Sufjan StevensBQE
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Referenzen:
Terry Riley, Charles Ives, George Gershwin, Jim O'Rourke, Maurice Ravel, Sergei Rachmaninow
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Autor: |
Lennart Thiem |
Sufjan Stevens war schon immer mehr als ein einfacher Songwriter. Bereits vor seinen Meisterwerken „Greetings from Michigan: The Great Lake State“ und „Come on Feel the Illinoise!“ veröffentlichte er mit „Enjoy Your Rabbit“ ein an Minimal Music orientiertes elektronisches Werk über die chinesischen Tierkreiszeichen, das biblische Motive aufgreifende „Seven Swans“ sowie das fünfteilige EP Set „Songs For Christmas“, das, Sie haben es vielleicht geahnt, Weihnachtslieder enthält.
Das Projekt „BQE“, realisiert 2007, steht also keineswegs abseits seines sonstigen Schaffens, auch hier findet sich mit dem Brooklyn-Queens-Expressway eine konzeptionelle Grundlage. Es wurde erstmals im Rahmen des Next Wave Festivals der Brooklyn Academy of Music dargeboten und bestand aus der Vorführung eines unter anderem von Stevens selbst aufgezeichneten Films auf Super 8, während ein Orchester mitsamt Band seine Komposition vortrug. Außerdem gab es noch eine Hula Hoop Performance, ausgeführt durch das Trio „The Hooper Heros“.
An dieser Stelle macht es Sinn, sich näher mit den Gedanken hinter „BQE“ zu beschäftigen. Da wäre zum einen der BQE selbst, eine wenig attraktive Stadtautobahn New Yorks, errichtet in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, der Hochzeit des optimistischen Fortschrittsglaubens. Dieser besagt ja selten mehr, als dass alles immer besser werden wird, wenn man nur will, und dass die Gegenwart dadurch, dass mit gutem Willen etwas gewollt werden kann, doch gar nicht so schlimm sei, eine fürchterlich saturierte und utopiefeindliche Sicht auf das Leben. Und dennoch war dieses Denken schon seit jeher in weniger pragmatischer, sondern eher romantischer Form Teil des sogenannten „amerikanischen Traums“, eines der zentralen Themen Stevens. Ihm und seiner Musik ist es auch zu verdanken, wenn noch etwas von der Erhabenheit seiner kraftvollen Naivität und jugendlichen Selbstverliebtheit zu spüren ist.
Doch geht es bei „The BQE“ nicht explizit darum, Stevens: „[I] intended to create a non-personal, non-narrative piece. I tried to reduce my own personal investment as much as possible, and I refused to incorporate one of my strengths, which is the song. I was relinquishing my greatest weapon.“ (hier gibt’s das gesamte Interview). Das Vermeiden einer Erzählung ist ihm gelungen, eine klare Aussage wird nicht getroffen, auch weiß man nicht, wie das Bauwerk BQE zu bewerten sei, plumper Zivilisations- und Kulturkritik ist Stevens also Gott sei Dank auch hier nicht verfallen. Der Einsatz der Hula Hoop Performance, die bereits mehr von Folklore als Nostalgie hat, schlägt den Bogen zu einer anderen Epoche und lenkt das Augenmerk auf den Reifen beziehungsweise das Rad, das ebenso als konkretes Objekt wie auch als Symbol genutzt wird. Es steht hier für ein Jahrzehnt, in dem Freizügigkeit und Mobilität als große, befreiende Errungenschaften und Vorboten einer in Wohlstand gesicherten Zukunft galten. Dadurch wird indirekt eine Gegenwart vor Augen geführt, die nichts mehr mit den alten Träumen gemein hat, vielmehr durch die Folgen dieser bedroht ist. Pathos wird dabei aber nur als musikalisches Stilmittel zugelassen, Stevens ist kein Welterklärer, er fällt keine Urteile und besitzt eine für einen Christen erstaunlich große Offenheit gegenüber der durch seine Handlungsfreiheit tragischen Größe des Menschen.
Label: Asthmatic Kitten
Referenzen: Terry Riley, Charles Ives, George Gershwin, Jim O’Rourke, Maurice Ravel, Sergei Rachmaninow
VÖ: 23. 10. 2009