Comfort Fit – Dekonstruierte Dogmen der Digitalisierung

Boris Mezga kreuzt als Comfort Fit den Schmutz Detroits und das abstrakte Potential früher Warp-Veröffentlichungen zu einem elektrisierenden Shuffle-Hybriden. Auf seiner aktuellen LP „Polyshufflez“ lässt er die Maschinen fehlbar werden und setzt so ganz eigene Impulse zum omnipräsenten Digitalisierungsdiskurs. Anlässlich seiner kürzlich erschienenen Remix-Platte mit Beiträgen von Laurent Garnier, Atjazz und vielen mehr, reden wir mit ihm über chartkompatiblen Wonky-Sound, Alienmusik und obskure Synthesizer-Experimente.
War ein Remix-Album von vornherein geplant oder ist diese Idee spontan entstanden?
Die Remix-LP war schon lange geplant. Es stand bereits vor dem Erscheinen der „Polyshufflez“ fest, dass wir das machen und wurde auch in meinem Promovideo angekündigt. Es handelt sich nicht einfach um eine Sammlung von Remixes die mal eben so zusammengewürfelt wurden, sondern um exklusives Material.
Wie ist dabei der Kontakt zu Laurent Garnier zustande gekommen?
Laurent hat die „Polyshufflez“ LP in die Finger gekriegt und war sehr begeistert davon. Er mochte die verschiedenen Einflüsse, die auf der Platte zusammen kommen. Darauf hin hat Tokyodawn den Kontakt zu ihm aufgenommen und nachgehakt. Ich werde im Gegenzug zu Laurents Bearbeitung einen Remix für sein Label F-Communications machen. Wir haben mittlerweile auch persönlichen Kontakt. Auf der Tokyo-Dawn-Myspaceseite ist übrigens auch ein Radio-Interview zu finden, in dem Laurent selbst das Ganze ausführlicher schildert.
Heißt das man wird ein House-Stück von Comfort Fit hören?
Die Samples liegen bereits auf meiner Festplatte und ich bin ziemlich sicher, dass der F-Com Remix in Richtung Dancefloor gehen wird. Aber ich bin da sehr flexibel. Es kommt ja auch darauf an, was für ein Release das wird, welche Artists noch dabei sein werden und so. Ich bin gespannt. Die Entwicklung gefällt mir derzeit auf jeden Fall sehr gut. Das Spannende an der „Polyshufflez“ ist ja auch, dass sie von den HipHopern nicht so krass gefeiert wurde, wie in der elektronischen Szene. Wir waren selbst von dieser Resonanz überrascht und welche Leute die LP im Endeffekt angesprochen hat. Das war nie so geplant. Letztendlich folgt das wohl aus der Soundästhetik, die ja doch sehr technoide Einflüsse aufweist. Deswegen ging auch die Remix-Platte in diese Richtung.
Welche Interpreten und Alben haben dich bei der Arbeit zu „Polyshufflez“ beeinflusst oder inspiriert?
Einer der Haupteinflüsse waren in den letzten zwei Jahren definitiv die klassischen Synthesizer-Pioniere. Ich bin selbst nicht so direkt am Puls der Zeit und recherchiere auch nicht jeden Tag nach Neuerscheinungen. Ich habe viele dieser alten Aufnahmen während meiner Arbeit am Album gehört. Sachen wie Delia Derbyshire, BBC Radiophonic Workshop oder Jean-Jacques Perrey, ein Franzose der sehr viel in den Sechzigern und Siebzigern mit Synthesizern gemacht hat. Damals wurde noch mit Tonbändern und den dazugehörigen Looptechniken gearbeitet. Die Sound-Ästhetik war demnach auch sehr schmutzig. Damals war Lo-Fi halt noch Hi-Fi (lacht).
Also eher die avantgardistische Seite der Synthesizer-Veteranen?
Genau. Diese Leute haben auch viel für Film und Fernsehen gearbeitet. Es gibt obskure Compilations auf denen irgendwelche 2 Minuten-Snippets drauf sind, die eigentlich gar keine richtigen Songs waren. Da wummerte dann nur ein Oszillator durch, irgendein anderer Sound wurde „reingesampled“, und das war es dann auch schon. Da ich auch selber in dieser Medienecke tätig bin, zum Beispiel durch das Vertonen von Werbetrailern und Fernsehspots, fand ich es sehr interessant, dass dieser kommerzielle Sektor damals noch von solchen skurrilen Synthesizer-Sounds dominiert war. Wenn man sich das englischsprachige Fernsehen zu der Zeit anguckt, hört man sehr viele Moogsynthesizer und so einen Kram. Ich finde es sehr erfrischend zu sehen, dass wir in der Hinsicht heute gar nicht so fortschrittlich sind, wie wir denken. Damals hatte das wirklich so einen „Alien“-Charackter, das war „Alien-Musik“. Alte Sci-Fi Filme sind da ja auch sehr extrem, die wurden oft mit dem Theremin vertont. Einem der ersten Synthesizer überhaupt. Ein kleiner Kasten mit einer Antenne. Das Gerät produziert einen Sinuston und man kann mit Bewegungen der Hand um die Antenne herum, die Tonhöhe und Lautstärke regeln. Wackelt man mit der Hand, erzeugt man ein Vibrato. So eine Art UFO-Maschine (lacht). Es gibt sogar Spezialisten, die komplette Opernsoli darauf nachspielen können. Wir haben heute leider so eine glatt gebügelte Version der damaligen Experimentierfreude in den Medien, was ich persönlich sehr bedauernswert finde.
„Polyshufflez“ erinnert allerdings eher an den retrofuturistischen Sound Detroits, wovon zeugt das?
Detroit-Techno ist bei mir grundsätzlich ein großer Einfluss, da ich diese Sachen in meiner Jugend sehr viel gehört habe. Jeff Mills, Underground Resistance, Robert Hood und all diese Leute. Zu der Zeit als ich noch auflegte habe ich nur Techno gespielt, das ist jetzt aber schon über 10 Jahre her. Damals hab ich sowas echt extrem viel gehört und ich besitze auch noch eine Menge Platten aus der Zeit. Heute würde ich nicht mehr auf die Idee kommen, mir mittags eine Jeff Mills-Platte anzuhören, das entspricht einfach nicht mehr meinem Wesen. Im Club gerne, aber ansonsten ist das nichts, was ich so tag-täglich hören kann. Aber ich bin damit aufgewachsen und hab im Alter von 13, 14, 15 nichts anderes gehört. Es scheint auf jeden Fall was kleben geblieben zu sein.
Könntest du dir vorstellen noch einen Schritt weiter zu gehen und deinen Sound komplett von der Hip-Hop-Ästhetik zu entkoppeln und zum Beispiel ein reines Dubstep- oder House-Album zu produzieren?
Also so alles auf eine Karte zu setzen, fällt mir glaube ich schon schwer. Auch innerhalb eines Genres stiltreu zu bleiben wäre nichts für mich. Aber natürlich bin ich sehr offen. Ich bringe im Januar/Februar meine neue EP auf Error Broadcast raus, die wird zum Beispiel einen deutlichen höheren Dubstep-Anteil haben. Es wird dazu auch eine Auskopplung auf 7‘‘-Vinyl geben. Ich habe immer eine Gewichtung einem bestimmten Genre gegenüber, aber mich einem Stil fest zuzuschreiben, liegt mir eigentlich fern.
Gehst du bereits mit einer festen Vorstellung in den Produktionsprozess oder geschieht das eher auf intuitive Weise bei dir?
Naja, man hat zum Beispiel schon oft eine Skizze, die noch nicht wirklich überzeugt. Dann fängt man halt an das Drumset und weitere Elemente auszutauschen, bis man auf einmal einen komplett andere Richtung eingeschlagen hat. Es kommt recht häufig vor, dass während dem Arbeiten so ein Umbruch passiert. Aber dass ich mich hinsetze und mir zum Beispiel denke „Heute produziere ich einen Shuffle-Track mit so-und-so-viel Bpm“ passiert eigentlich nie. Oft hat es ja auch einfach damit zu tun, was für Samples gerade rein flattern. Die Tracks sind ständig am „Morphen“. Gerade bei der „Forget & Remember“-LP gibt es mit Sicherheit einige Stücke ,die am Anfang noch ganz anders waren, als wie sie dann letztendlich auf der Platte landeten. Es gibt eine große Hierarchie an „Beta-Versionen“ bis dann letztendlich das fertige Stück erscheint. Aber mich so straight festzusetzen liegt nicht in meinem Naturell, da für bin ich zu sehr das „Chamäleon“. Ich langweile mich wirklich extrem schnell und deswegen mache ich gerne jeden Tag was anderes.
Am auffälligsten sind beim Studieren der Tracklist die zahlreichen Gastbeiträge. War es eine bewusste Entscheidung die Anzahl der reinen Instrumentals zu reduzieren oder hat sich diese Entwicklung so ergeben?
Das war bereits so geplant. Das Konzept zu „Polyshufflez“ stand und dieses Wonky-Phänomen war noch frisch. Die LP sollte ein Standardwerk für dieses Subgenre werden. Dazu war es hilfreich Vokalisten in den Enstehungsprozess zu integrieren, um alles in einen pokulturellen Kontext zu setzen. Dieser unnahbare, abstrakte Moment, den die Shuffle-Ästhetik in sich birgt, wurde somit greifbar gemacht.
Der Glasgower Produzent Rustie soll bereits Angebote bekommen haben, für R’n’B-Größen wie Beyonce zu arbeiten. Glaubst du der Shuffle/Wonky-Sound ist massenkompatibel und wird sich früher oder später im Mainstream etablieren können?
Es wird so werden. Ich warte schon darauf, dass Madonna ihren ersten #1 Shuffle-Hit landet (lacht). Ich gehe fest davon aus, dass das im nächsten Jahrzehnt integriert sein wird. Es trifft auch einfach den Zeitgeist. Unser Leben ist von der anhaltenden Digitalisierung geprägt und darin spiegelt sich auch der zentrale Konflikt, Mensch gegen Maschine wieder. Wenn man sich die Musikgeschichte bisher anschaut, wird ja deutlich, wie die Majors vorgehen um den Trend des nächsten Jahres zu generieren. Die großen Plattenfirmen sind schon immer in den Underground gegangen um zu beobachten, was dort passiert und es dann letztendlich zu adaptieren. Doch sobald ein Stil von dieser Maschinerie verinnerlicht wird, ist er tot. So war es immer und wird es immer sein. Es ist lebendig so lange es noch nicht kategorisiert ist, so lange es im Untergrund vor sich hin brodelt, aber sobald es kommerzialisiert wird, kannst du es wegschmeißen. So war es zum Beispiel auch mit Drum’n’Bass, wo der Wendepunkt mit Leuten wie z.B. Kruder & Dorfmeister kam. Das Duo eignete sich die Rhythmik dieses Genres an und vermischte es mit diesem Lounge-Charakter. Die Platten verkauften sich dann 2 Millionen Mal, liefen in jeglichen Cafés dieser Welt und gingen in das kollektive Bewusstsein der Menschen über. Danach zieht sich die subkulturelle Basis natürlich zurück, denn wer möchte sich schon an einem Sound abarbeiten der bereits in den Mainstream abgeflacht ist? Dieser anarchistische Gedanke ist dann einfach nicht mehr ausführbar.
Wie überträgst du deine Stücke in ein Live-Konzept?
Ich verwende generell sehr viele unveröffentlichte Tracks in meinen Live-Sets. Ich habe eine ganze Reihe an Stücken, die nur dafür komponiert worden sind, sie live zu spielen und die auch nie rauskommen werden. Dadurch wird auch ein gewisser Anreiz für Leute geschaffen, die meine Musik mögen. Außerdem muss man auch gucken wie man mit den Midicontrollern ein Set erstellt, bei dem man möglichst viel selber machen kann. Ich arbeite mittlerweile mit zwei Drumpads, einem Touchscreen und dem Notebook. Oft sind die Studioproduktionen, wie sie jetzt auf dem Album zu finden sind, auch viel zu komplex, als dass sie noch von einem Laptop getragen werden könnten. Dadurch, dass ich nur mit analogen Effektgeräten, Kompressoren und so weiter arbeite, wäre es ein zu großer Aufwand, das auf ein Live-Set zu transferieren. Die Stücke mit Vocalparts fallen ohnehin weg, da sie alleine nicht aufgehen. Wenn ich die Vocalspur mit laufen lasse, denkt das Publikum am Ende noch ich lege auf und ist verwirrt, das ergibt auch keinen Sinn.
Wann und wo wird man dich live sehen können?
Ich werde im Februar Gigs in Belgien und Ungarn spielen, in Deutschland ist gerade nichts auf dem Plan.
Vielen Dank für das Gespräch!
Comfort Fits „Polyshufflez Remixes“ könnt ihr euch hier anhören und kaufen.
Links:
Da haben sich aber zwei gefunden, was?;)
Tolles Interview, Philip! Sehr interessant, selbst dann, wenn man Comfort Fit vorher gar nicht so recht einordnen konnte.