EfterklangMagic Chairs

Der Hörer kommt sich auf „Magic Chairs“ vor wie Alice, als sie das erste Mal das Wunderland betritt. Alles ist hier ungewohnt und bekannt zugleich, phantastisch und doch real. Man wähnt sich wie in einem Märchenwald und schafft es nach dem wunderbar perlenden Klavier-Intro von „Modern Drift“ gerade noch so die Kinnlade wieder anzuwinkeln, während um einen herum so viel passiert, dass sämtliche Sinneskanäle maximale Reizimpulse ins Gehirn funken. Gerade weil Efterklangs Musik eine besonders menschliche Aura besitzt, sprühen hier kleine Glücksfunken wie von einer langsam herabbrennenden Wunderkerze.

Efterklang aus Dänemark, die isländisch klingendste Band außerhalb Islands, sind binnen fünf Jahren zu einer famosen Band herangereift. Waren die ersten Gehversuche noch etwas ungelenk, trauten sie sich zunehmend mehr Griffigkeit und mehr Melodien in ihr Schaffen zu implementieren und fuhren die elektronischen Einsprengsel etwas zurück. „Magic Chairs“ ist nun ihr Debüt für 4AD und ihre bis dato stärkste Arbeit. Der Opener entfesselt das Klavier und lässt Melodiebögen aufziehen, die gleichsam wunderlich und wunderschön harmonieren und den Wohlfühlfaktor um ein paar Grad nach oben schrauben. Mit freundlichen Chören, Bläsern und Streichern werden auch noch die letzten Kanten geschliffen, so dass dieser Auftakt zu einer wahrlich runden Angelegenheit wird. Das liegt allerdings auch daran, dass ihre Musik so organisch wirkt, wie kaum ein vergleichbares Produkt im Popkosmos. Alles rankt, verstrickt sich, atmet und blüht auf. Zwar gibt es hier keine Nichtgeburtstagsparties, keine Riesenhasen und grenzdebilen Hutmacher, aber dafür dutzende Instrumente im Dauereinsatz, die sich eine dreiviertel Stunde gegenseitig Geschichten erzählen und so fast menschliche Züge annehmen. Es treffen hier Welten aufeinander, es wird der Dialog gepflegt. Man sorgt sich und umarmt sich mit einer Herzlichkeit, wie sie andern Orten längst schon nicht mehr gibt. Ein wenig später versteht man sich sogar wortlos. Bloße Rhythmuspattern, dumpfe Blechbläser, ätherisches Gesäusel. Das ist irgendwie magisch und durchaus komplexer als bei den Kollegen von Hjaltalín, so dass man seine Hördurchgänge braucht, um Anhaltspunkte in dieser traumwandlerisch sicheren Kommunikation zum »Mitreden« zu finden. Ist der Eingang in diese Zauberwelt aber erst einmal geglückt, erwartet einen pure Schönheit. Alles pulsiert, alles lebt. Nirgends passt das Prädikat »organisch« besser, als auf die versponnenen, warmen Sounds dieser dänischen Combo.

Kaum ist mehr von der Postrock-Vergangenheit zu spüren, auch nicht von den elektronischen Einsprengseln der ersten Schaffensperiode. Dafür wird es auch zunehmend intimer wie bei „Natural Tune“, das mit einem zurückgenommenen Kammerpop aufwartet, den The National nicht besser hätten inszenieren können. „Scandinavian Love“  hingegen bietet eine vorsichtig tänzelnde Mischung Cleverness, die so gar nicht die coldplayeske Züge trägt, wie sie von den Kollegen bei plattentests.de attestiert werden. Jedoch darf man zustimmen, dass dieses Album eine Besonderheit darstellt. Wenn bei „I Was Playing Drums“ vier Minuten auf einen ganz großartigen Glücksmoment hingearbeitet wird, der strahlt, wärmt und grell leuchtet, dann weiß man, dass dieses Album zumindest für ein paar Minuten lang all das ausmacht, was auch ein Zuhause bieten soll: Geborgenheit. Ruhepausen der süßlichen Ereignislosigkeit inklusive, was aber kaum der Rede wert ist. Schließlich sind Efterklang alles andere als anbiedernd, was man ihnen gar nicht hoch genug anrechnen kann. „Magic Chairs“ ist eine der wundervollsten Platten des ersten Quartals. Opulent und zeitgemäß lassen sie eine fantastische Welt ersprießen, die viel Freiraum auch für eigene Assoziationen bereithält. Auch Alice würde staunen.

84

Label: 4AD

Referenzen: Hjaltalín, Slaraffenland, Sigur Rós, The National, Under Byen, Múm, Gregor Samsa, Mice Parade, The Album Leaf

Links: Homepagemyspace

VÖ: 19.02.10

10 Kommentare zu “Rezension: Efterklang – Magic Chairs”

  1. Georg sagt:

    Schöne und gut nachvollziehbare Rezi, aber für mich äußerst langweilige und ausdruckslose Musik.

  2. Lennart sagt:

    weil ich’s grad im radio höre: eine passende referenz wären auch anathallo, die sind zwar nicht so songorientiert, besitzen aber eine ähnliche klangfarbe.

  3. Sven sagt:

    Hätte Tim Burton mal hier zugeschlagen, anstatt Avril und Konsorten zu exhumieren!
    Wunderschönes Album und eine würdige, bunte Rezi.

  4. […] Altmeister Gil Scott-Heron, die im Untergrund von Los Angeles wühlenden Liars, songstrukturiertere Efterklang, Owen Pallett und seine Streicher, den einfach nicht kaputt zu bekommenden Jamie Stewart aka Xiu […]

  5. […] für das Besondere bewiesen haben oder zumindest aufmerksam das glücklich machende Album „Magic Chairs“ gehört haben. Auch die Brooklyn-Truppe Bear In Heaven schaffte es, einen dieser magischen […]

  6. Bastian sagt:

    Manchmal braucht ein Album halt seine Zeit. Eines der tollsten in diesem Jahr, muss ich jetzt einsehen.

  7. […] von Pitchfork nur wenig begeistert. Und auch die AUFTOUREN-Redaktion ist sich, nachdem man „Magic Chairs“ vor zwei Jahren immerhin auf Platz 12 der Jahrescharts wählte, bei „Piramida“ nicht ganz so […]

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