GirlsAlbum
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Referenzen:
Cause Co-Motion!, The Champagne Socialists, Elvis Costello, The Tyde, Ariel Pink, Glasvegas
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Autor: |
Lennart Thiem |
Die Verwendung des Begriffs „Hippie“ im Zusammenhang mit Musik sollte auf die Beschreibung „hippieesk“ beschränkt werden, zumindest solange, bis tatsächlich einmal geklärt worden ist, was denn nun genau unter „Hippiemusik“ zu verstehen sei, Donovan oder doch eher The United States of America. Bis dahin nehme man bitte Abstand davon, jede Band, deren Songwriting etwas schlichter oder auch opulenter ausfällt (Logik spielt bei der Verwendung von Floskeln keine Rolle), als „Beautiful People“ zu bezeichnen, auch, wenn sie aus San Francisco kommen sollte und Popmusik spielt. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Girls, denen das Etikett „Hippie“ nur zu gerne angehangen wird.
Wie aber kommt man darauf, dass es sich bei dem Duo um solche handeln könnte? Liegt das an den langen Haaren des Sängers Chris Owens? Seinem entrückten Blick? Dem Ruf, den Großteil der Zeit unter dem Einfluß irgendwelcher Psychopharmaka und sonstiger Drogen zu verbringen? All das ließe sich auch bei anderen VertreterInnen der Kunst- und Unterhaltungsbranche feststellen. Ist es also die Musik? Nein, die allein würde niemals ausreichen, um die beiden als Blumenkinder abzustempeln, sie mag zwar zuweilen in die luftig-sonnigen Gefilde der 60er abdriften, ist aber immer zu LoFi, um selbst als Beach Boys oder Byrds-Adaption durchzugehen, und die waren noch nicht einmal richtige Hippies. Auch Psychedelic fällt nicht unbedingt zwangsläufig als Genre ein, geht es um die Musik der beiden männlichen Girls: der Songverlauf ist stets klar strukturiert, es gibt Strophen, Refrains, Zwischenparts, klassische Songlängen werden dabei selten überschritten. Dann also muss es an den Texten liegen. Doch auch lyrische Spielereien und der Wunsch nach der Überwindung seelischer, kosmischer und zwischenmenschlicher Grenzen fehlen, ebenso wenig wird unter einer papierenen Sonne wie einst bei Traffic umherspaziert, keine Antikriegshymnen, keine Verbrüderung, keine surrealen Fluchtversuche aus dieser Welt begegnen uns, es geht um Reue, Leid, Verletzungen, Enttäuschung, Schuld und Sehnsucht.
Man darf sich also nicht täuschen lassen: nur, weil die Songs mit hübschen Schellenkränzen garniert sind und sympathisch-janglige Hooklines aufweisen, hat man es noch lange nicht mit unbedarfter Popmusik zu tun, es wird gelitten. Zu dieser Erkenntnis kann man durch ein wenig Aufmerksamkeit in Bezug auf die Lyrics gelangen, vor allem aber schafft die ergänzende Beschäftigung mit der Biografie des Sängers Chris Owens Klarheit. Dann wird deutlich: es ist sehr, sehr problematisch, hier von Hippiemusik zu sprechen, bedenkt man, dass Owens in einer Sekte aufwuchs, der von mehreren Seiten Kindesmißbrauch nachgesagt wird und nach seiner Flucht aus einem Leben in dieser mit Drogenproblemen zu kämpfen hatte (oder auch hat). Es ist nicht abwegig, dass das Schreiben von Songs eine therapeutische Funktion für Owen besitzt, und um davon abzulenken, ist die Musik am Ende doch nicht überragend genug. Man mag den beiden alles Gute wünschen und dankbar für die gelungenen (alle) bis sehr guten („Hellhole Ratrace“) Songs sein, doch die schicken Pressefotos und ein nett unschmuddeliges Pornovideo zu „Lust For Live“ besitzen nicht die Kraft, eine Aura zu schaffen, die der eines Morrisseys gleicht, der ja schon seit Jahrzehnten permanent leidet, ohne jemanden damit ernsthaft in Verlegenheit zu bringen. Anders bei den Girls, und dort insbesondere bei Owen, der nicht den Eindruck macht, als habe er alle Verletzungen verwunden. Wer weiß, wozu er in der Lage sein wird, sollte dies jemals der Fall sein, bis jetzt jedenfalls rechtfertigt der Erstling „Album“ noch keinen Hype um seine geschundene Person und deren Band.
Label: PIAS
Referenzen: Cause Co-Motion!, The Champagne Socialists, Elvis Costello, The Tyde, Ariel Pink, Glasvegas
Links: Myspace
VÖ: 13.11.2009
„hellhole ratrace“ find ich genial! aber stimmt, hatte mir auch mehr erwartet
Jepp. Aber abschreiben würde ich die Band noch nicht… mal schauen, was da noch kommt, und live werde ich sie mir auch mal anschauen, die sollen ziemlich gut sein.
Schöne Rezi, Lennart!