ClipseTil The Casket Drops

Die Neptunes kann  man neben Timbaland wohl mit Fug und Recht als die einflussreichsten Hip Hop- beziehungsweise R’n’B-Produzenten dieses Jahrzehnts anführen. Mit ihren spartanischen, teils avantgardistischen Beatgerüsten trieben sie das Genre zu neuen ästhetischen Höhepunkten und etablierten es gleichzeitig endgültig im Pop-Mainstream.

Durch die im Laufe der Jahre aber immer wahlloser werdende Auswahl ihrer Kunden kam es  irgendwann zu einer allgemeinen Übersättigung am  archetypisch verschobenem Neptunes-Sound, sodass Pharrel Williams und Chad Hugo heute von vielen auch für die Verwässerung und derzeitige Stagnation des Hip Hop verantwortlich gemacht werden. Den Gegenbeweis für diese These lieferten stets ihre Produktionen für die aus dem eigenen Virginia Beach-Umfeld herangezogenen Homies von Clipse, um die es hier nach komplizierter Einleitung letztendlich gehen soll.

„Lord Willin'“ und „Hell Hath No Fury“ waren radikal minimalistische, ultramoderne Meilensteine auf denen die Neptunes ihre Beatkunst in Reinform ausformulierten, während die beiden Ausnahmerapper Malice und Pusha-T dazu ihre größenwahnsinnigen Crackdealer- und Bling Bling-Stories sponnen. Nur äußerst unglückliche Umstände in der Veröffentlichungspolitik konnten schlussendlich dafür sorgen, dass diesen beiden Alben heute nicht der Status zugestanden wird, der ihnen eigentlich gebührt. Mit „Til The Casket Drops“ emanzipieren sich  Clipse nun zum ersten Mal zumindest teilweise von ihren einstigen Ziehvätern und lassen sich auf fünf der dreizehn Tracks von außenständigen Producern unter die Arme greifen. Den Anfang macht dabei Sean „Diddy“ Combs‘ Produzententeam The Hitmen, das mit der zeitlosen, durch elektrische Gitarren, Streicher und Soulsamples gestärkten Golden Era-Hymne „Freedom“ beweist, dass die, wie immer, makellosen Flows von Malice und Pusha-T auch in einem ganz anderen Kontext, als dem der synkopischen Neptunes-Rhythmen ganz wunderbar funktionieren können. Die dürfen dann gleich als Zweites ran und enttäuschen dabei auf ganzer Linie. „Popular Demand“ ist eine dieser uninspirierten, wiederaufgewärmten Hip Hop-Pop-Süppchen, wie man sie in den letzten Jahren  viel zu häufig gehört hat, auch der Gastauftritt von Cam’ron kann da schlussendlich wenig retten. Ein ernüchterndes Urteil, dass sich leider auch für nahezu alle anderen auf diesem Album vertretenen Produktionen aus dem Hause Williams/Hugo fällen lässt. Nach dem kommerziell erfolglosen Vorgänger wollte man diesmal wohl auf Nummer sicher gehen und setzt statt auf futuristisch klappernde Beatkonstrukte mit maximaler Durschlagskraft auf in aller Regel handzahme, typisch zeitgenössische Standardbausätze mit Zutaten, wie den omnipräsenten Synthies oder R’n’B-Hooklines. Das alles klingt wie schon tausendmal bei Justin, Usher und Nelly gehört und raubt den nach wie vor überzeugenden Rap-Performances der beiden Protagonisten leider einen Großteil an Biss.

Für echte Highlights sind diesmal andere zuständig. Neben Diddys solider Wertarbeit sorgen besonders DJ Khali & Chin mit dem gemeinsam mit KanYe West an gute alte Eastcoast-Zeiten erinnernden „Kinda Like A Big Deal“, dem leicht Dancehall-inspirierten „There Was A Murder“ sowie dem soulbetanktem „Footsteps“ doch noch für einige zumindest kleine Sternstunden, die das Gesamtwerk hier gerade so eben über den schnöden Durchschnitt heben. Als Album ist „Til The Casket Drops“ also eine Enttäuschung, eine Enttäuschung, die für  Clipse aber trotzdem einen Schritt in die richtige Richtung bedeuten kann, denn die Emanzipation von den Neptunes tut ihnen hier sichtlich gut. Deren Trademark-Sound allerdings, das wird spätestens mit dieser Platte klar, hat sich für das kommende Jahrzehnt wohl bis auf weiteres selbst zu Grabe getragen.

55

Label: Re-Up Records / Star Trak / Columbia (Sony)

Referenzen: Jay-Z, KanYe West, Nas, Raekwon, Re-Up Gang, Notorious B.I.G., Mobb Deep

Links: Homepage, MySpace

VÖ: 11.12.2009

5 Kommentare zu “Rezension: Clipse – Til The Casket Drops”

  1. philip sagt:

    also „avantgardistische beatgerüste“ würde ich jetzt weder timbaland noch den neptunes attestieren :)

  2. Bastian sagt:

    Avantgarde hin oder her. Betrachtet man die Chartsgefilde in denen sie sich bewegen, finde ich schon das einige ihrer Tracks zumindest zu Anfang dieses Jahrzehnts ziemlich weit draußen waren. Übriggeblieben ist davon natürlich herzlich wenig, klar.

  3. Kurt sagt:

    Avantgarde ist ein großer Begriff, der nicht so lapidar eingesetzt werden darf!

  4. Bastian sagt:

    Der Begriff Avantgarde stammt aus dem Militär und meint letztendlich nichts anderes als Vorhut. Daher nehme ich es mir einfach mal frei heraus, diesen auch auf die Neptunes und ihren Pop-Kontext anwenden zu können anstatt nur auf John Cage oder Free Jazz.

  5. Kurt sagt:

    Wickipedia sei Dank, was? :) Wir müssen uns ja nicht einig werden. Ich finde den Begriff an dieser Stelle nicht angebracht.

Einen Kommentar hinterlassen

Platten kaufen Links Impressum