LiarsSisterworld

Die Stadt der Engel scheint in all ihrer Ambivalenz schon immer ausschlaggebend für das Schaffen unzähliger Künstler gewesen zu sein – liefert die Metropole doch schon im Alleingang den Stoff, der in den Hollywood Hills so oft zu Gold gemacht wird. Doch wie bewahrt man sich angesichts eines Konstruktes aus Lügen, falschen Versprechen und oberflächlichem Glamour die eigene Identität als Teil einer Subkultur? Wie entgeht man der Schizophrenie, die durch den zwiespältigen Clash von Untergrund und Kommerz genährt wird? Diesem Thema gehen Liars mit ihrem fünften Studioalbum auf den Grund, was – bedenkt man den Hintergrund des Trios – schon fast etwas Selbstreferentielles hat.

Der schlichte Titel „Sisterworld“ suggeriert Nähe zum selbstbetitelten Vorgänger, waren doch alle anderen Alben stets mit kryptischen Wortspielen versehen. So folgt die Platte tatsächlich mehr oder weniger dem eingeschlagenen Weg des letzten Longplayers und konzentriert sich auf eher eingängige Strukturen. Doch der Schein trügt: In der Textebene taucht der nebulöse, verschlüsselte Duktus natürlich prompt wieder auf. Und auch sonst klingt hier mal wieder alles vor allem nach einem: den Liars. Referenzrahmen sind von daher vollkommen überflüssig. Kaum eine Band schafft es so gut, dem eigenen Stil treu zu bleiben, ohne die nötige Entwicklung auszusparen. Das Trio wühlt sich mal wieder ordentlich durch Garage und No Wave, Noise und (Post-)Punk, um die Versatzstücke schließlich zu dem ganz eigenen, unverkennbaren Art-Rock-Sound zu addieren. Dabei greifen sie diesmal sogar zu dem ein oder anderen klassischen Instrument. In „No Barrier Fun“ unterstreicht ein bedrohlich anschwellendes Cello die unheilschwangere Stimmung, während  „Goodnight Everything“ von einem erhabenen Bläserensemble getragen wird.

Die einzelnen Stücke bergen dabei nur selten auffällige Höhepunkte oder dramatische Verläufe, sondern bilden vielmehr die Mosaiksteinchen zu einem weiten, der Songstruktur übergeordneten Spannungsbogen. So versprühen die ausschweifenden Synthesizer-Tröpfchen am Anfang von „Proud Evolution“ die Aufbruchstimmung eines Sonnenaufganges bei blauem Himmel, was durch eine abgeklärte Bassline unterstrichen wird, nur um danach wieder von dem kaputten „Drop Dead“ auf den Boden der Tatsachen geholt zu werden. Die kurzen Momente der Versöhnlichkeit werden immer wieder überschattet. Das ganze Klanggebilde scheint ein überspannter, nicht reißen wollender Geduldsfaden zu sein. Dabei erweisen sich die ruhigeren Songs als deutlich effektiver. Am Ende wird man mit „Too Much, Too Much“ aber doch noch mit etwas Hoffnung entlassen. Verstimmte, aber optimistische Gitarrenakkorde und seltsam artifizielle Chor-Pads betten Angus‘ schon fast shoegazigen Gesang in ein sanftes Klangbett.

Sisterworld verliert sich nicht in allzu überambitionierten Experimenten, sondern bezieht seine unheilvolle Stimmung aus den nervösen und paranoiden Arrangements. Das nagt mehr an den Nerven als jede Effekthascherei und bewahrt zudem noch einen subtilen Charme, der dem Trio ohnehin schon immer sehr gut stand. Trotz dieses Pluspunktes hätte man sich an der ein oder anderen Stelle etwas mehr Rotz und Noise-Feedback gewünscht. Die eher durchschnittlichen Garagepunk-Brecher wissen da als Ersatz nicht recht zu überzeugen.

75


Label: Mute

Referenzen: Ex Models, Chinese Stars, No Age, Deerhunter, HEALTH, Sonic Youth

Links: Sisterworld, Official, Myspace

VÖ: 05.03.10

6 Kommentare zu “Montags-Preview: Liars – Sisterworld”

  1. […] fünften März erscheint “Sisterworld“, das fünfte Studioalbum der Liars. Der Longplayer ist ein düsterer Kommentar zum Leben in […]

  2. […] auch zugänglicher zu werden. Jetzt können wir uns auf das am 5. März erscheinende fünfte Album “Sisterworld” freuen bzw. ich freue mich die Band überhaupt erst kennenzulernen. Den Anstoss dazu hat übrigens […]

  3. […] den schrägen Gonjasufi, Altmeister Gil Scott-Heron, die im Untergrund von Los Angeles wühlenden Liars, songstrukturiertere Efterklang, Owen Pallett und seine Streicher, den einfach nicht kaputt zu […]

  4. […] Bands, die in der ersten Jahreshälfte mit ihren jeweils neuesten Werken „High Violet“ und „Sisterworld“ intern die oberen Ränge belegen, kürzlich bei eigens für Pitchfork gedrehten, hervorragend […]

  5. […] auf dem Meer transformiert, nicht ohne die Portion kranken Humors, der die Liars auch in ihrem musikalischen Schaffen auszeichnet. Liars-Frontmann Angus Andrew ist zudem ein passabler Schauspieler und ein […]

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum