Paper BirdThaumatrope
Field Recordings, Geister und Pop ergeben oftmals eine reizvolle Mischung, man denke nur an Atlas Sounds „A Ghost Story“ oder die B-Seite der The Smiths Single „The Boy With The Thorn In his Side“, „Rubber Ring“, deren Outro das Sample einer Flexidisc enthält, auf der eine Erzählerin über Radiowellen empfangene Worte (Un)Toter aus diversen Sprachen ins Englische übersetzt.
Auch die Künstlerin Anna Kohlweis alias Paper Bird aus Wien erwähnt in den per Homerecordings aufgenommenen und mit Field Recordings ergänzten Songs ihres dritten Albums „Thaumatrope“ Geister, den Teufel, Exorzismen, schwarze Wiegen, das Schneiden von Haar, dem ja eine große magische und rituelle Kraft nachgesagt wird, Wiedergänger, Haut, die als Leder dienen wird, Dämonen, quietschenden Dielen und eben einen Exorzismus, der durch „alcohol und voilent kisses“ ausgeführt wird. Man freut sich dabei zwar über all den Mystizismus, der, wie Phantom/Ghost schon mehrmals bewiesen haben, ein großes intellektuelles Vergnügen sein kann, doch in der Art der hier beschriebenen Teufelsaustreibung liegt mehr Reiz durch Lebensnähe als in der etwas inflationär und zu eindeutigen Anhäufung von spooky Bildern. Leidenschaft kann durchaus verzweifelt und aggressiv sein, Sexualität beschränkt sich nicht nur auf den Wunsch nach Befriedung und ist dann am mächtigsten, wenn sie nicht durch Besitzversprechen gebremst wird. Nicht umsonst ist Sexualmagie kaum etwas, das sich im herkömmlichen Kanon der Ehe finden lässt.Wie dem auch sei, hier ist der rote Faden „Magie“, lassen wir ihn nicht in irgendwelchen Untiefen verschwinden. Die von Kohlweis praktizierte Zauberei lässt sich also wie gesagt aufgrund des häufigen Vortrags ein wenig zu starker Metaphern nicht unbedingt in den Texten finden, in der Musik aber blitzt sie hin und wieder auf.
Da wäre zum einen der Opener „Ghost Recovery“ mit seinen Straßengeräuschen inklusive Hufgeklapper und der dadurch genau zum richtigen Zeitpunkt hervorgerufenen entrückten Stimmung, die für die Beschäftigung mit „Thaumotrope“ unerlässlich ist. Man sollte sich nun aber nicht dazu verleiten lassen, den ersten, positiven Eindruck durch den LoFi-Sound zu relativieren, der von Beginn an klar zu Tage tritt, ja, vielleicht könnten etwas größere klangliche Räume ein besseres Heim für die recht getragenen und schwermütigen Lieder sein, die Produktion aber ist keineswegs misslungen, man konzentriere seine Aufmerksamkeit zum Beispiel nur einmal auf das krautig schiebende und schabende „In Pieces“, den schönsten existierenden Song mit schlurfendem Sound, ein Eindruck, der durch die Unkenntnis anderer schlurfender Songs keineswegs abgeschwächt wird. Akkordeon und Snaredrum führen anschließend in für Homerecordings beinahe klassischer Manier und leider auch leichter Belanglosigkeit („Vessel“) zu der angenehm schlichten Pianoballade „Pendulum Lady“, die als B-Seite einer „In Pieces“ Single für einen beachtlichen Release gesorgt hätte, so aber hören wir nun ein Album und auf diesem bei „A Lie Is A Lie (Slow Down)“ recht hübsches Händeklatschen, freuen uns über das anziehende Tempo und fragen uns, was denn noch so kommen mag. Bei „Bone Marrow Pen“ wären das zum Beispiel Gestampfe und eine verhältnismäßig fröhliche Stimmung, „War Strategies“ empfiehlt sich als eine Art Ballade mit Click’n’Cuts und gelöstem Refrain, „I want You“ zeigt per singender MitreiterInnen, wohin die Reise mit ein wenig mehr Opulenz gehen könnte, nämlich in Gefilde, wo Dead Man’s Bones ihr Unwesen treiben, die nämlich sind herrlich grotesk und bilden so den Rahmen für eine morbide Ausgelassenheit, die man bei Paper Bird vermisst und vermutlich auch vermissen soll. Die Ernsthaftigkeit des gesamten Albums wird durch das Weglassen der Stimmdoppelung („Language“ und „Stroboscope Lights“) und die dadurch gewonnene Leichtigkeit besonders deutlich, dann nämlich entsteht eine Intimität, in der sich die Sprache in aller Ruhe entfalten kann, zumindest, bis man auf Formulierungen wie „strap-on emotions“ trifft und verwirrt an einen Punkt gelangt, an dem man sich sicher ist, dass es auch bei hoch sympathischen Indieproduktionen ein „Zuviel“ geben kann.
Label: Seayou Records
Referenzen: CocoRosie, Mohna, Dead Man’s Bones, Soap&Skin, Palms
VÖ: 27. 11. 2009
lieber Lennart, wie sich Hörweisen unterscheiden können. Ich höre auf dieser Platte (die sich bestimmt zu einer meiner Top10 Platten des vergangenen Jahres gemausert hat!) ein so deutliches Augenzwinkern in der Ernsthaftigkeit (genau bei „strap-on emotions“ und vor allem bei dem offensichtlichen Jonglieren mit Horrorfilmklischees auf der zweiten Nummer in Verbindung mit Beziehungshickhack), dass es mich oft zum Schmunzeln bringt. Und obacht, es tut bei Frau Bird oftmals ganz gut, sich nicht von fröhlichem Händeklatschen und fröhlicher Stimmung von den Texten ablenken zu lassen. Die weisen nämlich oft viel verschachtelter (Bone Marrow Pen würde ich gerne mal erklärt bekommen..) in eine ganz andere Richtung. Und das alles auf das simple Wort „Magie“ zu beschränken und einer Platte vorzuschlagen, wie sie viel treffender in die Richtung funktionieren könnte, scheint mir doch etwas platt und zeugt von einem ganzen Eck Etwas-nicht-verstanden-haben.
Hallo Susa,
vielen Dank für Deinen Kommentar!
keineswegs möchte ich hier irgendwem irgendetwas vorschreiben, damit irgendetwas für irgendwen (in diesem fall mich) besser funktioniert, es ging mir um eine Beschreibung des Albums, für die ich Anhaltspunkte benötige, und eine Beschreibung ist natürlich auch immer wertend, dafür handelt es sich hier aber auch um eine Rezension. Die Klischees habe ich auch wahrgenommen, leider nicht das Augenzwinkern, es mag sein, dass daraus eine andere Sicht das Album betreffend spricht als die Deine, das beinhaltet auch, das ich das Album „nicht verstanden“ habe, jedoch hoffe ich, meinen Standpunkt offengelegt zu haben, ohne Dein Hörvergnügen zu schmälern.
Was die Magie anbelangt, beschränkt sich meine Wahrnehmung sehr stark darauf, da es an all den Metaphern aus dem Bereich dieser in Verbindung mit der Vortragsweise liegt, wenn mir das Augenzwinkern entgeht, und leider konnte mich auch das Songwriting nicht gänzlich davon ablenken.
Ich finde es großartig, dass Dir ein Album so viel bedeutet, dass Du hier korrigierend einschreiten möchtest, mir selber geht das zuweilen auch so (z.B. wenn meine FreundInnen mal wieder sagen, mein geliebter Tweepop sei langweilig und beliebig).
Weiterhin eine streitare Liebe zur Musik wünscht
Lennart
Natürlich schmälert das mein Hörvergnügen nicht. Es wurden ja auch schon viele überaus (in meinen Augen) treffende Rezensionen zu dem Album geschrieben, welche durchaus meinen eigenen Standpunkt reflektieren und mich in meiner Begeisterung bestärken. Ich muss auch hinzufügen, dass ich bisher zweimal das Vergnügen hatte, Paper Bird live zu erleben, wobei vor allem das letzte mal (im wiener Konzerthaus) extrem ergreifend war und das Augenzwinkern zwischen den Zeilen auch nicht vermissen liess.
(Und beim Tweepop würde ich mich deinen FreundInnen vermutlich anschließen, was weiterhin darauf schliessen lässt, dass unsere Geschmäcker wohl allgemein etwas auseinander driften ; )
da bedanke ich mich doch für die nette Antwort.
Susa.
Gern geschehen, wir freuen uns immer über Feedback…
auf bald (-: !