Matias AguayoAy Ay Ay

„Dies ist unstreitig der erste Artikel in der ganzen Tonkunst, die Achse, um die sich alles dreht, was Melodie, Modulation, Harmonie heißt. Alle Instrumente sind nur Nachahmungen des Gesangs; der Gesang sitzt als König auf dem Throne, und ringsum beugen sich alle Instrumente als Vasallen vor ihm.“  So sah es Christian Friedrich Daniel Schubart, geschrieben in den Jahren 1784/85 – ohne die Spur einer Ahnung, dass es einmal so etwas wie digitale Musikproduktion geben würde. Die Zeiten mögen sich zwar geändert haben, dennoch gilt auch heute noch die Stimme als Konstrukt des Menschlichen in der Musik.

Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen in der Berliner Technoszene ist „Ay Ay Ay“ entsprechend ein geradezu obszönes Werk. Gilt derzeit noch die Maxime des möglichst entmenschlichten, maschinellen und entschlackten Sounds als Gradmesser von Coolness (man denke nur an die völlig ironiefreien und kompromisslosen letzten Werke von Planetary Assault System oder Ben Klock auf Ostgut Ton), bricht der gebürtige Chilene völlig mit dieser bereits auf die Spitze getriebenen Entwicklung. Lustvoll wird die Musik auf die Ursprünglichkeit zurückgeführt, wenn die Stimme in den Mittelpunkt seiner Produktion gerät – und das in einer Konsequenz, die man bislang nur von Björks „Medúlla“ kennt. Was bei der Isländerin aber zum Abstraktum gerät, das in seiner Avantgarde doppelt gefaltet und somit etwas unnahbar daherkommt, schafft Aguayo den Spagat zwischen künstlerischem Anspruch und organischer Wirkweise. Seine Tracks wirken warm und natürlich. Trotz und gerade weil er sich hier ausschließlich auf Stimmen, deren Modulation durch Filter, Streckungen und Loops sowie etwas digitales Schlagwerk beschränkt. Überraschend kommt dieses Album trotzdem nicht und es wäre wohl irreführend, würde man es als bloße Reaktion auf die Berliner Verhältnisse kontextualisieren. Bereits auf seinen früheren Songs ging es Aguayo um Distanzlosigkeit. Gefühl und Groove waren schon immer Hauptbestandteil seines Schaffens und spätestens seit der 12‘‘ „Walter Neff“ benutzt er Stimmen als Trägermaterial seiner Idee von Tanzmusik; eine Entwicklung, die sich sicherlich binnen kurzer Zeit als Gegenbewegung zum Reduktionswahn auch großflächig bemerkbar machen wird.

Aber wie klingt denn nun „Ay Ay Ay“? Definitiv kosmopolitisch, dumpf und ziemlich verrückt. Die spinnerten stimmlichen Kurvenfahrten bei „Me Vuelco Loca“ geben die Richtung vor: Heruntergepitschte Stoßlaute manifestieren sich zu Bassklumpen, säuselige Gesänge kräuseln und verfransen sich und alles scheint permanent in Bewegung zu sein; Beatboxing als Lebensshuffle. Maßhalten ist dabei keine Tugend und so rollt „Rollerskate“ dem Irrsinn freudestrahlend in die Arme. Lässig kommen die Songs daher, die oftmals um nur eine kurze Melodie herum gebaut sind und dieses Motiv in Reihenschaltung wiederholen, bis das Hauptthema mantraartig durchexerziert und die Grenze zur Selbstironie längst überschritten ist. In diesen soghaften Rausch der Redundanz passen sich auch die Anklänge an afrikanische, südamerikanische und karibische Sounds wunderbar ein. Rasselnde Tropicana-Drums breiten beim lebensbejahenden „Koro Koro“ den Teppich für mindestens dreierlei Schichten Gesang: Bass-Bop, spiritueller Singsang und Melodiepart ergeben sich ins Ungezügelte. Diese mit dem Blick und Geschick eines in Deutschland sozialisierten Musikprofis überformten Stammestänze bleiben dabei Ausdrucksbewegungen, die den Kreis zur Ursprünglichkeit schließen: Durch die stampfende Dominanz der Bässe erinnert „Ay Ay Ay“ oft in seiner Muskulosität an die Idealtypisierung der Männlichkeit, an Stärke, Macht und Körperkult der Eingeborenenvölker.

Diese Unmittelbarkeit durchzieht das ganze Werk und verleiht ihm im Kontrast zur formalen Strenge die nötige Lockerheit, die selbst darüber hinwegtäuschen kann, dass  sowohl Beatvariationen als auch Tonhöhenverschiebungen sich in dieser Maske oft arg gleichen, so dass es den Songs oftmals etwas an Unterscheidbarkeit mangelt. Matias Aguayo hat der Geschlossenheit den Vorrang gegeben, was durchaus verständlich ist, will das Werk doch ohne Brüche zwischen schwindeligen A-Capella-Vocals, Beat, Bass und religiösem Spirit funktionieren. Subtile Ahnungen, Dissonanzen und verschachtelte Überlagerungen rücken diesen Solo-Zweitling weit weg von purem Hedonismus, was Spannung generiert, die dieses Album auch auf Volldistanz durchzuckt. Die esoterische Komponente bleibt außen vor, ebenso wie mehrstimmige Harmoniegesänge, worüber man unendlich dankbar sein muss. So bilden nämlich diese meditativen, urwüchsigen Rhythmen einen quicklebendigen Rahmen mit einer surrealen, aber sehr menschlichen Aura, die trotz ihres musikanalytischen Baukastensystems aus modulierten Stimmen durchaus nicht fremd erscheint. Mundart einmal anders.

84

Label: Kompakt

Referenzen: Michael Mayer, El Guincho, Justus Köhncke, Voigt, Superpitcher, Ada, Gang Gang Dance

Links: Homepage

VÖ: 30. 10. 2009

Ein Kommentar zu “Rezension: Matias Aguayo – Ay Ay Ay”

  1. raid sagt:

    super album!!

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