche Dimension aufstoßen, die man sich des Öfteren in Gebrauch gewünscht hätte. Ebenso, dass Mux Mool (im wahren Leben: Brian Lindgren) ein paar mehr Energy-Drinks einschmiss und das Gaspedal ein bisschen tiefer in die Karosserie drückte, wie er es bei den Drum’n’Bass beeinflussten Skizzen vollführt. Überhaupt ist Mux Mool ein absoluter Kenner der digitalen Evolution und setzt sein Wissen mit Geschick und technischer Finesse, aber nie aufdringlich ein. Technoide Anklänge sind auf „Skulltaste“ ebenso zu finden, wie Reminiszenzen auf die ersten elektronischen Gehversuche in den 70er Jahren – er ist ein akribischer Sammler und seine Festplatten quillen über vor obskuren Versatzstücken, aufgeräumten Texturen, standardisierten Beats, dämmernden Synthieflächen und pointierten Click’n’Cuts. Gerade dieser scheinbare Überfluss stellt sich aber im Nachhinein als das große Plus dieses Erstlings heraus: Er galoppiert sich durch die Musikgeschichte, zerdehnt die Zeit und spult an behäbigen Stellen einfach mal schnell vorwärts, um seine instrumentalen Kurzgeschichten nicht nur in die Synapsen seines Laptops zu zimmern. Dabei stört es kaum, dass dieses Werk vielleicht nicht das progressivste des Jahres ist; wohltuend ist es alleine deshalb, weil es etwas Abstand nimmt von der inzwischen dominierenden Dubstep-Ästhetik der möglichst krumm platzierten Beats und distanzierenden Kühle. Hier ist jemand, dem Traditionen viel bedeuten.
PS: Es ist auch eine EP zum Album erschienen, die sich völlig kostenlos von der Labelseite herunterladen lässt. Dieses Material unterscheidet sich aber teilweise deutlich von den Tracks auf „Skulltaste“.
Label: Ghostly
Referenzen: Michna, Debruit, Comfort Fit, Flying Lotus, Madlib, Onra, Hudson Mohawke, Eliot Lipp
VÖ: 23.03.2010