Owen PallettHeartland

Dass Musik oft nur im richtigen Kontext funktionieren kann lässt sich an zwei Konzerten Owen Palletts, damals noch Final Fantasy, im Rahmen des Haldern Pop Festivals ganz besonders gut belegen. Konnte er anno 2006 im nächtlichen Spiegelzelt noch jeden der Anwesenden allein mittels der geloopten Geige und seines Charmes verzaubern, so war er im letzten Jahr unter der unbarmherzigen Nachmittagssonne, verloren auf der Hauptbühne stehend, naturgemäß zum Scheitern verurteilt. Die Intimität und Nähe zum Publikum machten hier ganz alleine den wesentlichen Unterschied zwischen einem großartigen und einem misslungenen Konzert aus.

Wenn man aber nun einmal mit so unverschämt viel Talent und Einfallsreichtum gesegnet ist wie eben jener Owen Pallett, scheint es wenig verwunderlich, dass man doch irgendwann heraus möchte aus seiner Nische der kleinen Konzertvenues und der Rolle des ewigen Indie-Darlings. Und so arbeitete sich Owen, dessen Stärke eben nie das Lautmalerische war, stets dezent im Hintergrund solch kleiner wie großer Pop-Entwürfe von den Mountain Goats über Arcade Fire bis zu den Pet Shop Boys immer weiter vor, um nun über die Hintertür schlussendlich bei den ausgehungert nach neuen Großwerken lechzenden Feuilletons der westlichen Hemisphäre und neuerdings auch Japans anzuklopfen.

„Heartland“ heißt das aktuelle vor Ambitionen nur so strotzende Album, das, wie so oft bei einem geplanten großen Wurf, ein Konzeptalbum sein muss, noch dazu eines, das von einem fiktiven mittelalterlichen Reich namens Spectrum erzählt, in dem die gebeutelte Bauernschaft von einer gnadenlosen Klerikerkaste tyrannisiert wird und in dem sich der Held Owen mit dem Bösewicht Lewis duelliert. Dass das Prager Sinfonieorchester bei den Aufnahmen der Platte behilflich war, erscheint da wie selbstverständlich und wer jetzt an Joanna Newsoms „Ys“ denken mag, liegt vermutlich auch nicht allzu falsch.

Genügend Gründe „Heartland“ zu lieben oder zu hassen hat man also schon bevor einem auch nur der erste Ton des Ganzen zu Ohren dringt. Diejenigen aber, die jetzt befürchten, Owen Pallett könnte sich hier gehörig übernommen und dabei all den minimalistischen, kammermusikalischen Charme der beiden Vorgängeralben auf der Strecke gelassen haben, sollen an dieser Stelle schonmal beruhigt werden. „Heartland“ klingt in keinem Moment nach konventionellem, kitschigen Orchesterpop, sondern weiß seine neu hinzugewonnene Opulenz geschickt in die leicht experimentelle, bisweilen stakkatohafte Loopästhetik Owen Paletts zu fügen. Streichersätze erzeugen hier zwar durchaus einmal Pathos und Dramatik, werden aber immer wieder von überraschenden, musikalischen Brüchen und Störeffekten gekreuzt, die die hier erzählte Geschichte konsequent nachzeichnen. Sich das Ganze als eine Art Oper oder Ballett auf der Bühne umgesetzt vorzustellen wäre da durchaus naheliegend, auf simple Strophe-Refrain-Schemata wird jedenfalls, wie zu erwarten war, verzichtet. Als eingängigstes Stück sticht da noch „Lewis Takes Action“ hervor, das einen gekonnten Spagat zwischen Operette und Popsong zelebriert, während das wunderschöne „E Is For Estranged“ sich vorsichtig an einer klassischen Ballade versucht.

Auch Owen Pallets eben wenig voluminöse Stimme sorgt in diesem Kontext für einen interessanten Effekt, indem sie im bisweilen gewaltig anschwellenden Meer aus Streichern, Holz- und Blechbläsern nahezu unterzugehen droht und dieses, sowie die bedeutungsschwangere Textebene damit gewollt oder ungewollt konterkariert. Das Künstlerego verschwindet hier hinter der Musik, womit wir auch schon beim neben der etwas kruden Rahmenhandlung, die wohl mit dem Wort „Geschmackssache“ am besten zu umschreiben wäre, größten Problem dieses Albums angelangt wären. Pallets Strahlkraft als Sänger und Projektionsfläche, und hier liegt vielleicht der wesentliche Unterschied zu Joanna Newsom, reicht leider bei weitem nicht an seine Fähigkeiten als Arrangeur und Musiker heran. Sein zartes Stimmchen lässt auf voller Albumlänge leider die Identifikationsfigur vermissen, die die Rahmenstory hier so vehement suggeriert. „Heartland“ wirkt dadurch teilweise zu wenig greifbar um es bedingungslos lieben zu können.

Seine besten Momente hingegen hat das Album immer dann, wenn sich die Lieblichkeit der Arrangements ins Bedrohliche wendet und so all die Zerrissenheit und Spannung, die hier unter der leicht schmelzbaren Oberfläche glüht, in Form lodernder Flammen offenbart, wie es bei den sich langsam steigernden Streichermotiven in „Keep The Dog Quiet“ geschieht, die schließlich im apokalyptisch dräuenden Interlude „Mount Alpentine“ münden. „Heartland“ befindet sich immer in Bewegung, ist sich seiner  tiefen Abgründe bewusst und begibt sich trotzdem immer wieder auf ganz dünnes Eis. Eine zerbrechliche Stimme gegen mächtige Orchesterarrangements, Owen gegen Lewis, Gut gegen Böse, es sind die Widersprüche, die dieses Album letztendlich und trotz allem so hörenswert machen. Wie das dann auf der Bühne aussehen soll bleibt eine andere Frage. Die Zeiten des intimen Rahmens dürften für Owen Pallett jedenfalls erstmal bis auf weiteres vorbei sein.

75

Label: Domino (Indigo)

Referenzen: Joanna Newsom, Van Dyke Parks, Nico Muhly, Chris Garneau, Patrick Watson, Andrew Bird, Sufjan Stevens

Links: Homepage, MySpace

VÖ: 22.01.2010

6 Kommentare zu “Rezension: Owen Pallett – Heartland”

  1. Kai sagt:

    Schöne Rezension, gefällt mir auch sehr gut das Album, hat jedoch ein bisschen gedauert bis es Klick gemacht hat.

    Vielleicht hat ihn ja mal jemand live erlebt; ist es nicht irgendwie … zu „langweilig“, er alleine ohne Schlagzeug oder Gitarre auf Konzert? Würde ihn gerne in Frankfurt sehen.

  2. Bastian sagt:

    Wie gesagt, kommt ganz darauf an. Im richtigen Rahmen kann er ganz allein mit seiner Geige ziemlich beeindruckend sein. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass er sich für dieses mal Unterstützung sucht.

  3. @Kai, live hat er bisher allein gespielt, nu hat er aber jemanden im wechsel an percussions u. gitarre dabei. langweilig war’s aber noch nie ;)

  4. […] Scott-Heron, die im Untergrund von Los Angeles wühlenden Liars, songstrukturiertere Efterklang, Owen Pallett und seine Streicher, den einfach nicht kaputt zu bekommenden Jamie Stewart aka Xiu Xiu und – […]

  5. […] sind u.a. AUFTOUREN-Favoriten wie Spoon, Chokebore, Los Campesinos!, Faith No More, Moderat, Owen Pallett, Brother Ali, Anti-Pop Consortium, Lee Field & The Expressions, Get Well Soon, The Raveonettes, […]

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