Kommentar: Grammys 2010

Man lebt ja als Musikfan ein bisschen in einer Luftblase der Gutgläubigkeit. Qualität statt Kommerz, Unabhängigkeit statt Seilschaften und Filz. Aber der Enthusiasmus trägt nicht lang. Schließlich ist die Musikindustrie wie der Name bereits sagt, eine Industrie. Und die unterliegt nicht Maßstäben der Glaubwürdigkeit, sondern schlichtweg der Rentabilität. Was bringt ein Künstler ein? Wie erfolgreich lässt sich eine Band vermarkten? In wie fern muss das Image geändert werden, damit die nächste Stufe des medialen Durchbruchs erreicht wird? Manager bestimmen die Musik, die Industrie bestimmt die Musik. Gerade so wichtige Ereignisse wie der deutsche Echo-Preis oder der amerikanische Grammy reiben das einem immer wieder mit teurem Eau auf die Nase. Hier zählen weder Qualität noch Progressivität sondern schlicht: hard cash. Während die deutsche Variante des Musikpreises erst gar nicht verhehlt, dass sie die kommerziell erfolgreichsten Produkte noch einmal im Scheinwerferlicht bauchpinseln will, verschanzt sich der wichtigste aller Preise, der Grammy, hinter einer obligatorischen wie heuchlerischen Jury, die ein ums andere Jahr aus obskuren Nominierungen die offensichtlichste Variante wählt.
Ein abgekartertes Spiel, das die großen Major-Firmen auf die Gewinnerseite rückt. Independent hat nur in Randkategorien eine Chance, so muss man 2010 froh sein, dass Phoenix wenigstens den Alternative-Award mit nach Hause nehmen dürfen und nicht Depeche Mode (!). Die Einteilung der Kategorien war auch bei dieser Verleihung erneut eher dem Zufall geschuldet, denn einer durchsichtigen Politik. Aber was will man sich beschweren bei dieser ultimativen Aufgeblasenheit der Rubriken, die neben jeder „Besten Vocal Performance“ noch eine Unterabteilung „Best Female Vocal Pop Performance“ aufmacht, sodass insgesamt 280 CDs (!!!) einen Grammy-Nominee-Sticker auf ihre Hülle pappen können, um die Verkaufszahlen wenigstens auf merkliche Niveaus zu heben. Nein, mit dieser Weitläufigkeit und Diffusität entwertet man einen Preis, der anfänglich die ehrenwerte Aufgabe hatte, qualitativ und kommerziell erfolgreiche Produkte auf einer Ebene der Schallplattenkritik auszuzeichnen. Zig unnütze Kategorien schanzen Künstlern und Bands Preise zu, die den Lebenswerk-Auszeichnungen beim Oscar gleichkommen. Nix gewonnen, aber irgendwie wichtig – dann gibt’s das Gnadenbrot eben oben drauf. Mit freundlichen Grüßen, ihre Grammy-Jury.
Die großen Firmen sind die Gewinner und man muss sich schon freuen, dass 2010 der Marktführer Universal mit seinen Sublabels nicht so dominant gewonnen hat wie in den Vorjahren. Klar, „Taylor Swift“ (Universal) überraschte dann doch in der Rubrik „Album des Jahres“, wohingegen Kings Of Leon (Sony) mit „Use Somebody“ die Kategorie „Record Of The Year“ abgreifen konnten. Schön paritätische Zeiten. In deren Krise sich nicht einmal die ganz Großen vor der Kamera ein Auge aushacken, sondern auf Eintracht und Zusammenhalt setzen. Das Nachsehen haben wieder einmal die kleineren Firmen, die seit Jahren mit Qualität und künstlerischem Anspruch an die Sachen gehen und einfach vom roten Teppich des Grammys niedergemacht werden. Die Gewinner hießen 2010: Lady Gaga, Beyonce, Black Eyed Peas, Kings Of Leon, Green Day und Jason Mraz. Laaaaangweilig! Wie jedes Jahr.
Quotengewinner, altgediente Helden und kommerzielle Selbstfeierei: Ist es das, was die Musikindustrie braucht? Vermutlich nicht, aber dennoch beweist niemand den Mut, wirklich eine Veranstaltung abzuliefern, bei der nicht die auftretenden Personen (nur die geben die entsprechende TV-Quote) auch einen Preis einheimsen. Da beißt sich die berühmte Katze in den eigenen Schwanz. Solange es eine mediale Selbstinszenierung bleibt, wird sich weder bei den Grammys noch bei einer anderen wichtigen Musikpreisverleihung etwas ändern. Einzig der Mercury Music Prize sticht zumindest in der Auswahl der Nominierten positiv hervor. Was schmerzlich vermisst wird, ist allerdings ein Musikpreis für wirklich wichtige, innovative und spannende Projekte. Das muss die kommerziell erfolgreichen Künstler nicht ausschließen (Animal Collective, Grizzly Bear, The XX, Phoenix), würde aber nicht nur im wirtschaftlichen Sinne belebend wirken. Musik anders denken – das wird die Aufgabe sein, um den internationalen Musikpreisen neue Relevanz zu geben.
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