Die Sterne24/7

Auf 24/7 lauten die zentralen Zeilen „Wir fürchten eine Welt / die uns am Leben hält“, denn sie bringen die ebenso notwendige wie problematische Widersprüchlichkeit der Kritik am Neoliberalismus durch die Bohème zum Ausdruck, ein Anliegen, von dem das mittlerweile neunte Studioalbum der Sterne bestimmt wird. Dabei rufen sie keineswegs einfach laut „Dagegen!“, die Erkenntnis der Fragwürdigkeit unserer prekären Existenz im durch Ausbeutung gewonnenen Wohlstand blitzt im Stroboskopgewitter kurz auf und fliegt mit den Hallfahnen durch allerlei Diskoglitter; weder kann man sie so permanent vor Augen haben, noch muss man es, schließlich hat es Frank Spilker nicht nötig, mit Platitüden auf Publikumsfang zu gehen. Er ist ein viel zu aufmerksamer Texter.

In der Hansestadt, in der er, anders als die meisten vermeintlichen VertreterInnen einer gerne wie selbstverständlich erwähnten, aber nie definierten Hamburger Schule, nach wie vor lebt, kann man gerade eine Menge erleben. Dort nämlich sorgen Politik in Form eines schwarz-grünen Senats in Zusammenarbeit mit verschiedenen Investoren und, das darf man auch nicht vergessen, Teilen der Bevölkerung seit geraumer Zeit für schöne Beispiele einer forcierten Gentrifizierung in mehreren Hamburger Stadtteilen, darüber hinaus ist die rückschrittliche Sozialpolitik der selbsternannten „wachsenden Stadt“ bemerkenswert. Da gäbe es zum Beispiel die Schanze, in der mittlerweile zwischen Fastfood-Filialen, Nobelhotel und für schick gehaltenen Bekleidungsläden Touristen, Yuppies und andere Selbstausbeutungswillige flanieren, die geplante Ansiedelung eines schwedischen Möbelhauses im Zentrum Altonas, die Hafencity mit Elbphilharmonie, aber auch die zurückliegende Privatisierung der Landeskrankenhäuser, die Aufhebung der Lehrmittelfreiheit an Schulen, Studiengebühren, die Kürzungen der Zuwendungen an Frauenhäuser. Es wird behauptet, eine am Markt orientierte, also „wirtschaftliche“ Politik sei notwendig, weswegen Verständnis dafür erwartet wird, dass die Stadt Hamburg als Marke und ihren Einwohnern als Kapital zu begreifen seien. Insbesondere die „Kreativen“, die als Aushängeschilde und Standortfaktor herhalten sollen, sind darüber nicht sonderlich erfreut, sehr schön wird dem in einem offenen Brief mit dem Titel „Not In Our Name, Marke Hamburg!“ Ausdruck verliehen.

Etwas knackiger formuliert begegnet uns ähnliches im Text des Liedes „Stadt der Leichen“, einem Stück, das wie viele andere auf 24/7 unter Mithilfe des Gomma-Betreibers Munk alias Mathias Modica entstanden ist, dessen Beteiligung hilft, der hier neu definierten Liebe zur Disco einen adäquaten Ausdruck zu verleihen. Denn „Wir brauchen einen Beat um dieses Biest zu zerstören“ („Biestbeat“ / „Wo ist hier“, 1999), das mag zwar von jeher die Meinung der Sterne gewesen zu sein, auf den drei Alben vor „24/7“ schien es jedoch so, als hätten die Stimmen, die das ehemalige Quartett zu Beginn ihre Karriere als Nachfolger der Ton Steine Scherben sahen, recht gehabt. Nun sind diese zwar eine äußerst wichtige Band, deren Mischung aus jugendlichem Aufbegehren und kommunistischer Romantik immer wieder Menschen im richtigen Moment erreichen wird, zum Jahr 2010 haben sie leider nicht so viel zu sagen. „Keine Macht für Niemand“ ist eine berechtigte Forderung und griffige Parole, was aber soll ein Mensch im Postfordismus, der sich gerade erfolgreich um einen Praktikumsplatz beworben hat und nun in einem „kreativen“ Berufsumfeld „eigenverantwortlich“ Überstunden schiebt, damit anfangen? Für einen solchen Menschen gibt es nicht die eine repressive Staatsmacht, er oder sie kann vielleicht sogar mit Billigung seiner Eltern leichte Drogen nehmen und merkwürdige Frisuren tragen, gut geht es ihm oder ihr aber deswegen noch lange nicht. Die eigene beklemmende Situation zwischen Büro, Club und Social Networks mit dem Zwang zur ständigen Verfügbarkeit und Selbstanpreisung findet man nämlich nicht in Hausbesetzerhymnen wie „Wir rühren uns nicht vom Fleck“ („Das Weltall ist zu weit“, 2004), mit dem sich die Sterne scheinbar endgültig zum Protestrock der Scherben bekannten, sondern dem Hit des Albums „Depressionen aus der Hölle“, einem Floorfiller, der das Unbehagen und die Unzufriedenheit beim ständigen Ausreizen der eigenen Belastbarkeit auf den Punkt bringt: „Wohin zur Hölle / mit den Depressionen / ich gehe in die Disco / ich will da wohnen / mit wehenden Fahnen / mit wehendem Blick / und im tiefsten Innern tief geknickt“, das ist näher an der Lebenswirklichkeit als die Fehlfarben, wenn Peter Hein auf deren aktuellen Album in „Vielleicht Leute 5″ singt „Was hat man sich gefürchtet / ob der Blockwart etwas weiß / doch in jedem Forum / gibt man die Penislänge preis“.

Die Sterne hingegen stehen technischen Entwicklungen nicht ratlos gegenüber, sie sind keine grummeligen Punks und verlegen die Kritik nach außen, sie „messe(n) den Druck und spüre(n) die Zwänge („Wahr ist, was wahr ist“ / „Irres Licht“, 2002), den Zwang zum Einverständnis, der schwerer greifbar ist als Repression und Staatsgewalt („Convenience Shop“). Selbst auf „Gib mir die Kraft“, einem dem Indierock der letzten Alben recht nahen Liebeslied, hat der Kontrollverlust nicht nur etwas mit Leidenschaft zu tun, hier wie auch bei „Nach fest kommt lose…“ bleibt es textlich erfrischend unkonkreter als bei den Sternen der vorherigen Jahre, eine Entwicklung, die man beinahe als Rückbesinnung bezeichnen könnte, wenn nicht jegliche Nostalgie fehlen würde. „24/7“ ist das bisher beste deutschsprachige Album in diesem Jahr.

74

Label: Materie Records

Referenzen: Fehlfarben, Munk,The Phenomenal Handclap Band, Peter Licht, Die Goldenen Zitronen, Whirlpool Productions, Blumfeld, Stella

Links: Homepage / Myspace

VÖ: 26.02.2010

Ein Kommentar zu “Rezension: Die Sterne – 24/7”

  1. […] unbeirrbare Legende des Schrammelrocks gefeiert, und so ganz nebenbei die eine oder andere Neuerfindung in Disco bestaunt. Um das Link-Massaker komplett zu machen, hat man beim Bootboohook aber auch die […]

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